Rätselhafter Brahms
Salzburger Festspiele. Maurizio Pollini brachte bei seinem Soloabend Brahms, Schumann und – besonders begeisternd – Chopin.
1973 trat Maurizio Pollini zum ersten Mal bei den Salzburger Festspielen auf: Mit den Wiener Philharmonikern und Claudio Abbado spielte er das zweite Chopin-Klavierkonzert. Eine logische Wahl: Ein Sieg beim Warschauer Chopin-Klavierwettbewerb hatte dem 18-jährigen Pollini 1960 den Durchbruch gebracht. Auch weil er Chopin anders aufführte, als es damals Mode war. Nämlich ohne jeden Anflug von Sentiment, unter Verzicht auf Rubato, mit einem besonderen Faible für transparente Darstellung der Faktur der Stücke.
Pollini ist diesem Interpretationsstil treu geblieben, das bewies sein Recital im Großen Festspielhaus. So zielte er bei den späten Nocturnes Opus 62 vorrangig auf exemplarische Klarheit des melodischen Lineaments, machte aber zugleich deutlich, welch komplexe Mehrstimmigkeit sich hinter ihrem ariosen Gestus verbirgt. Bei der fis-Moll-Polonaise Opus 44 zeigte er sich weniger an deren effektvoller Rhythmik interessiert als an den balladesken Zügen. Selbst bei der Berceuse Opus 57 – einem seiner Lieblingswerke – beließ er es nicht dabei, den intimen Zügen dieser Musik mit zurückhaltender Noblesse nachzuspüren, sondern legte offen, dass sie auf einer mehrteiligen Variationenreihe beruht.
Variationen stehen auch im Mittelpunkt von Schumanns dritter Klaviersonate Opus 14. Egal, ob das Thema von Schumanns damaliger Geliebter, Clara, oder doch von ihm selbst stammt, der langsame Sonatensatz ist eines der großen romantischen Liebesbekenntnisse, eine intimste Gefühle ansprechende Musik, die Pollini entsprechend bewegt darstellte. Mehr drängende Brillanz hätte man sich in den beiden Ecksätzen gewünscht. Auch bei Chopins cis-Moll-Scherzo Opus 39 ging es diesem Klavieraristokraten weniger um die Zurschaustellung seiner immer noch erstaunlichen technischen Möglichkeiten als um differenzierte Zeichnung der eigentümlichen Atmosphäre dieses Stücks, das einen Choral kurz paraphrasiert.
Was aber beabsichtigte Pollini mit seiner betont nüchternen, stellenweise statischen Deutung der späten Brahms-Intermezzi Opus 117? Ein Hinweis darauf, dass sich von hier bruchlos die Linie zum Klavierwerk der Zweiten Wiener Schule ziehen lässt? Einzig im mittleren dieser drei Stücke ließ er etwas Emotion aufblitzen, brach er aus seiner etwas nervös wirkenden Introvertiertheit aus. Rätselhaft.