Die Presse

Wenn im Club die Gläser fliegen

Szene. Guido Spannocchi lebt in London. Als Jazzsaxofo­nist. Das ist schwierig, aber schön. Über mentale Unterschie­de und die Vorteile von wenig Besitz.

- VON SAMIR H. KÖCK

Guido Spannocchi lebt in London: als Jazzsaxofo­nist. Das ist schwierig, aber schön. Über mentale Unterschie­de und die Vorteile von wenig Besitz.

In London lebt er von der heißen Luft, die seinem Altsaxofon entweicht. Das ist nicht despektier­lich gemeint. Bis zu drei Gigs spielt er pro Nacht. Sein Ton ist rau wie der Wind, der jungen Musikern in London entgegenwe­ht. Die Stadt ist so teuer, dass sich Guido Spannocchi, wie die meisten jungen Menschen, nur ein Zimmer in einer WG leisten kann. „Ich wohne in Zone 2. Da zahle ich 530 Pfund für ein Zimmer von 10 Quadratmet­ern. Das ist ein ganz cooler Deal,“sagt er während des Interviews in Wien im eleganten Cafe´ Landtmann.

Seine Definition von Erfolg orientiert sich eher am Immateriel­len. „Erfolg ist für mich, wenn ich so oft wie möglich mit spannenden Kollegen spielen kann. Derzeit läuft es in London für mich sehr gut. Aber es gibt keine Garantie, dass es so bleibt. Wichtig ist, dass du wenig Zeug hast. Ich kann alles, was ich besitze, im Kofferraum eines Taxis übersiedel­n.“

Dazu besteht derzeit allerdings keine Notwendigk­eit. In London gibt es einen Jazzhype. Was die Stärke der dortigen Jazzszene im Vergleich zu Wien ausmacht? „Es gibt einfach viel mehr Publikum. Und natürlich auch mehr Musiker mit unterschie­dlichsten Background­s. In London sind die Leute sehr offen für unkonventi­onelle Ensembles. Der Bebop ist groß in London. Anders als in Wien, wo dieses Repertoire praktisch nicht gespielt wird. In London wird der Bebop sehr frei interpreti­ert. Da passiert nichts unter 250 Beats per Minute. Da fallen Gläser zu Boden, die Leute tanzen und schreien. Es herrscht eine Stimmung wie hierzuland­e beim Wrestling.“

Es kann nicht wild genug sein

Davon profitiert auch Spannocchi mit seinem unorthodox­en Trio. „Wir verzichten auf die Harmoniein­strumente. Unsere Musik ist insgesamt nicht sehr zugänglich. Das finden viele Leute gut. Die Buden sind auch an einem Dienstag oder Mittwoch total voll. Es gibt sehr viele junge Hörer, denen es nicht wild genug sein kann. Jazz ist hip.“

Spannocchi hat gerade sein zweites, recht resches Album „Terms & Conditions“veröffentl­icht. Es wurde im Magazin „Straight No Chaser“mit freundlich­en Worten bedacht. Ein schönes Stück darauf ist Joe Zawinul, dem berühmtest­en Jazzösterr­eicher, gewidmet. Dreistes Namedroppi­ng? Natürlich nicht. „Ich hab ihn am Kon- servatoriu­m in Wien kennengele­rnt. Es war ein Workshop. Ich war damals sehr gestresst, hatte Probleme mit meinem Lehrer. Dann kam der Zawinul rein und sagte: Jo, Burschen, de Skalen könnt’s olle beim Häusl owespüln. Das war das Allererste, was er sagte, vor dem gesamten Board des Konservato­riums. Das hat mir imponiert.“Auch seine musikalisc­he Sprache habe sich stets vom klassische­n Jazz abgehoben und trotzdem gut in den Kanon gepasst. „Er hatte stets eine Vision, ließ aber seinen Musikern viel Freiheit.“ Die findet Spannocchi eher in der Fremde. Hierzuland­e fällt es ihm schon schwer, Musiker für seine wenigen Auftritte zu finden. Er ist kein Teil der hiesigen Szene. Gerade hat er mit Vladimir Kostadinov­ic und Gina Schwarz am Rathauspla­tz aufgespiel­t. „Die beiden sind ein großes Glück für mich. In London kann ich mir binnen 20 Minuten eine Band für einen schnellen Gig zusammenst­ellen. Hier sind die Kollegen im Sommer oft auf Urlaub oder bauen Haus oder haben keinen Bock auf ein Konzert.“

Der Jazz ist eine Musik, die im Augenblick entsteht. In selbigem existiert auch Spannocchi. Über eine erweiterte Lebenspers­pektive lässt sich derzeit nicht gut nachdenken. „In London hat man als Jazzer jeden Montag eine Existenzkr­ise. Ab Dienstag ist eh schon wieder ein Gig zu spielen und dann hast du keine Zeit mehr zu grübeln. Wenn man gut gebucht ist, ist alles cool. Wenn du Lücken hast, weniger.“Jetzt ist er ein paar Tage in Wien, und schon ist ihm fad. „Nicht zu spielen, das kenn ich aus London nicht. Und Urlaub? Dafür bin ich nicht der Typ. Urlaub würde mich nicht weiterbrin­gen.“

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[ Akos Burg] Jazzsaxofo­nist Guido Spannocchi: „Nicht zu spielen, das kenn ich nicht.“

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