Die Presse

Wie Amerikas Gefangenen-Deal mit Erdo˘gan schiefgela­ufen ist

Hinterzimm­er-Diplomatie. Der US-Präsident sorgte für die Freilassun­g einer türkischen Aktivistin aus einem israelisch­en Gefängnis. Dafür erwartete er, dass der türkische Präsident den inhaftiert­en US-Pastor Andrew Brunson ausreisen lässt. Doch der Handel

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Als die Türkin Ebru Özkan am Flughafen von Tel Aviv festgenomm­en wurde, konnte sie nicht ahnen, dass ihr Schicksal bald mit dem eines christlich­en Geistliche­n und der internatio­nalen Politik verknüpft sein würde. Der israelisch­e Geheimdien­st ließ Özkan unter dem Vorwurf einsperren, sie habe der radikalen Palästinen­serorganis­ation Hamas im Gazastreif­en geholfen. Erst mehr als einen Monat später konnte die 27-Jährige nach Hause fliegen.

Wie sich nun herausstel­lt, war ihre Heimkehr Teil eines internatio­nalen Deals. Er hätte zur Freilassun­g des US-Pastors Andrew Brunson in der Türkei führen sollen, scheiterte am Ende aber an türkischen Nachforder­ungen. Rechtsstaa­tliche Prinzipien spielten bei dem Poker kaum eine Rolle.

US-Präsident Donald Trump hat jetzt in einem Interview mit der Nachrichte­nagentur Reuters erstmals bestätigt, wie die Geheimverh­andlungen mit der Türkei abgelaufen sind. Trumps Schilderun­gen und Äußerungen des türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ gewähren einen Einblick in die Hinterzimm­er der internatio­nalen Diplomatie, in denen ungeachtet aller öffentlich­en Bekenntnis­se zur Unabhängig­keit der Justiz über politische Deals verhandelt wird.

Beim Nato-Gipfel am 11. Juli bat Erdogan˘ den US-Präsidente­n um Hilfe im Fall Özkan. Damals war das Verhältnis zwischen den beiden Staatschef­s noch in Ordnung: Trump lobte Erdogan˘ öffentlich mit den Worten, der autokratis­che türkische Präsident mache alles richtig. Nach seinem Treffen mit Erdogan˘ in Brüssel war Trump nach eigenen Worten sicher, sich mit der türkischen Seite auf einen Handel verständig­t zu haben: Er selbst sollte für Özkans Freilassun­g sorgen, dann werde Erdogan˘ den Pastor Brunson ziehen lassen. Die US-Regierung dringt seit Langem auf die Freilassun­g des Missionars, der seit fast zwei Jahren unter äußerst fragwürdig­en Terrorvorw­ürfen in Untersuchu­ngshaft sitzt. Kritiker werfen dem türkischen Präsidente­n vor, westliche Häftlinge als politische Geiseln zu benutzen.

Wie von Erdogan˘ gewünscht, bat Trump den israelisch­en Premier, Benjamin Netanjahu, um Özkans Freilassun­g. Netanjahu handelte sofort. Obwohl gegen die Gaza-Aktivistin vier Anklagepun­kte vorlagen und sie vom Geheimdien­st als mutmaßlich­e „Bedrohung für die nationale Sicherheit Israels“beschriebe­n wurde, saß sie am 15. Juli, vier Tage nach dem Brüs- seler Treffen Trumps mit Erdogan,˘ in einem Flugzeug in die Türkei.

„Ich habe diese Person für ihn rausgeholt“, sagte Trump jetzt im Interview über Özkan und Erdogan.˘ Drei Tage nach Özkans Heimkehr stand in Izmir ein Gerichtste­rmin für Pastor Brunson an, bei dem Washington fest mit der Freilassun­g des Missionars rechnete. Trump fiel aus allen Wolken, als das türkische Gericht die Untersuchu­ngshaft verlängert­e.

Zwar entließen die türkischen Behörden den Pastor am 25. Juli aus dem Gefängnis in den Hausarrest, doch für Trump war das zu wenig. Der Besuch einer türkischen Delegation in Washington brachte keinen Durchbruch.

Laut Erdogan˘ stellte Trump der Türkei schließlic­h ein Ultimatum für Brunsons Freilassun­g, doch Ankara ließ die Frist am 8. August verstreich­en. Zwei Tage später verkündete Trump seine Wirtschaft­ssanktione­n, die den Kurs der Türkischen Lira weiter in den Sinkflug schickten. Inzwischen droht Washington mit zusätzlich­en Maßnahmen. Gegenleist­ungen für Brunsons Freilassun­g lehnt Trump ab: Es werde keine Zugeständn­isse mehr geben.

Erdogans˘ Regierung bestreitet, dass sie Brunsons Freilassun­g zugesagt habe. Laut Medien wollte Ankara nicht nur Özkan freibekomm­en, sondern auch durchsetze­n, dass die US-Behörden Ermittlung­en gegen die türkische Staatsbank Halkbank wegen Verletzung der Iran-Sanktionen einstellen. Auf die Bank könnten Geldstrafe­n in Milliarden­höhe zukommen. Trump habe das abgelehnt, meldet das „Wall Street Journal“. Nun geben sich beide Präsidente­n kompromiss­los. Die Suche nach einer Lösung steckt in einer Sackgasse.

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