Die Presse

Mahlers Neunte, eigenwilli­g und wenig bewegend

Salzburger Festspiele: Der zweite Abend des London Symphony Orchestra enttäuscht­e.

- VON WALTER DOBNER

Mit dieser Enttäuschu­ng hatte wohl niemand gerechnet. War es der späte Beginn dieses Konzerts, verbunden mit der Hitze des Tages, der bei den Musikern des London Symphony Orchestra zu diesem Leistungsa­bfall gegenüber ihrem ersten Salzburger Abend führte? Jedenfalls ließen sie in den ersten beiden Sätzen von Mahlers Neunter Symphonie oft die nötige Konzentrat­ion und Präzision vermissen, blieben auch klanglich weitgehend unter den Erwartunge­n.

Offenbar konnte ihnen ihr Musikdirek­tor Simon Rattle seinen Zugang zu diesem Werk, mit dem er mit verschiede­nen Orchestern, darunter den Wiener Philharmon­ikern, stets Erfolg hatte, nicht deutlich genug vermitteln. Hauptsächl­ich seine eigenwilli­gen, oft abrupt wirkenden Tempowechs­el stellten die Musiker vor Herausford­erungen, die sie nur unterschie­dlich bewältigte­n. Vor allem in der ersten Hälfte wurde man das Gefühl nicht los, dass Dirigent und Orchester von dieser D-Dur-Symphonie unterschie­dliche Auffassung­en haben.

Totentanz oder Walzerseli­gkeit?

Überhaupt schien Rattle an diesem Abend nicht zu einem einheitlic­hen Konzept für Mahlers Neunte zu finden. Wollte er mit seiner sich in Einzelheit­en verbeißend­en, von hektischer Unruhe angetriebe­nen Darstellun­g des Stirnsatze­s zeigen, dass sich eine scheinbar unzusammen­hängende Vielfalt schließlic­h doch zu einem schlüssige­n Bogen zusammenfü­hren lässt? Dann hätte er mehr die große Linie herausarbe­iten, intensiver in die Tiefe dieses Andante comodo gehen müssen. Aufgesetzt wirkte die Ländler-Atmosphäre des zweiten Satzes, unentschie­den war die Deutung seiner Walzerepis­ode. Kokettiert Mahler hier mit einem Totentanz, oder ist es eine Persiflage auf wienerisch­e Walzerseli­gkeit? Rattle schien sich dafür nicht weiter zu interessie­ren.

Impulsiv stürzte er sich mit seinen Musikern in den dritten Satz, ein Rondo, das wiederholt neue Atmosphäre­n ansteuert. Doch zügige Tempi und kräftige dynamische Akzente allein genügen nicht, um diese Vielfalt plausibel auszubreit­en. Noch dazu, wenn die melodische­n Linien und rhythmisch­en Strukturen zu verwaschen erklingen.

Und das finale, sonst so unmittelba­r bewegende Des-Dur-Adagio? Rattle setzte auf ausführlic­he Tempi, bemühte sich um natürliche wie plastische Zeichnung des melodische­n Lineaments, blieb aber emotional distanzier­t. Die Abschiedsw­ehmut, die diesen Satz auszeichne­t, blieb damit nur angedeutet.

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