London bereitet den Ernstfall vor
Brexit. Die britische Regierung plant Maßnahmen für den Fall eines EU-Ausscheidens ohne Folgeabkommen – mit mehr Bürokratie für Exportbetriebe und mehr eigenen Subventionen.
„Si vis pacem, para bellum“(Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor), sagt der Lateiner. Da angesichts des schwierigen Verlaufs der Brexit-Verhandlungen ein künftiger Handelskrieg zwischen London und der EU keineswegs mehr ausgeschlossen werden kann, veröffentlichte die britische Regierung ein erstes Paket von „technischen Mitteilungen“über ihre Vorbereitungen für den Fall eines EU-Ausscheidens ohne Folgeabkommen. Zugleich betonte aber Brexit-Minister Dominic Raab im Sinne der alten Römer: „Wir sind zuversichtlich, dass ein gutes Abkommen in unserem gemeinsamen Interesse das wahrscheinlichste Ergebnis sein wird.“
Obwohl ein „No deal“-Szenario nach Ansicht des Brexit-Ministers „weder erwünscht noch erwartet“sei, legte die Regierung erstmals in 25 Bereichen ihre Planungen für den Ernstfall dar. Dazu zählten zentrale Materien wie die Aufrechterhaltung ungestörter Handelsbeziehungen oder ein künftiger Ersatz für EU-Zahlungen durch nationale Subventionen ebenso wie Spezialthemen – etwa der Umgang mit gentechnisch behandelten Lebensmitteln. In den Papieren wie in der Präsentation Raabs zeigte sich London um Kontinuität bemüht: „Selbst wenn die Verhandlungen scheitern sollten, werden wir uns weiter als verantwortungsbewusste europäische Nachbarn, Partner und Verbündete erweisen“, so der Minister.
Das würde sogar die „einseitige“Übernahme von EU-Bestimmungen durch Großbritannien etwa bei Arzneimittelverordnungen bedeuten. In anderen Bereichen warnten die Dokumente hingegen vor spürbaren Auswirkungen eines harten Brexit: Betriebe müssten sich auf bürokratische Hindernisse im Außenhandel vorbereiten, britische Pensionisten in der EU drohten den Zugang zu ihren Bankkonten zu verlieren und Touristen müssten sich auf höhere Kreditkartengebühren einstellen. In den nächsten Wochen will die Regierung weitere 55 Mitteilungen veröffentlichen, die EU hat ihrerseits schon 68 entsprechende Dokumente vorbereitet.
In den vergangenen Wochen hatten zahlreiche Berufsstände und Interessensverbände in Großbritannien vor den Folgen eines harten Brexit gewarnt: Das Gesund- heitswesen fürchtet Engpässe bei Medikamenten, die Polizei sieht ihre Arbeit durch ein Ausscheiden aus europäischen Datenbanken gefährdet und Bauern müssen ohne EU-Subventionen ums Überleben fürchten. Der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, bezeichnete einen harten Brexit als „in höchstem Maße nicht wünschenswert“.
Die verbale Erhitzung hatte spürbare Folgen. Das Pfund befindet sich im Sturzflug. Mit einem Wachstum von 0,4 Prozent im zweiten Quartal ist Großbritannien seit dem Brexit-Votum 2016 von der stärksten zur schwächsten G7-Wirtschaft geworden. Zusammen mit einer klaren Veränderung des öffentlichen Klimas („Take back control“) hat dies auch die Attraktivität Großbritanniens für ausländische Arbeitnehmer reduziert. Nach gestern veröffentlichten Daten verlassen mittlerweile mehr EU-Osteuropäer das Land als neue kommen. Die Gesamtzahl der EU-Arbeitnehmer in Großbritannien fiel zuletzt auf 2,28 Millionen. „Wir sehen einen besorgniserregenden Mangel an Fachkräften“, warnte Jane Gratton von der British Chamber of Commerce. Angesichts des wachsenden „Brexodus“ist die Regierung plötzlich betont bemüht, die Sorgen der EU-Bürger ernst zu nehmen.
Nichts lieben die Briten aber mehr als den Mythos des Zweiten Weltkriegs und das Heraufbeschwören ihrer unbeugsamen Eigenständigkeit („Spirit of the Blitz“). Raab betonte dagegen gestern demonstrativ: „Ich darf Ihnen versichern, dass Sie auch in Zukunft Ihr Sandwich werden genießen können und wir keine Pläne haben, die Armee für die Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung einzusetzen.“Si vis pacem . . .