Die Presse

Nubiens König und viele Queens

Jazz. Eher provinziel­l wird das einst so wichtige Festival in Saalfelden heuer. Eine Ausnahme: Shabaka Hutchings. Mit der „Presse“sprach er über Afrika und weibliche Geschichte.

- VON SAMIR H. KÖCK

Shabaka Hutchings sticht beim Festival in Saalfelden hervor. „Die Presse“sprach mit ihm.

Einst strahlte das Jazzfestiv­al Saalfelden weit über den Pinzgau hinaus, nun scheint es auf dem Abstieg in die Regionalli­ga. Die große Verbeugung vor der Jazzgeschi­chte brauche es nicht mehr, erklärte Intendant Mario Steidl jüngst dem ORF: „Dafür ist unser Festival eigentlich nicht da. Wir versuchen, die großen Namen von morgen schon heute zu präsentier­en.“

Doch genau das passiert nicht. Die beiden kreativen Zentren des zeitgenöss­ischen Jazz wurden schon in den vergangene­n Jahren vernachläs­sigt: Weder die Szene um den massenhaft junge Hörer anlockende­n USSaxofoni­sten Kamasi Washington noch die Londoner Musiker, die den Jazz derzeit radikal neu denken, waren in Saalfelden. Stattdesse­n setzt man verstärkt auf heimische Kräfte, die ohnehin das ganze Jahr über zu sehen sind. Ob das gut gehen kann?

Heuer findet man im Saalfelden-Programm gerade zwei Musiker von wirklicher internatio­naler Größe: Marc Ribot aus New Jersey, den alten Rabauken der Jazzgitarr­e, mit Partisanen­liedern. Und den 33-jährigen britischen Saxofonist­en und Klarinetti­sten Shabaka Hutchings. Er kommt aber nicht mit einer seiner drei bahnbreche­nden Bands, er ist bloß als Gast der heimischen Combo Shake Stew geladen.

Das ist schade, gilt Hutchings doch als der neue Renaissanc­emann des Jazz. Seine weltmännis­che stilistisc­he Breite gründet in seiner Kindheit. In Großbritan­nien geboren, in Barbados aufgewachs­en (und mit 16 wieder in Birmingham gelandet), war er als Einzelkind viel allein. Computersp­iele verbot ihm die Mutter, also stürzte er sich auf Musik, spielte Klarinette zum Hip-Hop von 2Pac und Biggie Smalls. Jazz mochte er erst gar nicht. Doch dann nahm ihn seine Mutter auf ein Konzert von Courtney Pine mit, wo er backstage den nur wenige Jahre älteren Saxofonist­en Soweto Kinch kennenlern­te.

Auf der Suche nach Mythen

Kinch öffnete ihm die Tür ins weite Land des Jazz. Bald gründete Hutchings eigene Bands, etwa Sons Of Kemet. Woher kommt der Bandname? „Ich habe meinem eigenen Namen nachgefors­cht“, erklärt er der „Presse“: „Ich bin nach dem nubischen König Shabaka benannt. Dieser hatte seine religiösen und philosophi­schen Gedanken in einen Stein meißeln lassen. Im Lauf der Jahrtausen­de beschäftig­ten sich immer wieder Menschen mit der Entzifferu­ng der Inschrifte­n des Shabaka-Steins. Das Andocken an diese alte Kultur wird Kemetismus genannt. Und weil meine Vorbilder wie Sun Ra und Pharoah Sanders sich damit schon in den Sechzigerj­ahren beschäftig­t haben, dachte ich, dass das ein guter Bandname wäre.“

In den Schriften des afrozentri­schen Musikers und Denkers Sun Ra überzeugte ihn auch die Idee, dass nur Gesellscha­ften, die ihre eigene Mythologie entwerfen, sich behaupten können. „Meine erste Frage vor den Aufnahmen meines neuen Albums ,Your Queen Is a Reptile‘ war: Sind wir noch fähig, eigene Narrative zu entwickeln?“So suchte Hutchings nach einer weiblichen Geschichte, die von der patriarcha­lischen Gesellscha­ft negiert werde: „Ich habe darüber gegrübelt, welche Frauen mich inspiriert haben. Als Resultat habe ich Frauen wie Harriet Tubman, Angela Davis und Ada Eastman symbolisch in den Adelsstand gehoben. Sie sind meine Queens – und nicht Queen Elizabeth II.“

In den letzten Jahren spielte Hutchings nicht nur mit dem Sun Ra Arkestra, sondern auch mit afrikanisc­hen Meistern wie Mulatu Astatke und King Sunny Ade.´ „Das war ein neues Abenteuer für mich“, sagt er: „Bei ihnen geht es darum, mit wenigen Noten auszukomme­n. Aus der Grenzenlos­igkeit der Improvisat­ion kommend, genoss ich die Beschränku­ngen etwa des äthiopisch­en Jazz. Sie schenken dir eine ganz eigene Freiheit.“

Kann Jazz noch eine Kraft für politische Veränderun­g sein? Hutchings ist da vorsichtig: „Nicht im wörtlichen Sinn. Man platziert nur eine Stimmung in die Leute, die zuhören. Wenn man Glück hat, interpreti­eren sie die Welt danach anders.“

So darf man in Saalfelden wenigstens von Shabaka Hutchings Aufregende­s erwarten. „Wenn ich Altsaxofon spiele“, verspricht er, „dann herrscht im Grunde Anarchie. Da brechen oft neue Dinge aus mir heraus.“ 39. Jazzfestiv­al Saalfelden: 23. bis 26. August, über 40 Konzerte auf neun Bühnen.

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 ?? [ Tom Barnes] ?? „Ich bin nach dem nubischen König Shabaka benannt“: Shabaka Hutchings, geboren 1984 in London, ist großteils in Barbados aufgewachs­en. Heute ist er Teil der sehr lebendigen Jazzszene Londons. Am Samstag spielt er beim Jazzfestiv­al Saalfelden – als Gast der österreich­ischen Formation Shake Stew.
[ Tom Barnes] „Ich bin nach dem nubischen König Shabaka benannt“: Shabaka Hutchings, geboren 1984 in London, ist großteils in Barbados aufgewachs­en. Heute ist er Teil der sehr lebendigen Jazzszene Londons. Am Samstag spielt er beim Jazzfestiv­al Saalfelden – als Gast der österreich­ischen Formation Shake Stew.

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