Die Presse

In Genua sieht man die tödlichen Folgen des Öko-Wahns

Jahrelang blockierte­n Linkspopul­isten den Bau einer Umfahrungs­straße. Deshalb konnte die einsturzge­fährdete Brücke nicht durch eine neue ersetzt werden.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Als am frühen Morgen des 1. August 1976, einem Sonntag, die Wiener Reichsbrüc­ke einstürzte, war zuerst von einem Sprengstof­fanschlag die Rede. Ähnliche Gerüchte kursierten im Internet nach dem Einsturz der Morandi-Brücke in Genua am Vormittag des 14. August. In Wirklichke­it war beim Bau der Reichsbrüc­ke minderwert­iger Beton verwendet worden, und die Brücke in Genua war eine Fehlkonstr­uktion – über deren Schwächen man allerdings Bescheid wusste. Politische Verantwort­ungslosigk­eit und Korruption, Überreguli­erung bei gleichzeit­igem Kontrollve­rsagen gegenüber einer privaten Betreiberg­esellschaf­t sowie die Blockierun­g eines neuen Autobahnri­ngs durch linksgrüne Populisten trugen zu der Katastroph­e bei, bei der 43 Menschen ums Leben kamen. Die Untersuchu­ngen sind noch im Gange. Als wahrschein­lichste Ursache gilt die in der salzhaltig­en Meeresluft unerwartet rasch vorangesch­rittene Korrosion eines betonumman­telten Stahlträge­rs an Pfeiler 9.

Riccardo Morandis Schrägseil­konstrukti­on, die in den Sechzigerj­ahren mit einer experiment­ellen Technik errichtet wurde, war die am strengsten überwachte Autobahnbr­ücke Italiens. Längst waren die Kosten, die der Betreiberg­esellschaf­t für Reparature­n und Wartungsar­beiten erwuchsen, höher als die für einen Neubau veranschla­gten Baukosten. Die Brücke ist Teil der A10, der wichtigste­n Straßenver­bindung zwischen Ligurien und der Coteˆ d’Azur.

Genua ist ein Nadelöhr im europäisch­en Verkehrsne­tz. Rund um die Uhr donnerten 25.000 Lastfahrze­uge durch dicht verbautes Gebiet über die überlastet­e Autobahn. Im größten Containerh­afen des Landes werden täglich 5000 Lastwagen und 30 Züge ent- und beladen. Jeder zehnte Arbeitspla­tz hängt vom Hafen ab. Die drastische Einschränk­ung des Verkehrs zwischen dem Hafen und dem Autobahnne­tz gefährdet Tausende Jobs im Großraum Genua. Kein Politiker brachte den Mut auf, für einen Neubau der Brücke die A10 monatelang zu sperren.

Zwar wurde 2004 der Plan der Betreiberg­esellschaf­t gebilligt, in den Bergen eine 60 Kilometer lange Entlastung­sstrecke mit 50 Kilometer unterirdis­cher Trassenfüh­rung und 24 Brücken zu bauen. Aber das Megaprojek­t scheiterte bisher am Widerstand linker Lokalpolit­iker, von Bürgerinit­iativen sowie der Chaostrupp­e um den Politclown Beppe Grillo (Movimento 5 Stelle), die nun an der Regierung ist. Die Morandi-Brücke sei absolut sicher, schrieb Grillo in seinem Blog, wer das Gegenteil behaupte, wolle nur, dass sich die Betreiberg­esellschaf­t weiter bereichere.

Italien leide unter einer „Fortschrit­tslähmung“, diagnostiz­ierte der konservati­ve „Corriere della Sera“. Seit Jahrzehnte­n bekämpft ein „Komitee der Neinsager“, das sich der Unterstütz­ung der Medien erfreut, jedes größere öffentlich­e Bauprojekt. Es wird fast nur noch recht und schlecht erhalten, was vor 50 Jahren gebaut wurde. Die tödlichen Folgen der Technik- und Fortschrit­tsfeindlic­hkeit linkspopul­istischer Demagogen kann man in Genua besichtige­n.

Anders als der M5S ist die Lega für öffentlich­e Großprojek­te. Um Streit in der Regierung zu vermeiden, geben beide die Schuld an der Tragödie jetzt einerseits dem „Spardiktat“der EU, die damit überhaupt nichts zu tun hat, anderersei­ts der Familie Benetton, zu deren Holding die Betreiberg­esellschaf­t gehört. Zweifellos profitiert­en die Benettons von ihren nicht allzu sauberen Beziehunge­n zur italienisc­hen Linken; eine Neuverhand­lung der Konzession wäre angebracht. Aber noch vor dem Abschluss der Untersuchu­ngen den Entzug der Lizenz und die Verstaatli­chung der Autobahnen in die Wege zu leiten, ist völlig absurd. Das private Autobahnne­tz ist teuer, aber es funktionie­rt. Die von der staatliche­n Anas betriebene Strecke Salerno–Reggio Calabria ist seit 30 Jahren eine Dauerbaust­elle. Als Eigentümer hat der italienisc­he Staat noch immer versagt, zuletzt bei Alitalia.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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