Die Gewalt am Nadelöhr der neuen Balkan-Route
Bosnien und Herzegowina. Helfer werfen der kroatischen Polizei vor, mit drakonischen Mitteln das Weiterkommen von Migranten zu verhindern. An der Grenze wohnen in behelfsmäßigen Zelten derzeit Hunderte Menschen.
Plastikberge liegen auf der vom Regen aufgeweichten Erde. In sich zusammengefallene Zelte, kaputte Schirme, schmutzige Decken, Restmüll. Die Lage nahe der bosnischen Kleinstadt Velika Kladusa,ˇ direkt an der kroatischen Grenze, ist nach wie vor desolat. Und angesichts der nahenden Herbstsaison warnen die Helfer vor Ort vor einer Zuspitzung der Lage, die ohnehin eine „humanitäre Katastrophe“sei, wie Peter van der Auweraert, Regionalkoordinator für die Westbalkan-Staaten der Internationalen Organisation für Migration (IOM), jüngst sagte.
Der nordwestliche Kanton in Bosnien und Herzegowina, UnaSana, hat sich im Lauf des Sommers zu einer Pufferzone der sich stetig verschiebenden BalkanRoute entwickelt. Zwischen 3000 und 4000 Migranten dürften sich Schätzungen zufolge in Una-Sana aufhalten; sie versuchen, von hier aus die EU-Außengrenze zu erreichen, werden aber immer wieder von der kroatischen Polizei zurückgedrängt – teilweise mit roher Gewalt, wie Flüchtlinge und Helfer aus Velika Kadusaˇ und dem südli- cher gelegenen Bihac´ berichten. Kürzlich aufgenommene Bilder zeigen an den Händen bandagierte Männer, eine Frau mit Verletzungen an Fuß und Hand stützt sich auf einer Decke ab. „Die Polizei stoppt sie an der Grenze“, berichtet eine Helferin aus Österreich, die vor Ort wirkt, der „Presse“. „Sie nehmen ihnen oft das Geld ab und machen ihre Telefone kaputt. Meistens kamen sie mit Verletzungen zurück.“
Im britischen „Guardian“schildern Betroffene Polizeiangriffe mit Schlagstöcken kurz nach der Grenze und gewaltsame Rücküberführungen nach Bosnien. „Das Recht, Asyl zu beantragen, bekommen sie nicht einmal“, sagt die Helferin aus Österreich. Berichte über Gewalt registriert auch IOM; man kann aber laut Van der Auwaraert nicht unabhängig verifizieren, inwieweit sie der Wahrheit entsprechen und ob sie systematisch vorkommen. „Ich weiß auch, dass es zwischen den Migranten zu Gewalt kommt“, so Van der Auwaraert. Er berichtete, dass auch Schmuggler und Drogendealer in der Region unterwegs seien.
In der Regionalhauptstadt Bihac´ bevölkern derzeit rund 800 Migranten ein heruntergekommenes, mehrstöckiges Gebäude, dessen Fertigstellung der Jugoslawien-Krieg verhindert hat: unverputzte Wände, nackte Ziegelsteine, auf den Geländern hängt Wäsche. Einem Plakat zufolge hilft hier das örtliche Rote Kreuz aus. „Jetzt gibt es ein bisschen Strom“, sagt die Helferin, „aber es sind offene Räume ohne Heizung.“Für den Winter hätten zumindest einige Familien mit Kindern ein anderes Quartier beziehen können.
Sowohl in Bihac´ als auch in Velika Kladusaˇ würden die Einwohner des Öfteren aushelfen, mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln. Bei beiden handelt es sich um knappe Güter, die Migranten würden nicht regelmäßig etwas zu essen bekommen, heißt es. In Velika Kladusaˇ halten sich schätzungsweise zwischen 400 und 500 Menschen auf, und für sie alle gebe es lediglich zwei Toiletten und zwei behelfsmäßig eingerichtete Duschmöglichkeiten.
Die kroatischen Behörden weisen Vorwürfe von systematischer Gewalt zurück. Vielmehr seien die Flüchtlinge oftmals bewaffnet oder würden sich die Verletzungen selbst zufügen. Das EU-Mitglied Kroatien ist nicht Teil der Schengen-Zone. Der Prozess der Aufnahme Kroatiens in den Schengen-Raum fiel mit der Flüchtlingsbewegung durch den Balkan vor drei Jahren zusammen, woraufhin der Prozess zu stocken begann.
Neben den Familien, die nun in Velika Kladusaˇ und Bihac´ gestrandet sind, handle es sich bei den Migranten vor allem um junge Männer. Berichten zufolge stammen die meisten aus Ländern wie Afghanistan, Iran und Syrien, aber auch aus Pakistan und Libyen.