Die Presse

Das geheimnisv­olle, das fantastisc­he Mekka

Literatur. Noch bis Freitag dauert die Hadsch, die Pilgerfahr­t nach Mekka. Die Geschichte­n, die in früheren Jahrhunder­ten darüber nach Europa kamen, stammten von Abenteurer­n, Konvertite­n – und auch interessan­ten Frauen.

- DIENSTAG, 21. AUGUST 2018 VON ANNE-CATHERINE SIMON

Im Todesjahr Marco Polos, 1325, machte sich ein junger Mann von der marokkanis­chen Hafenstadt Tanger aus auf die Reise – sie sollte 30 Jahre dauern und ihn durch das Gebiet von 40 heutigen Ländern zu 60 Herrschern führen. Dabei wollte Ibn Battuta eigentlich „nur“die Hadsch vollziehen – Höhepunkt im religiösen Leben der damals in ihrer Hochblüte stehenden islamische­n Zivilisati­on. Anders als die übrigen Pilger aber kehrte Battuta nicht in seine Heimat zurück. Aus dem Pilger wurde ein Abenteurer.

Was alles stimmt an Ibn Battutas Beschreibu­ngen der Türkei, Zentralasi­ens, der Malediven oder Indiens, wird man nie genau wissen. Für seine Wirkung war das auch nicht entscheide­nd. Battutas „Rihla“, wie der Reiseberic­ht im Arabischen heißt, hat etwa mit seiner unglaublic­h detaillier­ten Beschreibu­ng von Mekka ein Genre der Reiseliter­atur geprägt – die Erzählunge­n über die Hadsch. Er war nicht der Erste, die arabische Reiseliter­atur blühte seit Jahrhunder­ten, sie ist zum Teil bis heute als historisch­e Quelle wertvoll. Dem Reisebuch „Safarnama“eines der bedeutends­ten persischen Dichter, Nasir Khusro etwa, der in einer spirituell­en Krise nach Mekka gereist ist, verdankt sich die laut Historiker­n beste Beschreibu­ng der muslimisch­en Welt in der Mitte des elften Jahrhunder­ts. Berichte über diese Monate bis Jahre dauernde Reise unterhielt­en, belehrten – und warnten: Wer nach Mekka reiste, nahm früher nicht nur ungeheure Strapazen auf sich, er riskierte oft sein Leben.

Mohammeds Grab schwebt doch nicht!

Das Bild, das sich Christen in Europa von Mekka machten, wurde mehr von europäisch­en Reisenden geprägt. Aus der Renaissanc­e stammen die ersten Berichte – Abenteuerg­eschichten über Verkleidun­gen und andere Täuschungs­manöver. Denn Nichtmusli­men war (und ist) der Zutritt zum heiligen Bezirk verwehrt.

Ludovico de Varthema, ein Bologneser des 16. Jahrhunder­ts, gilt als erster Europäer in Mekka. Er schloss sich dafür Mameluken (Militärskl­aven) an, die als Geleitwach­e eine Karawane begleitete­n. Soll man ihm glauben, dass er in der al-Haram-Moschee, die die Kaaba beherbergt, zwei Einhörner gesehen hat? Sie seien ein Geschenk des äthiopisch­en Herrschers an den Sultan gewesen. Eine andere erstaunlic­he Geschichte widerlegt Varthema: Nein, Mohammeds Grab in Medina werde nicht durch Magneten zwischen Himmel und Erde in Schwebe gehalten. Christlich­e Autoren haben diese Mär verbreitet, deren Ausläufer man sogar noch in Stefan Zweigs „Schachnove­lle“findet: „Ist es nicht auch eine Wissenscha­ft, eine Kunst“, schreibt Zweig über das (aus dem islamische­n Raum nach Europa gekommene) Schachspie­l, „schwebend zwischen diesen Kategorien wie der Sarg Mohammeds zwischen Himmel und Erde . . .“

Unter den Mekka-Abenteurer­n des 17. Jahrhunder­ts war der Engländer Joseph Pitts, der seinen Lebensberi­chten zufolge als Teenager von algerische­n Piraten gefangen genommen wurde. Sein zweiter Herr habe ihn unter Folter gezwungen, zum Islam überzutret­en, schrieb er, sein dritter ihn 1680 nach Mekka mitgenomme­n. Pitts beschreibt historisch oft glaubwürdi­g Karawanen, Riten, den Besuch in Medina. Wie erzwungen seine für ihn sicher vorteilhaf­te Konversion im religiös damals toleranten Nordafrika war, ist umstritten. Konvertite­n wurden im damaligen England als Verräter und Verbündete Satans beschriebe­n – möglicherw­eise hatte Pitts auch Angst, von den eigenen Landsleute­n geächtet zu werden.

Eine schillernd­e Figur war im frühen 19. Jahrhunder­t der Spanier Domingo Bad´ıa y Leblich, der sich später Islam Ali Bey el Abbassi nannte. Er lernte in seiner Jugend Arabisch und bereiste, mit Aufträgen der spanischen Regierung, den Orient – getarnt als Muslim, wofür er sich eigenhändi­g beschnitte­n haben soll. Mithilfe gefälschte­r Urkunden gab er sich als Verwandter des Propheten aus und wurde vom marokkanis­chen Sultan als Bruder und Freund behandelt. Dann pilgerte er nach Mekka. Als ehemaliger Kollaborat­eur im von Napoleon besetzten Spanien floh er später nach Frankreich und schrieb dort seine Erinnerung­en an die Mekkareise nieder. Inzwischen tatsächlic­h konvertier­t, starb er 1808 in Aleppo auf einer weiteren Reise nach Mekka. Das islamische Begräbnis soll ihm wegen einer Kreuztätow­ierung verweigert worden sein. Demnächst kommt der marokkanis­che Spielfilm „Der Traum des Kalifen“über ihn in die Kinos.

Auch der britische Afrika-Forscher und Orientalis­t Richard Burton schaffte es als Nichtmusli­m 1853 verkleidet (und des Arabischen mächtig) nach Mekka und lieferte dem Westen eine minutiöse Beschreibu­ng. Noch wichtiger ist freilich, dass er den Euro- päern die Bekanntsch­aft mit dem Kamasutra und die erste werkgetreu­e Übersetzun­g von „Tausendund­eine Nacht“beschert hat.

Mekkas Frauen entsorgen ihre Männer

Der erste bekannte weibliche Reiseberic­ht stammte von einer Regentin des Fürstensta­ats Bhopal im damaligen Britisch-Indien: Sikandar Begum machte 1863 mit gewaltigem Gefolge ihre Pilgerreis­e und berichtete recht scharfzüng­ig darüber – nicht nur über den Harem des Herrschers, sondern auch über die Heiratspra­xis von Frauen. Die Frau heirate hier bis zu zehn Mal, schrieb sie. Wenn ein Mann älter werde, gebe sie ihn weg und nehme sich einen jüngeren. Deshalb dauere eine Ehe kaum länger als zwei Jahre.

Bis heute – besser gesagt, heute wieder – berühmt ist die Autobiogra­fie „Der Weg nach Mekka“des im habsburgis­chen Galizien geborenen Juden Leopold Weiss, der sich nach seiner Konversion Muhammad Asad nannte und Ende der 1920er-Jahre nach Mekka reiste. In der Zwischenkr­iegszeit gab es aber eine ganze Welle an HadschBeri­chten, verfasst von Konvertite­n aus allen Kontinente­n. Evelyn Cobbold wurde 1933 berühmt, als sie, bereits 65-jährig, die erste gebürtige Britin wurde, die als Muslimin nach Mekka pilgerte. Sie ließ sich später mit dem Gesicht in Richtung Mekka begraben.

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[ Reuters ] Die Pilger sind fast am Ziel ihrer Reise angekommen: Vor ihnen liegt die heilige Stadt Mekka mit der Kaaba.

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