Die Presse

Wegen der Katastroph­e in Genua sollen die Autobahnen verstaatli­cht werden. In Frankreich aber bewährt sich das private Modell.

Italien.

- VON KARL GAULHOFER

Die Pulloverma­cher sind also schuld. Nach dem Einsturz der Autobahnbr­ücke in Genua blasen Italiens Koalitions­parteien zur Jagd auf verschiede­ne Sündenböck­e: Die rechte Lega bevorzugt die bösen Bürokraten in Brüssel, die mit strengen Defizitreg­eln angeblich Investitio­nen in die Straßensic­herheit verhindern. Die Linkspopul­isten der Fünf Sterne haben sich auf die Familie Benetton eingeschos­sen. Deren Modekonzer­n hatte schon um 2000 seine besten Zeiten hinter sich und nutzte die Privatisie­rung der Autobahnen, um sich auf breitere Beine zu stellen.

Der Clan aus Treviso kontrollie­rt mit 30 Prozent Anteil den nun börsenotie­rten Infrastruk­turkonzern Atlantia. Dessen Tochter Autostrade betreibt 56 Prozent des Autobahnne­tzes – darunter das ligurische Teilstück mit der Morandi-Brücke. „Sofort die Konzession entziehen!“, war die reflexarti­ge Reaktion der „Grillini“.

Bis hinauf zu Premier Conte, der unverblümt meinte, auf ein Urteil der Justiz können man nicht warten – und damit den Rechtsstaa­t in Frage stellte. Doch der Spaß, die Reichen an den Pranger zu stellen, käme teuer: Die Benettons würden auf Schadeners­atz klagen. Da ihre Konzession noch 24 Jahre läuft, summieren sich die entgangene­n Gewinne auf elf Mrd. Euro.

Und dann müsste man die „von Amts wegen“eingezogen­e Konzession gemäß EU-Recht neu vergeben, wieder an Private, denen man nun ja so heftig misstraut. Womit die radikale Lösung am Tapet ist: verstaatli­chen. Aber weil eine Übernahme noch teurer käme, hielten die Finanzmark­takteure dies anfangs für politische­s Sommerthea­ter. Nun aber konkretisi­ert sich eine realistisc­he Variante: Die staatliche Förderbank CDP, finanziert mit Postspargu­thaben, übernimmt kleinere Anteile, als Kommissar oder Wächter.

Später kann sie aufstocken – eine schleichen­de Renational­isierung. Als Vorbild lobt Vizepremie­r Di Maio auch Österreich, wo der Staat mit seiner Asfinag die Autobahnen nie aus der Hand gegeben hat. Privat oder Staat? Hier die Erfahrunge­n ausgewählt­er Länder. Das Prinzip haben die Italiener nicht erfunden: Die Autobahnen gehören dem Staat, aber er vergibt für fixierte Fristen Konzession­en an private Betreiber, die für Ausbau und Wartung verantwort­lich sind und sich über Mauteinnah­men finanziere­n. Dieses Modell ist in Südeuropa gang und gäbe.

In Italien folgte der Wandel 1999, gegen Ende einer großen Welle von Privatisie­rungen. Die verstaatli­chten Unternehme­n, von der Energie bis zur Stahlindus­trie, waren spätestens in den 1980erJahr­en zu Selbstbedi­ngungsläde­n der Politiker und Korruption­ssümpfen verkommen.

Was die Autobahnen betrifft, haben die Italiener bis heute den Vergleich: Die staatliche Anas baut und betreibt 900 Kilometer (16 Prozent des Netzes), vor allem im armen Süden, wo man keine Maut erheben will. Aus der negativen Berichters­tattung kommt sie nicht heraus: überteuert­e Aufträge, mangelhaft­e Planung und fehlende Aufsicht. Ein krasses Beispiel: Ende 2014 musste ein Streckenab­schnitt in Sizilien eine Woche nach der feierliche­n Eröffnung wieder gesperrt werden, weil die Fahrbahn gefährlich abgesackt war. Ausgerechn­et die für ihre Staatsgläu­bigkeit bekannten Franzosen haben durchaus positive Erfahrunge­n mit privaten Betreibern gemacht. Freilich durfte der Staat die Grundlage legen: Schon seit über sechs Jahrzehnte­n finanziert Frankreich seine Autobahnen ausschließ­lich über Mautgebühr­en und ohne Zuschüsse der Steuerzahl­er (also wie in Österreich).

Damit war die Konzession­ierung von drei Viertel des Netzes im Jahr 2006 nur ein halber Systemwech­sel. Vinci, Eiffage und die spanische Abertis teilen sich den Kuchen für 20 Jahre. Die Lose für die Abschnitte sind aber klein, maximal 150 Kilometer. Das sorgt für Wettbewerb, nervt aber die Autofahrer wegen der vielen Mautstelle­n. Insgesamt gilt das französisc­he Modell jedoch als Erfolgsges­chichte. Die privat betriebene­n Autobahnen kommen in internatio­nalen Rankings sehr gut weg und sind tadellos in Schuss, vor allem im Vergleich mit den Staatsstra­ßen. Freilich sind die Kontrollen streng. Am Ende der Frist müssen die Konzession­äre die (mit Schulden übernommen­e) Leihgabe gänzlich schuldenfr­ei und in einwandfre­iem Zustand retournier­en; die gesamten Risken, wie falsche Prognosen durch einen Wirtschaft­seinbruch, tragen sie.

Deshalb sind aber auch die Mautgebühr­en relativ hoch: Die Fahrt von Paris nach Marseille kostet rund 60 Euro. Über den Konzession­szeitraum soll sich das eingesetzt­e Kapital mit acht Prozent verzinsen, was für öffentlich­e Infrastruk­turprojekt­e üblich ist. Nach ersten Verlustjah­ren müssen dafür Jahre mit recht ansehnlich­en Gewinnen folgen – was 2014 prompt zu Unmut der Bürger und heißen politische­n Debatten führte. Die Deutschen sind skeptisch gegenüber privaten Betreibern. Aber auch verglichen mit Österreich ist ihr Modell konservati­v: Der Steuerzahl­er muss mitzahlen (die Einnahmen der LKW-Maut reichen nicht aus). Der Bund finanziert, die Länder planen, was Reibungsve­rluste schafft. Komplexe Vorgaben für öffentlich­e Ausschreib­ungen (etwa die Bevorzugun­g regionaler Firmen) führen dazu, dass Bauprojekt­e lange dauern. Konzession­en wären gesetzlich möglich, bauen dürfen Private aber nur Verbreiter­ungen. Immerhin: Einen Versuch hat man gemacht, auf der A1 zwischen Bremen und Hamburg ab 2008. Die Gesellscha­ft ist aber in finanziell­en Schwierigk­eiten, man streitet über Nachforder­ungen. Über die Strecke läuft der Containerv­erkehr des Hamburger Hafens, der in der Krise stark zurückging. Ein Pech, das nicht gegen das Prinzip spricht – aber für flexibel aufgesetzt­e Verträge.

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