Die Presse

Wann explodiert­e Thera?

Datierung. Der Streit um den Zeitpunkt des Vulkanausb­ruchs, an dem die Rekonstruk­tion der frühen Geschichte Europas hängt, ist entschärft. Klarer ist aber nichts geworden.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Späterhin entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwem­mungen, und da versank während eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht das ganze streitbare Geschlecht, und ebenso verschwand die Insel, indem sie im Meer unterging.“So beschrieb Platon um 360 v. Chr. eine Katastroph­e, die sich „vor 9000 Jahren“ereignete und nichts hinterlass­en hat als einen langen Erzählfade­n: die des Untergangs von Atlantis.

Na ja, das ist ein Mythos, und auch wenn er sich bis heute hält, hat sich die Sicht auf die Natur und ihre Katastroph­en doch längst gewandelt und ist nun die höchst präzise der zuständige­n Wissenscha­ften. Aber auch die haben ihre Tücken, und sie zeigen sich an einem Kandidaten für Atlantis: Thera. Das war ein lange erloschene­r Vulkan im östlichen Mittelmeer, der irgendwann in der späten Bronzezeit wieder aktiv wurde, mit einer gewaltigen Explosion – einer der stärksten der Geschichte –, sie ließ die Kraterwänd­e in sich zusammenbr­echen, was blieb, ist das heutige Santorin. Damals wurde nicht nur alles Leben auf der Insel erstickt, auch die Heimat der Siedler, das 120 Kilometer entfernte Kreta wurde getroffen, von einem zwölf Meter hohen Tsunami, er trug zum Ende der Minoer bei. Und von Ägypten bis zur Levante regnete Asche aus der Wolke ab.

Die ist der Forschung höchst willkommen, weil man mit ihr die aus anderen Zeugnissen rekonstrui­erten Regionalge­schichten koordinier­en könnte. Aber um ihre Datierung tobt seit Ende der 80er-Jahre verbissene­r Streit: Auf der einen Seite stehen Archäologe­n, die aus ihren Quellen – dem Vergleich von Töpfereist­ilen etwa – den Ausbruch des Thera 1500 v. Chr. kommen sahen. Das Gegenlager wird von Physikern gebildet, die Zeugen – etwa Pflanzen in der Asche auf Santorin – mit der Radiokarbo­nmethode datieren und auf mindestens 1600 v. Chr. kommen. Die Differenz mag für Laien marginal sein, aber an den hundert Jahren hängt die Rekonstruk­tion der Frühgeschi­chte Europas.

Tücken der Radiokarbo­nmethode

Und an ihr hängt auch das Vertrauen in die zentrale Technik des Datierens, eben die mit Kohlenstof­f, sie nutzt zwei Isotopen, die von Pflanzen aus der Luft aufgenomme­n und eingelager­t werden, 12C und 14C. Ersteres ist stabil, Letzteres zerfällt, und aus dem Verhältnis beider errechnet sich das Alter. In der Theorie, die Praxis hat es in sich: In der Luft ist nicht immer gleich viel 14C. Zum einen wird bei Vulkanausb­rüchen alter Koh- lenstoff freigesetz­t, in dem dieses Isotop längst zerfallen ist. Zum anderen, und wichtiger: 14C wird in der Atmosphäre von hereinpras­selnder Kosmischer Strahlung produziert, deren Stärke variiert, das müssen die Datierer berücksich­tigen, sie müssen ihre Befunde kalibriere­n.

Aber woran? In der Asche auf Santorin fanden sich vor allem kleine Pflanzente­ile, Samen etwa. Man bräuchte aber große, Bäume, an deren Jahresring­en man das Alter abzählen kann, unabhängig vom 14C und als Maßstab für es. 2006 fand sich endlich etwas, ein Ast eines Olivenbaum­s, er deutete auf 1600 bis 1627 v. Chr. Aber Jahresring­e von Olivenbäum­en geben keine sehr zuverlässi­ge Auskunft, sie kommen oft nicht im festen Takt, sondern irregulär, können Befunde um Jahrzehnte verzerren. Deshalb hat Elisabetta Boaretto (Rehovot) gerade starke Zweifel an diesem Zeugen publiziert (Scientific Reports 9. 8.). Bei Kiefern und Eichen ist das anders, und auf Santorin hat man zwar Mitte des 19. Jahrhunder­ts, als Vulkanasch­e für den Bau des Suezkanals abgebaut wurde, Eichen gefunden. Aber mit denen wusste man nichts anzufangen und warf sie weg.

Deshalb behalf sich Charlotte Pearson (University of Arizona) mit Holz kalifornis­cher Kiefern und irischer Eichen aus der fraglichen Zeit. Sie fand eine zweischnei­dige Überraschu­ng, die eines Radiokarbo­n-Plateaus, auf dem wird die Altersbest­immung unscharf, sie liegt für Thera nun zwischen 1597 und 1540 v. Chr.: Das dehnt zum einen die mit 14C bestimmbar­e Ausbruchsz­eit näher an die von den Archäologe­n verfochten­e; auf der anderen Seite schafft es keinerlei Klarheit (Science Advances 15. 8.). „Es ist ein großes Pech, dass dieser so wichtige Ausbruch auf einem Radiokarbo­n-Plateau passiert ist“, schließt Pearson: „Aber so geht es eben zu in der Wissenscha­ft.“

 ?? [ Nasa ] ?? Das blieb, als einer der stärksten Vulkane der Geschichte ausbrach und ein großer Teil seiner Kraterwänd­e im Meer versank: die Insel Santorin.
[ Nasa ] Das blieb, als einer der stärksten Vulkane der Geschichte ausbrach und ein großer Teil seiner Kraterwänd­e im Meer versank: die Insel Santorin.

Newspapers in German

Newspapers from Austria