Das geheimnisvolle, das fantastische Mekka
Literatur. Noch bis Freitag dauert die Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka. Die Geschichten, die in früheren Jahrhunderten darüber nach Europa kamen, stammten von Abenteurern, Konvertiten – und auch interessanten Frauen.
Im Todesjahr Marco Polos, 1325, machte sich ein junger Mann von der marokkanischen Hafenstadt Tanger aus auf die Reise – sie sollte 30 Jahre dauern und ihn durch das Gebiet von 40 heutigen Ländern zu 60 Herrschern führen. Dabei wollte Ibn Battuta eigentlich „nur“die Hadsch vollziehen – Höhepunkt im religiösen Leben der damals in ihrer Hochblüte stehenden islamischen Zivilisation. Anders als die übrigen Pilger aber kehrte Battuta nicht in seine Heimat zurück. Aus dem Pilger wurde ein Abenteurer.
Was alles stimmt an Ibn Battutas Beschreibungen der Türkei, Zentralasiens, der Malediven oder Indiens, wird man nie genau wissen. Für seine Wirkung war das auch nicht entscheidend. Battutas „Rihla“, wie der Reisebericht im Arabischen heißt, hat etwa mit seiner unglaublich detaillierten Beschreibung von Mekka ein Genre der Reiseliteratur geprägt – die Erzählungen über die Hadsch. Er war nicht der Erste, die arabische Reiseliteratur blühte seit Jahrhunderten, sie ist zum Teil bis heute als historische Quelle wertvoll. Dem Reisebuch „Safarnama“eines der bedeutendsten persischen Dichter, Nasir Khusro etwa, der in einer spirituellen Krise nach Mekka gereist ist, verdankt sich die laut Historikern beste Beschreibung der muslimischen Welt in der Mitte des elften Jahrhunderts. Berichte über diese Monate bis Jahre dauernde Reise unterhielten, belehrten – und warnten: Wer nach Mekka reiste, nahm früher nicht nur ungeheure Strapazen auf sich, er riskierte oft sein Leben.
Mohammeds Grab schwebt doch nicht!
Das Bild, das sich Christen in Europa von Mekka machten, wurde mehr von europäischen Reisenden geprägt. Aus der Renaissance stammen die ersten Berichte – Abenteuergeschichten über Verkleidungen und andere Täuschungsmanöver. Denn Nichtmuslimen war (und ist) der Zutritt zum heiligen Bezirk verwehrt.
Ludovico de Varthema, ein Bologneser des 16. Jahrhunderts, gilt als erster Europäer in Mekka. Er schloss sich dafür Mameluken (Militärsklaven) an, die als Geleitwache eine Karawane begleiteten. Soll man ihm glauben, dass er in der al-Haram-Moschee, die die Kaaba beherbergt, zwei Einhörner gesehen hat? Sie seien ein Geschenk des äthiopischen Herrschers an den Sultan gewesen. Eine andere erstaunliche Geschichte widerlegt Varthema: Nein, Mohammeds Grab in Medina werde nicht durch Magneten zwischen Himmel und Erde in Schwebe gehalten. Christliche Autoren haben diese Mär verbreitet, deren Ausläufer man sogar noch in Stefan Zweigs „Schachnovelle“findet: „Ist es nicht auch eine Wissenschaft, eine Kunst“, schreibt Zweig über das (aus dem islamischen Raum nach Europa gekommene) Schachspiel, „schwebend zwischen diesen Kategorien wie der Sarg Mohammeds zwischen Himmel und Erde . . .“
Unter den Mekka-Abenteurern des 17. Jahrhunderts war der Engländer Joseph Pitts, der seinen Lebensberichten zufolge als Teenager von algerischen Piraten gefangen genommen wurde. Sein zweiter Herr habe ihn unter Folter gezwungen, zum Islam überzutreten, schrieb er, sein dritter ihn 1680 nach Mekka mitgenommen. Pitts beschreibt historisch oft glaubwürdig Karawanen, Riten, den Besuch in Medina. Wie erzwungen seine für ihn sicher vorteilhafte Konversion im religiös damals toleranten Nordafrika war, ist umstritten. Konvertiten wurden im damaligen England als Verräter und Verbündete Satans beschrieben – möglicherweise hatte Pitts auch Angst, von den eigenen Landsleuten geächtet zu werden.
Eine schillernde Figur war im frühen 19. Jahrhundert der Spanier Domingo Bad´ıa y Leblich, der sich später Islam Ali Bey el Abbassi nannte. Er lernte in seiner Jugend Arabisch und bereiste, mit Aufträgen der spanischen Regierung, den Orient – getarnt als Muslim, wofür er sich eigenhändig beschnitten haben soll. Mithilfe gefälschter Urkunden gab er sich als Verwandter des Propheten aus und wurde vom marokkanischen Sultan als Bruder und Freund behandelt. Dann pilgerte er nach Mekka. Als ehemaliger Kollaborateur im von Napoleon besetzten Spanien floh er später nach Frankreich und schrieb dort seine Erinnerungen an die Mekkareise nieder. Inzwischen tatsächlich konvertiert, starb er 1808 in Aleppo auf einer weiteren Reise nach Mekka. Das islamische Begräbnis soll ihm wegen einer Kreuztätowierung verweigert worden sein. Demnächst kommt der marokkanische Spielfilm „Der Traum des Kalifen“über ihn in die Kinos.
Auch der britische Afrika-Forscher und Orientalist Richard Burton schaffte es als Nichtmuslim 1853 verkleidet (und des Arabischen mächtig) nach Mekka und lieferte dem Westen eine minutiöse Beschreibung. Noch wichtiger ist freilich, dass er den Euro- päern die Bekanntschaft mit dem Kamasutra und die erste werkgetreue Übersetzung von „Tausendundeine Nacht“beschert hat.
Mekkas Frauen entsorgen ihre Männer
Der erste bekannte weibliche Reisebericht stammte von einer Regentin des Fürstenstaats Bhopal im damaligen Britisch-Indien: Sikandar Begum machte 1863 mit gewaltigem Gefolge ihre Pilgerreise und berichtete recht scharfzüngig darüber – nicht nur über den Harem des Herrschers, sondern auch über die Heiratspraxis von Frauen. Die Frau heirate hier bis zu zehn Mal, schrieb sie. Wenn ein Mann älter werde, gebe sie ihn weg und nehme sich einen jüngeren. Deshalb dauere eine Ehe kaum länger als zwei Jahre.
Bis heute – besser gesagt, heute wieder – berühmt ist die Autobiografie „Der Weg nach Mekka“des im habsburgischen Galizien geborenen Juden Leopold Weiss, der sich nach seiner Konversion Muhammad Asad nannte und Ende der 1920er-Jahre nach Mekka reiste. In der Zwischenkriegszeit gab es aber eine ganze Welle an HadschBerichten, verfasst von Konvertiten aus allen Kontinenten. Evelyn Cobbold wurde 1933 berühmt, als sie, bereits 65-jährig, die erste gebürtige Britin wurde, die als Muslimin nach Mekka pilgerte. Sie ließ sich später mit dem Gesicht in Richtung Mekka begraben.