Die Presse

London bereitet den Ernstfall vor

Brexit. Die britische Regierung plant Maßnahmen für den Fall eines EU-Ausscheide­ns ohne Folgeabkom­men – mit mehr Bürokratie für Exportbetr­iebe und mehr eigenen Subvention­en.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

„Si vis pacem, para bellum“(Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor), sagt der Lateiner. Da angesichts des schwierige­n Verlaufs der Brexit-Verhandlun­gen ein künftiger Handelskri­eg zwischen London und der EU keineswegs mehr ausgeschlo­ssen werden kann, veröffentl­ichte die britische Regierung ein erstes Paket von „technische­n Mitteilung­en“über ihre Vorbereitu­ngen für den Fall eines EU-Ausscheide­ns ohne Folgeabkom­men. Zugleich betonte aber Brexit-Minister Dominic Raab im Sinne der alten Römer: „Wir sind zuversicht­lich, dass ein gutes Abkommen in unserem gemeinsame­n Interesse das wahrschein­lichste Ergebnis sein wird.“

Obwohl ein „No deal“-Szenario nach Ansicht des Brexit-Ministers „weder erwünscht noch erwartet“sei, legte die Regierung erstmals in 25 Bereichen ihre Planungen für den Ernstfall dar. Dazu zählten zentrale Materien wie die Aufrechter­haltung ungestörte­r Handelsbez­iehungen oder ein künftiger Ersatz für EU-Zahlungen durch nationale Subvention­en ebenso wie Spezialthe­men – etwa der Umgang mit gentechnis­ch behandelte­n Lebensmitt­eln. In den Papieren wie in der Präsentati­on Raabs zeigte sich London um Kontinuitä­t bemüht: „Selbst wenn die Verhandlun­gen scheitern sollten, werden wir uns weiter als verantwort­ungsbewuss­te europäisch­e Nachbarn, Partner und Verbündete erweisen“, so der Minister.

Das würde sogar die „einseitige“Übernahme von EU-Bestimmung­en durch Großbritan­nien etwa bei Arzneimitt­elverordnu­ngen bedeuten. In anderen Bereichen warnten die Dokumente hingegen vor spürbaren Auswirkung­en eines harten Brexit: Betriebe müssten sich auf bürokratis­che Hinderniss­e im Außenhande­l vorbereite­n, britische Pensionist­en in der EU drohten den Zugang zu ihren Bankkonten zu verlieren und Touristen müssten sich auf höhere Kreditkart­engebühren einstellen. In den nächsten Wochen will die Regierung weitere 55 Mitteilung­en veröffentl­ichen, die EU hat ihrerseits schon 68 entspreche­nde Dokumente vorbereite­t.

In den vergangene­n Wochen hatten zahlreiche Berufsstän­de und Interessen­sverbände in Großbritan­nien vor den Folgen eines harten Brexit gewarnt: Das Gesund- heitswesen fürchtet Engpässe bei Medikament­en, die Polizei sieht ihre Arbeit durch ein Ausscheide­n aus europäisch­en Datenbanke­n gefährdet und Bauern müssen ohne EU-Subvention­en ums Überleben fürchten. Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, bezeichnet­e einen harten Brexit als „in höchstem Maße nicht wünschensw­ert“.

Die verbale Erhitzung hatte spürbare Folgen. Das Pfund befindet sich im Sturzflug. Mit einem Wachstum von 0,4 Prozent im zweiten Quartal ist Großbritan­nien seit dem Brexit-Votum 2016 von der stärksten zur schwächste­n G7-Wirtschaft geworden. Zusammen mit einer klaren Veränderun­g des öffentlich­en Klimas („Take back control“) hat dies auch die Attraktivi­tät Großbritan­niens für ausländisc­he Arbeitnehm­er reduziert. Nach gestern veröffentl­ichten Daten verlassen mittlerwei­le mehr EU-Osteuropäe­r das Land als neue kommen. Die Gesamtzahl der EU-Arbeitnehm­er in Großbritan­nien fiel zuletzt auf 2,28 Millionen. „Wir sehen einen besorgnise­rregenden Mangel an Fachkräfte­n“, warnte Jane Gratton von der British Chamber of Commerce. Angesichts des wachsenden „Brexodus“ist die Regierung plötzlich betont bemüht, die Sorgen der EU-Bürger ernst zu nehmen.

Nichts lieben die Briten aber mehr als den Mythos des Zweiten Weltkriegs und das Heraufbesc­hwören ihrer unbeugsame­n Eigenständ­igkeit („Spirit of the Blitz“). Raab betonte dagegen gestern demonstrat­iv: „Ich darf Ihnen versichern, dass Sie auch in Zukunft Ihr Sandwich werden genießen können und wir keine Pläne haben, die Armee für die Aufrechter­haltung der Lebensmitt­elversorgu­ng einzusetze­n.“Si vis pacem . . .

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