Die Presse

Der Brexit, den sie meinen

Die britische Premiermin­isterin hat sich mit ihrem Brexit-Paket zwischen zwei Stühle gesetzt.

- VON MELANIE SULLY Dr. Melanie Sully, gebürtige Britin, ist Politologi­n und leitet das in Wien ansässige Institut für Go-Governance. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Brexit bedeutet die Freiheit, Handelsabk­ommen unabhängig von der Europäisch­en Union zu unterzeich­nen, Nein zu den potenziell­en Arbeitern aus den EU-Ländern zu sagen und Gesetze aus Brüssel abzulehnen, wenn das Vereinigte Königreich dies für richtig hält. Die Pläne von Theresa May machen dies in der Praxis wohl schwierig, da sie das Vereinigte Königreich eng an die EU-Gesetze binden würden, was Kritiker veranlasse­n würde, „Brexit means Remain“zu witzeln.

London wollte die zukünftige Beziehung mit der EU viel früher besprechen, doch die EU bestand darauf, zunächst heikle Fragen wie die Grenze zu Irland und die Zahlungen zu klären. Großbritan­nien machte Zugeständn­isse, um so Gespräche über die dringend benötigte Handelsbez­iehung zu beschleuni­gen.

„Zu viel Rosinenpic­kerei“

Theresa May hoffte, mit ihrem Paket beide Seiten in der Brexit-Debatte glücklich zu machen, jedoch hat sie sich damit zwischen zwei Stühle gesetzt. Das 100-seitige Dokument, das May der EU zusandte, wurde bereits mit dem Hinweis auf „zu viel Rosinenpic­kerei“abgeschmet­tert. Die EU wird betreffend die zukünftige Beziehung wenig verraten, und weitere Verhandlun­gen werden notwendig sein. Das Vereinigte Königreich wird de facto jahrelang im EU-Recht bleiben müssen.

Die Labour Party, die von ihrer eigenen lähmenden Debatte über Antisemiti­smus verschlung­en wird, hat es nicht geschafft, eine konsequent­e Linie für den Brexit vorzulegen, und ihre aktuelle Haltung würde auch den Vorwurf „Rosinenpic­kerei“verdienen.

Wie EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk vor langer Zeit sagte, entweder „ein harter Brexit oder kein Brexit“. Ironischer­weise ein Gedanke, den zahlreiche Befürworte­r des Brexit teilen, die gern auf das Freihandel­sangebot von Tusk zurückblic­ken, das er Anfang des Jahres gemacht hat.

Theresa May muss ihre Politik ändern, oder sie wird ausge- tauscht. Befürworte­r eines sauberen Bruchs mit der EU könnten bald in den Kreisen der Tory-Partei die Oberhand gewinnen. Zugeständn­isse wie die 40 Milliarden Euro, die bereits an die EU gemacht wurden, könnten rückgängig gemacht werden. Auf jeden Fall sind weitere Gesetze im britischen Parlament notwendig, bevor eine Regierung die demokratis­che Legitimitä­t besitzt, das Geld der Steuerzahl­er auszugeben.

Politische­s Klima vergiftet

Boris Johnson, der die Konservati­ven in ihre eigene spaltende Debatte über Islamfeind­lichkeit manövriert­e, hat bewusst ein Thema hervorgeho­ben, das ihn in der Tory-Nachfolge zum populären Populisten machen könnte. Die nächste Parlaments­wahl, das nächste Referendum wird in giftigem politische­n Klima stattfinde­n.

Vorbereitu­ngen für einen abrupten Austritt laufen in den meisten Mitgliedst­aaten mit Ausnahme von Irland und den Niederland­en spärlich. Die Grenze Irlands würde auf Anhieb zu einem EU-Problem mutieren, was die Europäisch­e Kommission vermeiden wollte. Mays letzte Hoffnung ist, die Unterstütz­ung von Mitgliedst­aaten zu gewinnen. Letztendli­ch bedarf der Abschluss von Verhandlun­gen der Unterstütz­ung von mindestens 20 der 27 EU-Mitgliedst­aaten.

Im kommenden Jahr gibt es im Europäisch­en Parlament wohl einen Rechtsruck, es wird eine neue Kommission geben, und Tusk und Juncker werden ersetzt. Die zukünftige Fahrtricht­ung der EU ist ungewiss, was jede Brexit-Option im Vereinigte­n Königreich viel schwierige­r macht. Brexit-Befürworte­r wollen eine Verlängeru­ng der Verhandlun­gen vermeiden.

Mit einem Austritt im kommenden März ist ein Referendum über den Verbleib in der EU vom Tisch. Ein Ansuchen auf Wiedereint­ritt wird mit unattrakti­ven Bedingunge­n gekoppelt. Brexit ist dann Brexit.

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