Kleiner Gallier gegen Elefanten
Fahrbericht. Ein Markenrevival wie jenes von Alpine gebietet nicht nur der Retro-Zeitgeist: Nie war das Bekenntnis zum Leichtbau notwendiger – und lustvoller – als in Zeiten des SUV-Fiebers.
Mit der leichten Alpine A110 lässt Renault einen Sportwagen reinsten Wassers vom Band laufen.
Leichtbau ist in der Autoindustrie keine Tugend mehr, der Fuhrpark auf den Straßen verfettet. Sportlichkeit tragen jene Autos im Namen, die am weitesten davon entfernt sind. Große Ausnahme dieser Tage ist eine Marke, bei der Leichtgewichtigkeit immer schon ein Wettbewerbsvorteil war – die Alpine kam 1962 auf die Welt, um sich bei Bergrennen und Rallyes zu behaupten, als beherzt umgestricktes Renault-Derivat sicher nicht mit schierer Motorleistung.
Dass Renault die Marke wieder ins Leben gerufen hat, gebietet schon die historische Verantwortung, nachdem man den Laden nach erfolgreicher Kooperation übernommen, eine Zeit lang mit Halbgas weiterbetrieben und dann, 1994, als Ideen und Enthusiasmus ausgegangen sind, zugedreht hat. Wann, wenn nicht jetzt, inmitten allgemeiner Retrobegeisterung und im Überschwang eines brummenden Automarkts, wäre ein besserer Zeitpunkt?
Retro ist aber nicht das Ding der A110. Denn aktueller kann man einen klassischen Sportwagen (also nichts Elektrifiziertes) gar nicht anlegen: strenges Leichtbauregime mit einer Struktur praktisch zur Gänze aus Alu, kompakte Abmessungen, Mittelmotor hinter der zweisitzigen Fahrgastzelle.
Reaktion in Echtzeit
Für die resultierenden etwa 1100 Kilogramm Gewicht ist ein 1,8-Liter-Turbovierzylinder völlig ausreichend, er langt mit 252 PS und 320 Nm ohnehin zu wie ein Dampfhammer. Das entscheidende Erlebnis, das auch in einem Porsche von der Stange nicht mehr zu haben ist (der aktuell leichteste, der Cayman, wiegt 340 kg mehr als die Alpine, der 911 Carrera T mit über 1,5 Tonnen Gewicht braucht schon 370 PS für die gleichen 4,5 Sekunden von null auf 100 wie die Alpine), liegt in den kurzen Wegen: Zentimeter auf dem Gaspedal ergeben in Echtzeit Meter auf der Straße.
Genauso ist es mit der Querdynamik – weiträumig freigespielt von Massenträgheit kann man sich beim Lenken auf die Linie konzentrieren, ohne sich mit Lastwechseln herumschlagen zu müssen. Das alles ist nur mit Weglassen zu haben, nicht mit Motoraufblasen.
Vergleiche mit dem ebenfalls sehr leichten Alfa 4C laufen übrigens ins Leere, denn das war ein halb fertiges Auto mit improvisiert wirkender Verarbeitung.
Anders die A110, die eines der aktuell ansprechendsten Interieurs feilbietet. Dank Mittelmotors um den Kardantunnel befreit, sitzt man luftig und unbeengt. Die Mittelkonsole ist als Brücke ausgeführt, mit Startknopf und Tasten fürs Getriebe darauf, darunter eine große Ablage. Die Sitzschalen von Sabelt, aus einem Stück gefertigt und jeweils nur 13,1 kg schwer, nötigen einem subtil die sportliche Haltung ab. Während das in Höhe und Tiefe justierbare Lenkrad perfekt in der Hand liegt, finden wir in den Schaltwippen endlich einen Kritikpunkt – sie sind zu hoch angebracht und in erhitzten Fahrsituationen nicht gut erreichbar.
Man kann die Schaltarbeit zu großen Teilen der Elektronik des Siebenganggetriebes überlassen, sie weiß im Sportmodus ganz gut, was als Nächstes gefragt ist, welcher Gang von der zweiten Kupplung vorzubereiten ist. Wer sich für die Temperatur von Kupplung oder Ansaugluft interessiert, kann das und eine ganze Fülle an Daten im Bordsystem abrufen. Nett.
Wer hätte gedacht, dass der Sportwagen der Stunde aus Frankreich kommt? In der Normandie kommt man mit dem Produzieren kaum nach. Die Wartezeit – eine Ironie – liegt bei über einem Jahr.