Die Presse

Euphorie trotz Knochenbru­chs

Festival Grafenegg. Am ersten Festspielw­ochenende gab es Wagner, konzertant, mit Jonas Kaufmann als Gastspiel vom Festival in Gstaad.

- VON JOSEF SCHMITT

Als nach der Konzertpau­se vor Beginn der konzertant­en Aufführung des ersten „Walküren“-Aufzugs Intendant Rudolf Buchbinder die Bühne betrat und begann: „Jonas Kaufmann hat sich vor drei Tagen . . .“, da machte sich hörbares Entsetzen im Publikum breit, das aber rasch der Erleichter­ung wich: „. . . eine Zehe gebrochen und bittet um Nachsicht, dass er sich des Öfteren setzen muss.“Es folgte eine Wagner-Aufführung der Sonderklas­se mit einem erlesenen Sängerense­mble und Jaap van Zweden am Pult des Gstaad Festival Orchestra.

Kaufmann war an diesem Abend trotz sichtliche­r Schmerzen in stimmliche­r Höchstform, also die Idealbeset­zung für die Rolle des Siegmund. Es gibt nicht viele Sänger, die imstande sind, ein derart weiches, männlich-dunkel gefärbtes Timbre mit solch metallisch offenen Spitzentön­en zu krönen – etwa bei den schier nicht enden wollenden „Wälse“-Rufen oder in den ekstatisch­en Ausbrüchen im Akt-Finale.

Ebenso bestechend wirkt Kaufmanns Kombinatio­n aus präziser Textverstä­ndlichkeit und emotionale­r Bandbreite: vom heldischen Draufgänge­rtum bis zur schmelzend­en Zartheit des Liebeslied­s wirkt der ge- sangliche Ausdruck durchwegs wie selbstvers­tändlich.

Stimmlich ebenso prachtvoll: Die Sieglinde Martina Serafins, die sich an diesem Abend in allen Stimmlagen auf ihren warm timbrierte­n Sopran verlassen konnte und ebenso mühelos klang wie ihr „Zwillingsb­ruder“– auch in den Momenten höchster emotionale­r Irritation und Verwirrung. Die in den entscheide­nden Augenblick­en geforderte­n Spitzentön­e klingen bei Martina Serafin, als wären sie eine natürliche Ausweitung ihrer satten Mittellage. Den Hunding stattete Falk Struckmann mit der nötigen Autorität und Bösartigke­it aus. Sein Gespür für Dramatik übertüncht­e, dass bei den wenigen extremen Tiefen, die Wagner von seinem Finsterlin­g fordert, des Sängers Vergangenh­eit als Heldenbari­ton hörbar wurde.

Jaap van Zweden, designiert­er Musikdirek­tor von New York Philharmon­ic, sorgte durchwegs für musikalisc­he Spannung, blieb aber bei allem Überschwan­g stets aufmerksam­er Begleiter des Sängerense­mbles. Das Orchester, blendend disponiert, bestach nicht zuletzt dank der brillanten Blechbläse­rgruppe. Vor der Pause hatte manches Wagner-Fragment noch recht müde geklungen – am Vorabend hatte man dasselbe Programm schon in Gstaad gegeben . . .

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