Wegen der Katastrophe in Genua sollen die Autobahnen verstaatlicht werden. In Frankreich aber bewährt sich das private Modell.
Italien.
Die Pullovermacher sind also schuld. Nach dem Einsturz der Autobahnbrücke in Genua blasen Italiens Koalitionsparteien zur Jagd auf verschiedene Sündenböcke: Die rechte Lega bevorzugt die bösen Bürokraten in Brüssel, die mit strengen Defizitregeln angeblich Investitionen in die Straßensicherheit verhindern. Die Linkspopulisten der Fünf Sterne haben sich auf die Familie Benetton eingeschossen. Deren Modekonzern hatte schon um 2000 seine besten Zeiten hinter sich und nutzte die Privatisierung der Autobahnen, um sich auf breitere Beine zu stellen.
Der Clan aus Treviso kontrolliert mit 30 Prozent Anteil den nun börsenotierten Infrastrukturkonzern Atlantia. Dessen Tochter Autostrade betreibt 56 Prozent des Autobahnnetzes – darunter das ligurische Teilstück mit der Morandi-Brücke. „Sofort die Konzession entziehen!“, war die reflexartige Reaktion der „Grillini“.
Bis hinauf zu Premier Conte, der unverblümt meinte, auf ein Urteil der Justiz können man nicht warten – und damit den Rechtsstaat in Frage stellte. Doch der Spaß, die Reichen an den Pranger zu stellen, käme teuer: Die Benettons würden auf Schadenersatz klagen. Da ihre Konzession noch 24 Jahre läuft, summieren sich die entgangenen Gewinne auf elf Mrd. Euro.
Und dann müsste man die „von Amts wegen“eingezogene Konzession gemäß EU-Recht neu vergeben, wieder an Private, denen man nun ja so heftig misstraut. Womit die radikale Lösung am Tapet ist: verstaatlichen. Aber weil eine Übernahme noch teurer käme, hielten die Finanzmarktakteure dies anfangs für politisches Sommertheater. Nun aber konkretisiert sich eine realistische Variante: Die staatliche Förderbank CDP, finanziert mit Postsparguthaben, übernimmt kleinere Anteile, als Kommissar oder Wächter.
Später kann sie aufstocken – eine schleichende Renationalisierung. Als Vorbild lobt Vizepremier Di Maio auch Österreich, wo der Staat mit seiner Asfinag die Autobahnen nie aus der Hand gegeben hat. Privat oder Staat? Hier die Erfahrungen ausgewählter Länder. Das Prinzip haben die Italiener nicht erfunden: Die Autobahnen gehören dem Staat, aber er vergibt für fixierte Fristen Konzessionen an private Betreiber, die für Ausbau und Wartung verantwortlich sind und sich über Mauteinnahmen finanzieren. Dieses Modell ist in Südeuropa gang und gäbe.
In Italien folgte der Wandel 1999, gegen Ende einer großen Welle von Privatisierungen. Die verstaatlichten Unternehmen, von der Energie bis zur Stahlindustrie, waren spätestens in den 1980erJahren zu Selbstbedingungsläden der Politiker und Korruptionssümpfen verkommen.
Was die Autobahnen betrifft, haben die Italiener bis heute den Vergleich: Die staatliche Anas baut und betreibt 900 Kilometer (16 Prozent des Netzes), vor allem im armen Süden, wo man keine Maut erheben will. Aus der negativen Berichterstattung kommt sie nicht heraus: überteuerte Aufträge, mangelhafte Planung und fehlende Aufsicht. Ein krasses Beispiel: Ende 2014 musste ein Streckenabschnitt in Sizilien eine Woche nach der feierlichen Eröffnung wieder gesperrt werden, weil die Fahrbahn gefährlich abgesackt war. Ausgerechnet die für ihre Staatsgläubigkeit bekannten Franzosen haben durchaus positive Erfahrungen mit privaten Betreibern gemacht. Freilich durfte der Staat die Grundlage legen: Schon seit über sechs Jahrzehnten finanziert Frankreich seine Autobahnen ausschließlich über Mautgebühren und ohne Zuschüsse der Steuerzahler (also wie in Österreich).
Damit war die Konzessionierung von drei Viertel des Netzes im Jahr 2006 nur ein halber Systemwechsel. Vinci, Eiffage und die spanische Abertis teilen sich den Kuchen für 20 Jahre. Die Lose für die Abschnitte sind aber klein, maximal 150 Kilometer. Das sorgt für Wettbewerb, nervt aber die Autofahrer wegen der vielen Mautstellen. Insgesamt gilt das französische Modell jedoch als Erfolgsgeschichte. Die privat betriebenen Autobahnen kommen in internationalen Rankings sehr gut weg und sind tadellos in Schuss, vor allem im Vergleich mit den Staatsstraßen. Freilich sind die Kontrollen streng. Am Ende der Frist müssen die Konzessionäre die (mit Schulden übernommene) Leihgabe gänzlich schuldenfrei und in einwandfreiem Zustand retournieren; die gesamten Risken, wie falsche Prognosen durch einen Wirtschaftseinbruch, tragen sie.
Deshalb sind aber auch die Mautgebühren relativ hoch: Die Fahrt von Paris nach Marseille kostet rund 60 Euro. Über den Konzessionszeitraum soll sich das eingesetzte Kapital mit acht Prozent verzinsen, was für öffentliche Infrastrukturprojekte üblich ist. Nach ersten Verlustjahren müssen dafür Jahre mit recht ansehnlichen Gewinnen folgen – was 2014 prompt zu Unmut der Bürger und heißen politischen Debatten führte. Die Deutschen sind skeptisch gegenüber privaten Betreibern. Aber auch verglichen mit Österreich ist ihr Modell konservativ: Der Steuerzahler muss mitzahlen (die Einnahmen der LKW-Maut reichen nicht aus). Der Bund finanziert, die Länder planen, was Reibungsverluste schafft. Komplexe Vorgaben für öffentliche Ausschreibungen (etwa die Bevorzugung regionaler Firmen) führen dazu, dass Bauprojekte lange dauern. Konzessionen wären gesetzlich möglich, bauen dürfen Private aber nur Verbreiterungen. Immerhin: Einen Versuch hat man gemacht, auf der A1 zwischen Bremen und Hamburg ab 2008. Die Gesellschaft ist aber in finanziellen Schwierigkeiten, man streitet über Nachforderungen. Über die Strecke läuft der Containerverkehr des Hamburger Hafens, der in der Krise stark zurückging. Ein Pech, das nicht gegen das Prinzip spricht – aber für flexibel aufgesetzte Verträge.