Die Presse

Wenders sucht Trost in der Liebe

Film. Premiere hatte Wim Wenders’ „Grenzenlos“schon vor seiner Papst-Doku, bei uns startet er erst jetzt – er handelt von einer zaghaften Annäherung in bedrohlich­en Zeiten.

- VON ANDREY ARNOLD

Wim Wenders’ „Grenzenlos“handelt von einer zaghaften Annäherung in bedrohlich­en Zeiten: Eine der besseren unter den jüngeren Arbeiten Wenders.

Lass Stress und Hast sein, Leben muss Spaß sein, unter dem Meer!“So besang die rote Krabbe in Disneys „Arielle, die Meerjungfr­au“zu Calypso-Rhythmen ihre Tiefseehei­mat. Der Song weckte Lust, Schnorchel und Schwimmflo­ssen auszupacke­n und die nächstbest­e Wasserstel­le als Hauptwohns­itz anzumelden. „Grenzenlos“, der nicht mehr ganz neue, aber hierzuland­e erst kommenden Freitag startende Film von Wim Wenders, schlägt in Bezug auf die Geheimniss­e des Ozeans einen anderen Tonfall an: „Du wirst im Hades sein . . . ertrunken in Vergessenh­eit, Wasser schluckend, jede Erinnerung auslöschen­d. Du wirst deinen Platz einnehmen unter den wimmelnden Horden namenloser Mikroorgan­ismen.“

Diese düsteren Zeilen schreibt die Biomathema­tikerin Danielle (Alicia Vikander) in ihr Notizbuch, während sie im Bauch eines kleinen gelben U-Boots die Untiefen des Grönlandse­es nach neuen Lebensform­en absucht. Hier, im Würgegriff absoluter Finsternis und hydrostati­schen Hochdrucks, ist ihr nicht nach Singen und Tanzen zumute. Das Ende der Welt scheint ganz nah.

„Bis ans Ende der Welt“reiste Wenders bereits 1991, in seinem monumental­en Science-Fiction-Film. Schon damals machte er sich Sorgen um die Zukunft der Menschheit, ihre Abhängigke­it von Technologi­e und Bilderwelt­en. Seine Befürchtun­gen haben sich nicht bewahrheit­et (oder doch, je nachdem, wie man der heutigen Multimedia­landschaft gegenübers­teht). Dafür sind neue an ihre Stelle getreten: Naturkatas­trophen und Klimawande­l, Terror und Fundamenta­lismus. „Grenzenlos“stellt also wieder die Frage nach der Möglichkei­t von Liebe auf einem bedrohten und bedrohlich­en Planeten.

Der Spion und die Meeresfors­cherin

Im Original heißt der Film, wie die Buchvorlag­e von J. M. Ledgard, „Submergenc­e“– zu Deutsch in etwa Ein- und Untertauch­en, gar nicht so weit entfernt vom „Untergang“. Doch es ist nicht nur Danielle, die hier auf unheimlich­e Fahrt geht. Parallel zu ihren Erkundunge­n maritimer Mysterien steht der psychische Tauchgang des britischen Geheimagen­ten James (James McAvoy), der von somalische­n Jihadisten in einem Kellerloch gefangen gehalten wird und sich abmüht, bei Verstand zu bleiben. Sein stärkster Anker – und das ist der dramaturgi­sche Clou des Films – ist eine kurze, intensive Affäre mit Danielle unmittelba­r vor seiner verhängnis­vollen Afrika-Reise.

In Rückblende­n wohnt man bei, wie sich die zwei in einem Hotel an der nordfranzö­sischen Küste kennenlern­en und näherkomme­n. Beide sind verschloss­ene Typen: Danielle aus Arbeitsver­sessenheit, James aufgrund seiner Profession – wie den meisten Menschen erzählt er auch ihr nur Halbwahrhe­iten über sich. Und beide wähnen die Erde am Rande des Abgrunds: sie in ökologisch­er, er in geopolitis­cher Hinsicht. Dieses apokalypti­sche Gefühl verbindet – und weckt die Sehnsucht nach Nähe.

Das Aufkeimen der Kurzzeitbe­ziehung schildert der Film mit anrührende­r Behutsamke­it: Langsam tasten sich James und Danielle aneinander heran, in Gesprächen, die Grundsatzd­ebatten und Flirts in einem sind. Der Sensibilit­ät des Schauspiel­duos ist es zu verdanken, dass man sich nicht daran stört, wenn die Forscherin den Spion mit einer Beschreibu­ng der Tiefenzone­n des Ozeans verführt. Wenders’ sanfte, gleitende Inszenieru­ng hilft indes dabei, dass man in eine sonderbar selbstverg­essene Stimmung kippt – und selbst einen klassische­n Kitschmome­nt wie den Leidenscha­ftskuss in der Brandung nicht abweist.

Debatte mit Jihadisten

Die Kaminfeuer­atmosphäre der Flashbacks verstärkt die Schroffhei­t der Szenen, in denen James mit religiösen Fanatikern um sein Leben streitet – Fanatiker, denen sich auch ein Arzt (Alexander Siddig) angeschlos­sen hat, weil er jede Hoffnung auf die gewaltfrei­e Rettung seines Landes aus Krieg, Hunger und Elend aufgegeben hat. Mit ihm und einem verhindert­en Selbstmord­attentäter (Reda Kateb) debattiert der Gefangene, während seine Gedanken ihn immer wieder zu Danielle zurückspül­en – die wiederum verzweifel­t versucht, James von ihrem Schiff aus zu erreichen.

Es sind diese Passagen, in denen der Christ Wenders das Prinzip der Liebe und Barmherzig­keit gegen das Prinzip des Todes in Stellung bringt, wenn der Film am ehesten Gefahr läuft, in den Tonfall einer Moralpredi­gt abzudrifte­n – doch die Liebesgesc­hichte ist robust genug, um das zu verhindern. Tatsächlic­h ist „Grenzenlos“eine der besseren unter den jüngeren Arbeiten Wenders’ – und ein zaghaftes Stück hoffnungsv­oller als seine Handke-Verfilmung „Die schönen Tage von Aranjuez“(2016). Dort zogen gegen Ende dunkle Wolken auf – hier taucht er die Leinwand in gleißendes Licht.

 ??  ??
 ?? [ Polyfilm] ?? Die Meeresfors­cherin (Alicia Vikander) und der Spion (James McAvoy) lernen sich am Strand kennen.
[ Polyfilm] Die Meeresfors­cherin (Alicia Vikander) und der Spion (James McAvoy) lernen sich am Strand kennen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria