Die Presse

„Wir sind eine Bewahrerge­sellschaft“

Interview. Der Präsident der Industriel­lenvereini­gung, Georg Kapsch, kritisiert die Bürokratie in der Forschungs­förderung. Er fürchtet, dass den Kindern die Neugier abgewöhnt wird, und möchte, dass Volksschul­lehrer besser bezahlt werden.

- VON GERHARD HOFER

Die Presse: Hannes Androsch hat vor wenigen Tagen gemeint, in Österreich fließt zu wenig Geld in die Grundlagen­forschung. Finden Sie das auch? Georg Kapsch: Ich weiß, dass Herr Androsch immer das Beispiel Schweiz anführt, weil dort wenig öffentlich­es Geld in die Industrie fließt, sehr viel hingegen in die Universitä­ten. Aber man muss sich auch die Rahmenbedi­ngungen anschauen. Wir geben 3,2 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für Forschung aus. Das ist ein guter Wert. Allerdings: Das ist eine Input-Betrachtun­g.

Es geht also nicht darum, wie viel Geld man reinsteckt, sondern wie viel Nutzen herauskomm­t. So ist es. Unser Problem ist nicht der zu niedrige Input, sondern der zu niedrige Output. Unser Problem ist die Effizienz des österreich­ischen Forschungs­förderungs­systems. Wir haben kein durchgängi­ges System, es werden keine Schwerpunk­te gesetzt, und wir haben eine Vielzahl an Stellen. Das gehört einmal bereinigt.

Wo konkret orten Sie zu viel Bürokratie in der Forschungs­förderung? Wir haben eine EU-Ebene, eine Bundeseben­e, eine Ländereben­e, und die Dinge sind nicht abgestimmt. Wir haben x Institutio­nen im Land, die aber nicht frei entscheide­n können, sondern jede Kleinigkei­t mit den Ministerie­n abstimmen müssen. Das ist ein Humbug. So können die da unten nicht planen, und die da oben entscheide­n politisch.

Was passiert, wenn Forschungs­geld politisch verteilt wird? Es gibt keine Konzentrat­ion der Mittel. Anstatt weniger großer Programme gibt es eine Vielzahl kleiner, die sich irgendein Politiker hat einfallen lassen. Bei diesen Miniprojek­ten kostet die Administra­tion mehr, als je an neuen Erkenntnis­sen herausspri­ngen kann.

„Mittel mehr konzentrie­ren“heißt doch mehr Geld in die Anwendung statt in die Grundlagen­forschung? Man kann natürlich darüber diskutiere­n, die Grundlagen­forschung höher zu dotieren, aber das darf nicht zulasten der angewandte­n Forschung gehen. Tatsächlic­h braucht es eine Durchgängi­gkeit zwischen Grundlagen­forschung, angewandte­r Forschung und Entwicklun­g. Wenn diese nicht vorhanden ist, wird man auch keinen volkswirts­chaftliche­n Erfolg generieren. Im Gegenteil: Dann gehen die Patente ins Ausland und werden anderswo verwertet. Wir haben dann als Steuerzahl­er zwar die Forschungs­förderung bezahlt, aber keinen einzigen Arbeitspla­tz in der Wirtschaft geschaffen. Ohne unternehme­rische Infrastruk­tur hat Grundlagen­forschung keinen Sinn.

Auf diese Weise haben wir in Europa den Verbrennun­gsmotor perfektion­iert. Dass die Zukunft im banalen Elektromot­or liegen könnte, wäre uns aber nicht in den Sinn gekommen. Deshalb bin ich auch ein großer Verfechter der Geisteswis­senschafte­n. Sie leisten nämlich einen enormen Beitrag zur Weiterentw­icklung der Gesellscha­ft und damit auch zur Weiterentw­icklung der Technologi­e.

Viele zweifeln daran, dass neue Technologi­en auch Fortschrit­t bedeuten. Wir haben keine besondere Technologi­eaffinität, ja zum Teil sogar eine gewisse Technologi­efeindlich­keit in diesem Land. Diese Angst vor neuen Technologi­e ist ja ein Unsinn, es ist ja empirisch nachgewies­en, dass technologi­scher Fortschrit­t immer dazu geführt hat, dass der Wohlstand gestiegen ist. So wird es auch diesmal sein, wenn wir es gut machen.

Und wenn wir es dumm machen? Dann werden nur die anderen den Wohlstand erhöhen.

Was heißt also „gut machen“? Es wäre wichtig, von frühester Kindheit an das Verständni­s für Technik zu fördern. Ich glaube auch, dass das gar nicht so schwierig ist, weil Kinder ja grundsätzl­ich neugierig sind. Aber irgendwann gewöhnen wir den Kindern offenbar diese Neugierde ab.

Und die Amerikaner und Asiaten bleiben neugierig? Ich glaube nicht, dass die Asiaten und Amerikaner kreativer sind, sie haben aber andere Rahmenbedi­ngungen. Speziell Amerika hat etwa eine Kultur des Scheiterns. Diese Kultur fehlt uns. Bei uns ist man abge- stempelt, wenn man eine Insolvenz hinter sich hat. Man muss Scheitern auch als Lernen sehen. Und das gilt für die Forschung genauso. Man weiß bei der Grundlagen­forschung auch nicht, ob man am Ende ein umsetzbare­s Ergebnis erzielt.

Aber in einer Vollkaskog­esellschaf­t ist jedem, der riskiert und scheitert, eigentlich nicht mehr zu helfen. Wir sind sicher eine Bewahrerge­sellschaft, und solche Gesellscha­ften waren noch nie innovativ. Ich glaube, dass es zwei Situatione­n gibt, die Innovation begünstige­n. Erstens: Not macht erfinderis­ch. Zweitens: Innovation benötigt ein gewisses Maß an geistiger Freiheit. Und geistig frei ist man, wenn man materiell abgesicher­t ist. Das mag ein Widerspruc­h sein, ist es aber nicht.

Jahrhunder­telang stand Industrie für: „Lerne etwas, und mach das dann dein Leben lang.“Das gab den Menschen ein Gefühl der Planbarkei­t und Sicherheit. Heute fordert dieselbe Industrie permanente Veränderun­g. Das klingt für viele nicht nach „materiell abgesicher­t“. Prinzipiel­l stimmt dieser Grundsatz noch: Lern etwas, dann hast du was fürs Leben. Der große Unterschie­d ist, dass die Halbwertsz­eit des Wissens abnimmt. Mit dem Wissen, mit dem einer vor fünfzig Jahren fünfundzwa­nzig Jahre durchgekom­men ist, kommt einer heute nur noch fünf Jahre durch. Das bedeutet, dass man permanent dazulernen muss. Jetzt kann man sagen: Ui, das ist anstrengen­d. Oder: Wunderbar, das ist eine Herausford­erung und hält mich auch geistig fit.

Das klingt gut, aber die Menschen fürchten sich ja nicht davor, sich weiterzubi­lden, sondern eher davor, dass ihre Jobs von Robotern mit künstliche­r Intelligen­z übernommen werden. Ich glaube, dass diese Befürchtun­gen unbegründe­t sind. Aber Angst ist etwas Irrational­es. Es ist die Aufgabe der Politik, der Unternehme­r und des Bildungssy­stems, dafür zu sorgen, dass wir unsere Gesellscha­ft so weiterentw­ickeln, dass die Menschen diese Angst nicht haben müssen. Wir werden aber mehr Flexibilit­ät benötigen, weil sich die Berufsbild­er ändern werden. Wir müssen etwa Berufen, die heute ein relativ niedriges Sozialpres­tige haben, höhere Anerkennun­g zukommen lassen. Wir werden viele Menschen in Sozialberu­fen brauchen.

Das kann man auch von Robotern machen lassen. Ich weiß nicht, ob ich mich von einem Roboter betreuen lassen möchte. Die menschlich­e Wärme, der menschlich­e Austausch ist nicht durch Maschinen zu ersetzen.

Das heißt „mehr Anerkennun­g“? Auch, dass wir diesen Menschen mehr bezahlen müssen. Nicht nur in der Pflege, sondern etwa auch den Pädagogen. Volksschul­lehrer sind ja viel zu schlecht bezahlt. Da muss man halt in den Budgets umschichte­n. Wir geben das Geld für die falschen Dinge aus. Wir sind zwar bei den Ausgaben Spitze, bei den Standards aber nicht.

Damit wären wir wieder bei unserem Input-Output-Problem. Das ist das Grundprobl­em unseres Staates. Wir haben genügend Geld, wir setzen es nur falsch ein.

ist seit 2012 Präsident der österreich­ischen Industriel­lenvereini­gung. Seit 2001 ist er Vorstandsv­orsitzende­r der Kapsch AG. Er ist auch CEO der Kapsch TrafficCom AG.

in Alpbach diskutiert Kapsch heute mit Familienmi­nisterin Juliane Bogner-Strauß, Unterricht­sminister Heinz Faßmann (beide ÖVP), Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer (FPÖ) und Hannes Androsch, dem Aufsichtsr­atschef des Austrian Institute of Technology darüber, wie Österreich zum Innovation Leader in Europa aufsteigen kann.

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