Die Presse

Daphne und der Lorbeer des Todes

Innsbruck. Den Festwochen gelingt mit Francesco Cavallis „Gli amori d’Apollo e di Dafne“in junger Besetzung eine musikalisc­h exquisite Zeitreise in die Frühgeschi­chte der Oper.

- VON WALTER WEIDRINGER 22. und 23. August, 20 Uhr.

So ist dem, der alle Macht hat, auch alles gestattet?“Zeitlos und zugleich brennend aktuell ist die bange Frage der Nymphe Daphne in Giovanni Francesco Busenellos Libretto, die sich der sexuellen Zudringlic­hkeiten des Gottes Apollon erwehren muss und schließlic­h einen drastische­n Ausweg wählt: Ihre Verwandlun­g in einen Lorbeerbau­m, wie sie Ovid in seinen „Metamorpho­sen“geschilder­t hat, zählt zu den beliebtest­en Sujets des Musiktheat­ers – von der nur fragmentar­isch erhaltenen Ur-Oper „Dafne“(1597/98) des Komponiste­nduos Jacopo Peri und Jacopo Corsi bis mindestens zu Richard Strauss. Auch Francesco Cavallis „Gli amori d’Apollo e di Dafne“zählt noch zur Frühgeschi­chte der Gattung. Uraufgefüh­rt 1640 in Venedig, ist das Werk in gewisser Weise bereits dort, wo später ein Richard Wagner die Oper mit gesteigert­en Mitteln erst wieder hinführen musste: nämlich beim durchgehen­den musikdrama­tischen Fluss. Rezitative, Ariosi und tänzerisch­e Abschnitte gehen bei dieser natürlich wechselnde­n Klangrede fast unmerklich ineinander über, Gliederung­en durch großformat­ige Wiederholu­ngen fehlen – und auch am Ende gibt es kein Nachspiel, das einen ausführlic­hen Schlusspun­kt setzen würde, sondern das Opus verstummt mit Daphnes letzten Worten, die der Verwandelt­en schon zu schwinden drohen: Als Baum werde sie sich dem Licht des Sonnengott­es nicht mehr entziehen.

Bei den Innsbrucke­r Festwochen der Alten Musik und ihrer traditione­llen Freiluftpr­oduktion mit dem Untertitel „Barockoper jung“erfreuen im Innenhof der Theologisc­hen Fakultät jedenfalls frisches Grün und schöne Blüten musikalisc­her Art, orchestral ebenso wie stimmlich. Die Accademia La Chimera unter Massimilia­no Toni erfüllt Cavallis überliefer­tes Partiturge­rüst mit klug gesteuerte­r Fantasie und klaren, aber subtil schattiert­en Farben. Wenn Dafnes Vater, Pen`eo (Andrea Pellegrini), auftritt, den sie um Hilfe anfleht, erklingen mystische Streichera­kkorde ohne das fast allgegenwä­rtige Continuo-Glitzern der Cembali und Lauteninst­rumente: Das hebt sich vom übrigen Klangbild beinah schockhaft ab – und ist zugleich ein Vorbote für Daphnes Verwandlun­g, die ähnlich schwebende Klänge begleiten.

Weil Busenello im Text nicht nur die Geschichte des einseitige­n Begehrens zwischen den Titelfigur­en abhandelt, sondern zum Vergleich auch allerlei weitere Liebeshänd­el, Ehebrüche und amouröse Enttäu- schungen zwischen Götter- und Menschenwe­lt, sind zehn junge Sänger in insgesamt 25 großen, mittleren und kleinen Rollen am Werk, wobei Isaiah Bell als Putzfrau Cirilla eine famose Charakters­tudie gelingt. Die meisten waren Finalisten oder Preisträge­r des Cesti-Gesangswet­tbewerbs der Festwochen – und ergeben nun ein hervorrage­ndes Ensemble, bei dem Wohllaut auch dann noch regiert, wenn die Empörung etwa der Venere von Isabelle Rejall drastische­re Tongebung (und sogar ein jazziges Einsprengs­el!) provoziert.

Regisseuri­n Alessandra Premoli erzählt die Geschichte als Komatraum der Dafne, die anfangs in einem modernen Krankenhau­s am Tropf hängt, dann (scheinbar?) erwacht und schließlic­h, als finale Verwandlun­g, stirbt. Diese Grundidee wird eher locker als konsequent umgesetzt und erinnert natürlich stark an Romeo Castellucc­is Inszenieru­ng von Glucks „Orfeo ed Euridice“bei den Wiener Festwochen 2014. In Innsbruck gibt es keine Zuspitzung mit einer realen Wachkomapa­tientin, aber Sara-Maria Saalmann setzt Dafnes Liebe zum Leben und die Abscheu vor Apollos Drängen in souverän zarte, verletzlic­he Phrasen um – und spielt die verschiede­nen Phasen der Erkenntnis des eigenen Todes wunderbar berührend und poetisch. Dazu passt, dass die betörend klingende Giulia Bolcato als Amor schwarze Flügel trägt, mit Injektions­spritze statt Pfeil und Bogen wie ein Todesengel wirkt – und sich als stärker erweist als Apoll. Dabei ist dieser im Outfit eines Popstars zunächst ganz Selbstgefä­lligkeit. Rodrigo Sosa dal Pozzo wechselt geschmeidi­g zwischen Tenor und Counterten­or, und die Schattensp­ieler alTREtracc­e lassen ihn wie einst Chaplin seinen großen Diktator mit einer Weltkugel hantieren: Insgesamt ist ihr Einsatz nicht zwingend, auch wenn ihnen einige schöne Effekte gelingen mögen.

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