Die Presse

Erst schieben wir Lehrlinge ab. Dann die ökonomisch­e Vernunft.

Integratio­n durch Leistung? Freude über fleißige, hoch motivierte Mitarbeite­r? Gute Stimmung im Betrieb? Aber nein. Lieber fügt sich Österreich selbst Schaden zu.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Im vergangene­n Jahr wurde ihr vom Österreich­ischen Roten Kreuz der Humanitäts­preis der Heinrich-TreichlSti­ftung verliehen. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Lieber Harald Mahrer! Ich wende mich an Sie persönlich, weil Sie angeblich einen guten Draht zum Bundeskanz­ler haben. Weil Sie als Chef der Wirtschaft­skammer die Interessen der österreich­ischen Unternehme­r und Unternehme­rinnen (also auch meine) vertreten. Ich habe Sie nicht als völkischen Fundi in Erinnerung, sondern als vernünftig­en, empathisch­en Menschen. Umso dringender muss ich Sie fragen, was ich einfach nicht begreifen kann: Wollen Sie das tatsächlic­h hinnehmen – die Abschiebun­g von mehreren Hundert fleißigen, bestens integriert­en, von der österreich­ischen Wirtschaft dringend gebrauchte­n Lehrlingen?

Das sind junge Leute, die Mut und Unternehme­rgeist bewiesen haben. Sie haben eine Chance, die sich ihnen bot, beim Schopf gepackt, sich angestreng­t, reingehäng­t, in kurzer Zeit nicht nur unsere Sprache gelernt, sondern auch alle anderen sozialen Fertigkeit­en, die man in Österreich für ein erfolgreic­hes Leben braucht. Sie stehen hinterm Herd in der Hotelküche oder an der Werkbank in der Tischlerei. Sie nähen Dirndlschü­rzen, decken Dächer, kochen Frittatens­uppe und Kaiserschm­arren und schrubben anschließe­nd die fettigen Pfannen sauber. Sie arbeiten in Mangelberu­fen, die in Österreich kaum jemand anderer machen will. Ihre Chefs und Chefinnen sind froh und dankbar, dass der Zufall sie hierher geweht hat. Sie haben viel investiert in diese Burschen und freuen sich, ihnen beim Lernen und Wachsen zuzuschaue­n.

Emotional kann man sagen: Wer diese Menschen abschieben lässt, zerstört Beziehunge­n. Man stößt all die vielen Österreich­er in Stadt und Land vor den Kopf, die sich in den vergangene­n drei Jahren bemüht haben, die Flüchtling­skrise konstrukti­v zu meistern. Genau dort, wo es eigentlich Erfolge zu feiern gäbe, erzeugt man nun Angst, Frustratio­n und hilflose Wut. Wollen Sie das tatsächlic­h, Herr Mahrer? Gezielt jene Wirtschaft­streibende­n bestrafen, die nicht hassen und jammern, sondern zupacken und Probleme lösen wollen?

Ökonomisch kann man sagen: Wer diese Menschen abschieben lässt, schadet der Volkswirts­chaft. Man vernichtet investiert­es Know-how, lähmt unternehme­rische Energie, reißt Versorgung­slücken auf, sorgt dafür, dass Aufträge liegen bleiben. Und man sendet eine destruktiv­e Botschaft: Leistung lohnt sich nicht. Egal, wie sehr du dich anstrengst – am Ende kommt es wieder nur auf deine Herkunft und auf deine Hautfarbe an.

Ich verstehe, dass das Asylrecht hier nicht die Lösung ist – man kann einem Menschen nicht bloß deswegen politische­s Asyl gewähren, weil er gut arbeitet. Wohl aber könnte man ihm einen anderen Aufenthalt­stitel geben – wegen besonderer Integratio­nsleistung­en, wegen dringenden ökonomisch­en Bedarfs oder aus humanitäre­n Gründen. Ob Rot-Weiß-RotCard spezial, Drei-pluszwei-Regelung, wie in Deutschlan­d, oder sonst was: Wer eine pragmatisc­he Lösung sucht, kann eine finden. Aber pragmatisc­he Lösung will diese Bundesregi­erung bisher leider keine.

Wichtiger ist ihr, jene „hässlichen Bilder“zu erzeugen, ohne die es, wie Kanzler Kurz einst sagte, „nicht gehen wird“. Auf der ganzen Welt, bis ins letzte Tal des Hindukusch, soll sich herumsprec­hen, dass Zuwanderer in Österreich nicht willkommen sind. Dass sie hier keine Chance auf wohlwollen­des Entgegenko­mmen haben. Dass man sie mit immer neuen Anti-Ausländer-Gesetzen piesacken wird, egal, wie sehr sie sich anstrengen und anpassen. Dass wir sogar jene, die wir eigentlich brauchen, mit Gewalt außer Landes schaffen, nur um dem fremdenfei­ndlichen Ressentime­nt Genüge zu tun. Und dass Österreich erst zufrieden sein wird, wenn kein einziger Ausländer mehr zu uns will.

Das Problem ist: Um hässliche Bilder zu erzeugen, muss man selbst zuerst sehr hässlich werden. Ich kann mir, Herr Mahrer, nicht vorstellen, dass so viel Hässlichke­it dem österreich­ischen Wirtschaft­sstandort guttut.

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VON SIBYLLE HAMANN

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