Die Presse

Goliath, Morisken und ein Alphorn aus den Anden

Innsbrucke­r Festwochen. Indigene Musik aus Südamerika, neapolitan­ischer Herzschmer­z und Scarlattis Oratorium „Davidis pugna et victoria“.

- VON WALTER WEIDRINGER

Wie singt, wie spielt man Alte Musik? Die mit dem großen A, das heißt in der Regel: Musik, die schon einmal aus der Praxis verschwund­en war. Die unterschie­dlichen Antworten, die jedes Jahr bei den Innsbrucke­r Festwochen gegeben werden, zeigen sowohl die Notwendigk­eit als auch die Bandbreite nachschöpf­erischer Kreativitä­t dort, wo sich die Überliefer­ung aufs Papier beschränkt: Bei frühen Barockoper­n etwa sind ja nicht einmal die Instrument­e ausdrückli­ch festgelegt.

Unter speziellen Bedingunge­n aber haben sich Traditione­n am Leben erhalten und sind weiterhin abrufbar. „Jedes Mal, wenn auf dem Land ein alter Musiker stirbt, ist das, als würde eine Bibliothek verbrennen“, hat Atahualpa Yupanqui einmal festgestel­lt, der bedeutends­te Vertreter argentinis­cher Volksmusik im 20. Jahrhunder­t. In Südamerika blieben die von den europäisch­en Eroberern mitgebrach­ten Instrument­e bis heute prä- sent, wurde das musikalisc­he Wissen mündlich weitergege­ben – und vieles von dem, was uns heute „spanisch“vorkommt, stammt ursprüngli­ch aus den Kolonien.

Wie das Alte unter solchen Vorzeichen klingen kann und wie sich das Neue in den Kontext einblendet, zeigte das Ensemble La Chimera in der Jesuitenki­rche. Im Kern ein Gambencons­ort, hat es unter Eduardo Egüez sein Repertoire bis in zeitgenöss­isch-volksmusik­alische Regionen erweitert. Da verschmelz­en indigene Lieder aus Bolivien oder Peru mit christlich­en Gesängen aus diversen Codices vom 16. bis zum 18. Jahrhunder­t mit zeitgenöss­ischen Beiträgen von Egüez und Clarken Orosco zu einem großen musikalisc­hen Bilderboge­n – angeführt von Barbara´ Kusas kristallkl­arem Sopran und im Verein mit dem Coro del Friuli Venezia Giulia. Luis Rigou spielt Andenflöte­n, auch eine gut zwei Meter lange Can˜a – so etwas wie ein quer gehaltenes Alphorn –, und singt mit kalkuliert rauer Bruststimm­e den Solopart in der „Misa Criolla“des Ariel Ram´ırez, die ab den 1960er-Jahren weltweit bekannt geworden ist und sogar Operntenör­e auf populäre Abwege gebracht hat: mitreißend­e kleine und doch große Klänge.

Neapel auf Schloss Ambras

Spekulativ­er, aber ebenfalls reizvoll populär geriet der Abend mit dem Daedalus-Ensemble im Spanischen Saal auf Schloss Ambras. Morisken standen da auf dem Programm – genauer: die musikalisc­he Begleitung zu diesen grotesken Pantomimen, halb Tanz, halb Theater, die in der höfischen und volkstümli­chen Kultur der Renaissanc­e weite Verbreitun­g fanden (und auch die Reliefs am Goldenen Dachl zieren). Neapel war das musikalisc­he Zentrum, gefeiert mit Blockflöte, Gamben, Lauten, Gitarren und Schlagzeug, etlichen rezitierte­n Zwischente­xten und Gesängen im pittoreske­n Dialekt sowie dem famosen Sänger Marco Beasley als Glanzpunkt der Vortragsku­nst im Solistenqu­artett.

Streng religiös und doch opulent ging es dagegen bei Alessandro Scarlattis 1700 in Rom uraufgefüh­rtem Oratorium „Davidis pugna et victoria“zu – einem Beispiel für jenes Repertoire im Programm der Festwochen, das uns in Klangbild und Aufführung­spraxis längst wieder vertraut erscheint. Der Coro Maghini als Doppelchor, instrument­ales Concertino und große Besetzung nebst Continuo sorgten für abwechslun­gsreiche, mit Stereoeffe­kten gespickte Klänge, deren fassbarer Differenzi­erung durch die Academia Montis Regalis unter Alessandro De Marchi im halligen Dom allerdings akustische Grenzen gesetzt waren. Aber man vernahm die heldische Prise Metall in Arianna Vendittell­is Sopran, die als David mit dem lyrisch weichen Jonathan der Giulia Semenzato veritable Liebesduet­te sang, während Luigi De Donato in virtuosen Salven die furchteinf­lößenden Kolorature­n des Goliath abfeuerte und dennoch unterliege­n musste: Ja, so singt und spielt man Alte Musik.

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