Lebenslange Haft für Ehrenmord
Lebenslang. Der Afghanistan-Flüchtling Hikmatullah S. wurde zur Höchststrafe verurteilt. Er hatte seine jüngere Schwester in Wien auf offener Straße erstochen. Sie musste sterben, weil sie laut S. die Familienehre beschmutzt hatte.
Lebenslange Haft: So lautete gestern das (nicht rechtskräftige) Urteil über einen jungen Afghanen, der in Wien im Vorjahr seiner Schwester aufgelauert und sie mit zahlreichen Messerstichen getötet hat.
Vor Gericht bekannte sich der junge Mann gestern schuldig: „Ich habe eine Straftat begangen. Ich möchte nicht mehr weiter sprechen.“Die Straftat habe er „wegen der Kultur begangen“. Der Afghane behauptet, erst 19 Jahre alt zu sein; ein Gutachter stellte fest, dass er knapp über 22 Jahre alt ist. Seine Schwester war 17 oder 18 Jahre alt. Sie wollte laut Anklage nicht zu ihrer Familie zurückkehren. Die Staatsanwaltschaft sprach daher von einem „Ehrenmord“.
„Mit dieser Tat haben Sie sich außerhalb der Gesellschaft begeben. Dafür kann es nur die Höchststrafe geben“, begründete Richter Stefan Apostol die Strafe.
Sie wolle kein Kopftuch mehr tragen. Sie wolle eine Schule besuchen. Sie wolle nicht von ihrem Vater in Afghanistan zwangsverheiratet werden. Und sie habe einen Freund. Dies gab Bakhti S., eine junge Frau aus Afghanistan, voriges Jahr in einem Wiener Krisenzentrum an. Dorthin war sie vor ihrer Familie geflüchtet. Denn: Sie sei seit dem Kindesalter immer wieder von ihrem Vater und ihren Brüdern geschlagen worden.
Die Hoffnungen von Bakhti S. sollten sich nicht erfüllen. Am 18. September 2017 wurde sie in Wien-Favoriten auf offener Straße getötet. Einer ihrer fünf Brüder, Hikmatullah S., hatte mit einem Kampfmesser 28 Mal auf sie eingestochen. Auch noch als sie sterbend am Boden lag. Bakhti S. hatte keine Chance. Mit dem Täter machten die Geschworenen am Mittwoch im Straflandesgericht Wien buchstäblich kurzen Prozess. Sie verurteilten ihn wegen Mordes zu lebenslanger Haft. Einstimmig.
Das Motiv wurzle „in einem verschrobenen Ehrgefühl, das mit den Wertvorstellungen der mitteleuropäischen Gesellschaft nicht in Einklang zu bringen ist“, erklärte Richter Stefan Apostol. Zuvor hatte Staatsanwalt Mario Bandarra erläutert: „Der Bruder beschloss das Leben seiner kleinen Schwester zu beenden, weil sie sich nicht an die Regeln der afghanischen Gesellschaft hielt.“Bei seiner polizeilichen Einvernahme habe S. angegeben, es sei „gut, dass sie tot ist“. Sie habe die Familienehre befleckt.
S. sagte im voll besetzten Gerichtssaal nur soviel: „Ich habe eine Straftat begangen. Ich möchte um Verzeihung bitten. Ich habe diese Straftat wegen der Kultur begangen.“Was letzteres denn bedeute, wollte der Richtersenat wissen. Doch der Angeklagte lieferte keine eigene Erklärung.
Verteidiger Nikolaus Rast meinte, der Angeklagte sei selbst Opfer seines despotischen Vaters geworden. Und sprach damit einen heiklen Punkt an. Ist der Mord vom Vater befohlen worden? Ein Indiz dafür könnte sein, dass der Täter, kurz bevor er zustach, via Headset telefonierte. Eine Auswertung der benutzten Telefonnummern ergab aber keine Beweise für einen Mordauftrag, der Verdacht gegen den Vater ließ sich somit nicht erhärten.
Fest steht, dass Hikmatullah S. 2013 im Rahmen einer Familienzusammenführung von Afghanistan nach Österreich kam, wo sein Vater bereits als Flüchtling aufgenommen worden war. S. war als Analphabet gekommen. In Öster- reich ging er erstmals in eine Schule. Aber nur ein Jahr. Laut seinen Angaben sei er dann der Schule verwiesen worden, weil er nicht De6utsch konnte. S. lebte von 500 Euro Sozialhilfe monatlich.
Täter um die 23, Opfer 18 Jahre
Da die Familie, Vater, Mutter, fünf Brüder, ursprünglich drei Schwestern, über keine Geburtsdokumente verfügt, hatte das Gericht den forensischen Anthropologen Fabian Kanz von der Med-Uni Wien und den Gerichtsmediziner Christian Reiter mit einer Altersschätzung beauftragt. S. verweigerte aber die Untersuchung.
Doch die Spezialisten konnten auf Befunde einer Altersfeststellung durch Ärzte im pakistanischen Islamabad im Jahr 2013 zurückgreifen. Fazit laut Kanz: „Das Gutachten der Kollegen kann bestätigt werden.“So sei S. mittlerweile nicht, wie er behauptet, erst 19, sondern „mindestens im 22 Lebensjahr“. Jedoch: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist er älter, zwischen 22 und 24.“Vielleicht sogar 25. Das Opfer war laut den Gutachtern „wahrscheinlich 18 Jahre alt“.