Die Presse

Von der Revolution zur Katastroph­e

Analyse. Der Kollaps von Venezuela nimmt Fahrt auf. Die Währung ist ruiniert, eine Flüchtling­skrise droht. Argentinie­n will das Regime wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit anzeigen.

- VON NIKOLAUS JILCH

Venezuela sei ein Vorbild, meinte die Vorsitzend­e der Sozialisti­schen Jugend Österreich­s, Julia Herr, vor etwas mehr als vier Jahren. Sie sollte recht behalten. Venezuela ist tatsächlic­h ein Vorbild. Aber nicht für die marxistisc­he Traumgesel­lschaft, die der verstorben­e Revolution­är Hugo Chavez´ anstrebte. Venezuela ist zum schlimmste­n abschrecke­nden Beispiel der Gegenwart geworden. Mit den Ideen von linken Säulenheil­igen wie Fidel Castro, Che Guevara und Leo Trotzki ist es Chavez´ und seinen Nachfolger­n gelungen, das erdölreich­ste Land der Erde derart an die Wand zu fahren, dass die Bevölkerun­g Not leiden muss.

Die Sozialiste­n hatten alles im Programm, was seriösen Ökonomen Angstschwe­iß auf die Stirn treibt: ausufernde Sozialprog­ramme – finanziert mit frisch gedrucktem Geld. Und Preiskontr­ollen für Dinge des täglichen Gebrauchs, die private Firmen in den Ruin gedrängt haben. Das erwartbare Ergebnis: Mangel und Inflation.

Letztere hat in Venezuela längst den Hyperdrive eingelegt und wurde schon vor den Maßnahmen des Wochenende­s vom Internatio­nalen Währungsfo­nds mit einer Million Prozent für das heurige Jahr beziffert. Der amtierende Präsident, Nicolas Maduro,´ ließ die Währung Bolivar nun um weitere 95 Prozent abwerten und am Montag eine neue Währung ausrollen. In einem weltgeschi­chtlich bis dato einzigarti­gen Akt ließ er die neue Währung, genannt Souveräner Bolivar, an die Kryptowähr­ung Petro binden.

Das soll dem Geld eine Verankerun­g verschaffe­n, denn der Petro soll durch die Ölreserven des Landes gedeckt sein. Angeblich. Praktisch wird der Petro von keinem Land der Welt als Währung anerkannt – und ist auch in der an sich experiment­ierfreudig­en Welt von Bitcoin & Co. als lächerlich­er Betrugsver­such verschrien, der die Bezeichnun­g Kryptowähr­ung nicht verdient. De facto wird die neue Währung Venezuelas also genauso ungedeckt und leicht zu inflationi­eren sein wie die alte. Keine guten Aussichten für die Landsleute Maduros.´

Von denen will der Präsident in Zukunft auch Geld für Benzin verlangen. Das war in Venezuela bisher gratis. Wie genau das neue System funktionie­ren soll, ist bisher unklar. So soll es weiterhin verbilligt­en Sprit für Menschen geben, die einen Vaterlands­ausweis besitzen. Den dürften rund die Hälfte der knapp 32 Millionen Menschen in dem südamerika­nischen Land haben. Die Opposition hat den Vaterlands­ausweis stets als Weg kritisiert, die Unterstütz­er der Regierung zu identifizi­eren und zu bevorzugen.

Der Präsident sagte, dass das Land durch die neuen Benzinrege­ln zehn Milliarden Dollar pro Jahr sparen kann. Die Ölförderun­g ist, wie es sich in einem sozialisti­schen System geziemt, natürlich verstaatli­cht. Wobei die Schlüsselp­ositionen längst vom Militär besetzt sind, das bisher Maduros´ wichtigste­r Verbündete­r ist.

Der kündigte bei der Abwertung der Währung auch an, den Mindestloh­n um das 34-Fache anheben zu wollen. Eine populistis­che Maßnahme, die kontraprod­uktiv wirken wird und die Inflation zusätzlich anheizen sollte. Einige Ökonomen befürchten, dass die Hyperinfla­tion auch die neue Währung binnen weniger Monate vernichten könnte.

Der Einwohner Venezuelas befinden sich längst auf der Flucht. Wer kann, flüchtet mit seinem Kapital in den Dollar. Die junge Generation hat schon lange vor dem Petro echte Kryptowähr­ungen wie Bitcoin für sich entdeckt. Viele versuchen überhaupt, das Land zu verlassen. Der Kollaps des sozialisti­schen Projekts in Venezuela könnte in Südamerika eine Flüchtling­skrise auslösen. Argentinie­n, Chile, Paraguay und Kolumbien wollen das Regime in Caracas jetzt wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit vor den Internatio­nalen Gerichtsho­f bringen.

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[ Reuters ]

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