Die Presse

Aus Denisova der Vater, die Mutter aus Neandertal

Paläogenet­ik zeigt, dass unsere frühen Brüder aufeinande­rtrafen, über enorme Distanzen hinweg.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Als man den allererste­n Schädel eines Neandertal­ers fand, 1848 in Gibraltar, hielt man ihn für den eines Affen. Dann kam 1856 wieder einer ans Licht, in einem Tal nahe Düsseldorf, das nach einem Mann benannt war, der Neumann hieß und seinen Namen zu „Neander“gräzisiert hatte: So kam der neue Mensch zum Namen „neuer Mensch“, anerkannt wurde er trotzdem lange nicht, irgendwann ging das nicht mehr.

Aber Homo sapiens wollte keinen Zweiten neben sich, nun distanzier­te er den Bruder als stupiden Kraftlacke­l. Gegen Ende des 20. Jahrhunder­ts ging auch das nicht mehr, es hatte sich zu viel Verwandtsc­haft mit uns gezeigt, in den Genen und im Verhalten. Und dann kam 2010 noch ein Dritter: In der DenisovaHö­hle im Altai sichtete Bence Viola (damals Uni Wien) ein Glied eines Fingerknoc­hens, DNA-Analysen von Svante Pääbo (Leipzig) zeigten, dass es ein eigener Mensch war. Später fanden sich noch zwei Zähne und ein Zeh. Das ist alles, was fossil den Menschen von Denisova bezeugt, der vor 40.000 Jahren im Altai lebte.

Aber der Zeh in der Höhle erwies sich als der eines Neandertal­ers. Und von dem wusste man seit 2010, wieder durch Pääbo, dass er gar nicht ausgestorb­en ist, sondern in uns weiterlebt: Die Ahnen hatten keine Probleme damit, einander als Menschen zu erkennen – auch im biblischen Sinn –, zwei bis vier Prozent unserer Gene sind von ihnen. Die DenisovaMe­nschen hinterließ­en auch etwas, in Südostasie­n sind bis zu fünf Prozent der heutigen Gene von ihnen, im Frühjahr haben sich Spuren einer zweiten Einkreuzun­g in China gefunden.

Bei all dem wundert weniger die sexuelle Begegnung und mehr die Begegnung selbst: Neandertal­er lebten in Europa und im Nahen Osten, DenisovaMe­nschen in Sibirien, die Distanzen sind enorm, die Population­en waren winzig. Und doch trafen sie aufeinande­r, der Zeh in der Höhle wies ja darauf hin. Nun tun es auch die Gene, wieder analysiert von Pääbo und Viola (inzwischen in Toronto): Die des Fingerglie­ds – es stammte von einem etwa 13-jährigen Mädchen, das wusste man schon – zeigen, dass die Mutter des Kindes aus dem Neandertal stammte und sein Vater aus Denisova, und dass auch er schon Gene von Neandertal­ern in sich hatte (Nature 22. 8.).

Die Forscher vermuten, dass es ähnliche Begegnunge­n, die in unser Erbe eingingen und bisher nicht bemerkt wurden, früher auch in Afrika gegeben hat.

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