„Reparieren Fehler in Schulen“
Interview. Zuwanderern, die Jobs oder Schulungen nicht annehmen, soll künftig schneller die Mindestsicherung gesperrt werden. Das sei absolut richtig, findet AMS-Chef Johannes Kopf. Um seinen eigenen Job habe er sich nie Sorgen gemacht.
AMS-Chef Johannes Kopf kritisiert Mängel im Bildungssystem.
Die Presse: Österreich hatte bis vor sieben Jahren die niedrigste Arbeitslosenrate in der EU, heute liegen wir auf Platz neun. Die Regierung will zurück ins Spitzenfeld. Ist das machbar? Johannes Kopf: Wir haben 4,7, die Tschechische Republik, die auf Platz eins liegt, 2,4 Prozent Arbeitslosigkeit. Der erste Platz scheint mir vorerst unerreichbar. Sie haben ein massives demografisches Problem und lauter gute Leute in den Westen verloren. Eine so niedrige Arbeitslosenrate hat auch eine Kehrseite.
Und Vollbeschäftigung, wie sie sich FPÖ-Vizekanzler HeinzChristian Strache wünscht? Vollbeschäftigung ist eine Definitionsfrage. EU-Kommissar Vladimir Spidlaˇ definierte sie als Arbeitslosenquote mit einem Dreier vor dem Komma. Davon sind wir nicht so weit entfernt, wenn wir von der EU-Quote sprechen, die ja weit niedriger als die nationale ist. Der Unterschied zu niedrigen Quoten wie in den Siebzigerjahren ist auch, dass wir heute mehr kurze Sucharbeitslosigkeit haben, weil Dienstverhältnisse kürzer dauern. Wer seinen Job verliert, ist dazwischen oft zumindest kurz arbeitslos, auch wenn er sehr gefragt ist.
Die Arbeitslosigkeit wurde lang künstlich niedrig gehalten, mit Frühpensionen und, indem man die Arbeitsmärkte gegen den Osten abschottete. War es nicht klar, dass der Anstieg kommt? Die Heftigkeit der Wirtschaftskrise 2009 hat niemand kommen sehen. Im Herbst 2008 gab es keine einzige Prognose, die für 2009 eine sinkende Beschäftigung vorhersah. Wir hatten eine lange Wachstumsschwäche und massive Zuwanderung aus der EU. Diese Schwäche hat sich mit einem massiven Anstieg des Arbeitskräfteangebots gepaart. Von 2011 bis 2017 kamen um 400.000 Personen mehr auf den Arbeitsmarkt.
Die Zuwanderung hält an, Frühpension gibt es nicht mehr so leicht. Müssen wir uns an höhere Arbeitslosenzahlen gewöhnen? In absoluten Zahlen ja. Bei der Quote hoffentlich nicht. Es gibt einfach mehr Menschen auf unserem Arbeitsmarkt, deshalb werden wir das niedrige Niveau von vor der Krise eher nicht mehr erleben. Aktuell haben wir 340.000 Arbeitslose. Das ist viel, aber im Juli gab es einen Rückgang um 30.000, also zehn Prozent. Das ist auch sensationell. Und es gibt, wie gesagt, mehr Sucharbeitslosigkeit.
Aber Österreich hat längst auch ein Problem mit der Langzeitarbeitslosigkeit. Sie hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Ja, wir haben zum ersten Mal eine signifikante Zahl an Langzeitarbeitslosen (105.000, Anm. d. Red.). Ich sage immer: Das beste Rezept gegen Langzeitarbeitslosigkeit ist, sie gar nicht entstehen zu lassen.
Das klingt logisch. Aber was macht man mit jenen, die schon länger als ein Jahr ohne Job sind? Natürlich, ihnen hilft das nicht. Aber ich betone es, damit man es in der Politik nicht vergisst. Man sollte die gute Konjunktur nützen, um möglichst viele dieser Menschen in eine Beschäftigung zu bringen. Der Topf für Ältere und Langzeitarbeitslose ist zum Glück gut dotiert.
Muss das AMS eigentlich oft etwas kitten, wofür das Bildungssystem verantwortlich ist? Es ist richtig, dass wir Jugendliche betreuen, die nicht sinnerfassend lesen, schreiben und rechnen können und deshalb keine Lehrstelle finden. Wir bringen ihnen Lesen, Schreiben, Rechnen und Grüßen bei. Ist die Schule schuld? Zum Teil sicher ja. Mit wenig Ressourcen und vielen Kindern mit nicht deutscher Muttersprache ist das zum Teil nachvollziehbar. Aber ja, teilweise reparieren wir die Fehler des Schulsystems. Was eigentlich nicht unsere Aufgabe ist.
Ärgert Sie das? Das AMS wird ja so viel und lustvoll kritisiert. Es wird uns oft vorgeworfen, dass wir gegenüber privaten Arbeitskräftevermittlern so viele Leute haben, die man nicht brauchen kann. Wir können uns unsere Arbeitssuchenden nicht aussuchen.
Das AMS-Budget dürfte nächstes Jahr gekürzt werden. Heuer sind es 1,4 Mrd. Euro. Wie viel weni- ger könnten Sie verkraften? Ich rechne für 2019 mit einem Betrag zwischen 1,05 und 1,25 Milliarden Euro. Für 1,25 Milliarden setze ich mich ein.
Das wäre ein Budget, mit dem Sie leben könnten? Ich bin ein Manager, der die Vorgaben umzusetzen hat. So gesehen müsste ich mit jedem Budget leben. Wenn es weniger Geld gibt, kann man eben auch Projekte, die sinnvoll sind, nicht mehr machen.
Welche zum Beispiel? Das kommt darauf an, welche Schwerpunkte uns der Verwaltungsrat setzt. Ganz sicher können wir dann für verschiedene Gruppen, ob Ältere, Langzeitarbeitslose, Jugendliche, weniger anbieten. Eine leichte Kürzung ist wegen der sinkenden Arbeitslosigkeit vertretbar. Aber je mehr Geld man hat, desto mehr kann man für die Arbeitslosen und auch die Betriebe, die Fachkräfte suchen, tun.
Wie viele der Flüchtlinge, die 2015 nach Österreich gekommen sind, haben mittlerweile einen Job? Als Ziel haben Sie 50 Pro- zent nach fünf Jahren genannt. Das sind internationale Erfahrungen. Von denjenigen, die 2015 Asyl bekommen haben und zum AMS gekommen sind, waren Ende Juni 34,1 Prozent in Beschäftigung.
In welchen Jobs? Sie haben immer gesagt, Ausbildung ist besser als rasche Arbeitsaufnahme. Die klassischen Einstiegsbranchen sind Tourismus, Landwirtschaft, Bau und Arbeitskräfteüberlassung. Manche müssen aus ökonomischen Gründen rasch beginnen zu arbeiten, sie gehen in die Hilfsarbeit. Andere können wir zu einer Ausbildung motivieren oder dazu, ihre Ausbildung zu nostrifizieren.
Die Regierung will, dass integrationsunwilligen Zuwanderern beim AMS schneller die Bezüge gesperrt werden. Eine gute Idee? Da geht es vor allem um Menschen, die von der Mindestsicherung leben, da können wir keine Sanktionen verhängen, weil die Sozialämter zuständig sind. Wir informieren diese. Aber viele Stellen in den Bundesländern haben auf diese Informationen lang nicht reagiert. Das zu verbessern ist absolut richtig. Sperren sind ja nicht nur Strafen, sondern bewirken auch, dass jemand einen Job oder eine Schulung annimmt.
Anlass war ein kritischer Revisionsbericht zu Migranten beim AMS, der im Frühjahr publik wurde. Damals wurde öffentlich über Ihre Ablöse spekuliert. Hatten Sie je Angst um Ihren Job? Nein. Ich habe einen frischen Sechsjahresvertrag. Herbert Buchinger (Ko-Vorstand, Anm.) und ich hatten ein sehr gutes Gespräch mit der Regierung. Meine Ablöse war dabei kein Thema.