China setzt auf künstliche Intelligenz
Technologie. China will die USA bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz einholen – und spielt die Vorteile seines autoritären Herrschaftssystems aus. Dies wird nicht nur wirtschaftliche, sondern auch militärische Folgen haben.
Schäbig wirkt das Hochhaus im Pekinger Stadtteil Zhongguancun. Dabei trägt es den nicht gerade bescheidenen Namen Meeresdrachen. Und alt ist das Gebäude auch noch nicht. Gerade einmal zehn Jahre vielleicht. Die Schaufenster im Erdgeschoß sind dennoch bereits zugeklebt, die Geschäfte offenbar schon seit Monaten geschlossen. Was man von außen nicht erahnen kann: In den Stockwerken darüber ballt sich Chinas Intelligenz.
Neben rund einem Dutzend weiterer Start-ups hat auch Horizon Robotics in den oberen Etagen des heruntergekommenen Gebäudes eine Bleibe gefunden. Die Mieten seien extrem hoch, sagt Firmenchef Yu Kai. Ihm sei es jedoch wichtig gewesen, in dieser Gegend der chinesischen Hauptstadt die Zentrale zu haben, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. Schließlich sei Zhongguancun Pekings Silicon Valley.
Das gerade einmal drei Jahre alte Unternehmen entwickelt Elektronikbausteine für künstliche Intelligenz (KI). Trotz seines geringen Alters gilt es bereits als eine der aussichtsreichsten Firmen in dieser Technologie. „Unsere Mission ist es, eine weltweit führende Plattform für künstliche Intelligenz zu schaffen“, sagt Firmengründer Yu Kai.
Horizon Robotics entwickelt Chips, die auf die Abbildung von gehirnähnlichen Strukturen ausgelegt sind. Sie sollen Situationen und Muster erkennen und deuten. Das schaffe völlig neue Betätigungsfelder sowohl für die Automobilbranche, die Luftfahrt, aber natürlich auch die Sicherheitsindustrie.
Dabei ist Horizon Robotics nur eine von mehreren Dutzend Firmen allein in Peking, die an der Technologie für künstliche Intelligenz forschen. China ist auf dem besten Weg, zum Führer dieser neuen Technik zu werden. China soll bis zum Jahr 2025 Weltklasseniveau erreichen, hat der Staatsrat im vergangenen Jahr als nationales Ziel vorgegeben. Präsident Xi Jinping erklärte sie gar zu den wichtigsten Pfeilern seiner Wirtschaftspolitik. „Es gilt, die tief greifende Integration von Internet, Big Data, künstlicher Intelligenz und der Realwirtschaft zu fördern“, sagte er auf einer programmatischen Parteitagsrede im vergangenen Jahr. Bei der KI handle es sich um „die strategische Technologie der Zukunft“.
Wer KI beherrscht, sichert sich nach Ansicht von Experten auch militärische und geostrategische Vorteile. Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers spricht bereits von einem „KI-Rüstungswettlauf“zwischen China und den USA. Viel wichtiger als der Erhalt und die Schaffung von Industriearbeitsplätzen im derzeit to- benden Handelsstreit zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt sei der Krieg um „Forschung, Investitionen und fähige Köpfe“.
Tatsächlich ist Horizon Robotics nur eine Firma von vielen, die sich auf die KI-Technik spezialisiert haben. Allein in der unmittelbaren Nachbarschaft zählt die Pekinger Stadtverwaltung mehr als 400 entsprechende Firmen. Schon jetzt ist China die Nummer eins bei der Anmeldung neuer Patente in diesem Bereich. Einiges davon ist auch schon in Gebrauch, vor allem auf dem Gebiet der Gesichtserkennung.
Ein paar Hundert Meter weiter von Horizon sitzt die Firma Megvii. Sie hat sich auf die Entwicklung von Gesichtserkennungssoftware spezialisiert. Ihr größter Kunde ist die Polizei. Diese Technik basiert auf neuronalen Netzen. Sie erkennt Personen auch auf unscharfen Bildern und in Menschenmengen mit Tausenden von Leuten.
Bei demnächst 400 Millionen öffentlich angebrachten Kameras im ganzen Land wird bald kaum einer mehr die Chance haben, sich anonym durch die Straßen zu bewegen.
Ein autoritär geführter Staat verschafft sich auf diese Weise einen erheblichen technischen Vorsprung gegenüber Demokratien, in denen Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte einen hohen Stellenwert genießen. „Der Grund für Chinas Erfolge in KI und Data Mining ist ein fehlendes Bewusstsein für Datenschutz“, sagt Dong Tao, China-Ökonom bei der Großbank Credit Suisse. Allein die Kommu- nikations-App WeChat verarbeite täglich sieben Milliarden Fotos, die dem Staat und den KI-Forschern potenziell zur Verfügung stehen.
Die Firma Horizon verrät bislang noch nicht allzu viel über künftige Anwendungen. Klar ist, dass diese Chips ein weites Einsatzfeld haben werden. So auch im Flugzeugbau, in einem Bereich, in dem selbsttätige Fluggeräte und verbesserte Autopiloten im Einsatz sind. Hier kommt wiederum das Militär ins Spiel. Chinas Volksbefreiungsarmee hat bereits mehrfach Interesse an der KITechnologie signalisiert.
„Informationsbeweglichkeit entscheidet künftig über Luftkämpfe, elektromagnetische Eingriffe oder Cyberoperationen“, sagt Yang Wei, Vizechef der Kommission für Wissenschaft und Technik bei der Aviation Industry Corporation of China (AVIC), einem Staatskonglomerat. Das eröffne „eine Chance für China, den Westen zu überholen“.