Die Presse

Wie man die Migrations­lotterie beendet

Einwanderu­ng. Der Ökonom Robert Holzmann hat für die Weltbank ein Migrations­modell für Afghanista­n entworfen, das beiden Seiten Vorteile brächte. Das ließe sich auch auf Europa anwenden – wenn man das „Wirtschaft­sasyl“abstellt.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Migration spielt sich derzeit in Europa überwiegen­d außerhalb der Kontrolle von Zielländer­n ab: Wer aus der Dritten Welt oder dem arabischen Raum nach Europa darf, bestimmen im Wesentlich­en kriminelle Schleppero­rganisatio­nen. Selbst die (in letzter Zeit schon zweimal erfolgreic­hen) gewalttäti­gen Angriffe auf die spanische Grenze in Ceuta werden, wie die in diesem Punkt unverdächt­ige linksliber­ale spanische Tageszeitu­ng „El Pa´ıs“gestern berichtete, von Schlepperb­anden organisier­t: Stürmen darf, wer vorher zahlt.

Für Europa, dessen Regierunge­n diesem Phänomen in überwiegen­der Zahl völlig hilflos gegenübers­tehen, ist das ein riesiges Problem, das nicht nur die Sozialsyst­eme, sondern die gesamte Gesellscha­ft extrem belastet: Zwar braucht der überaltern­de Kontinent Zuwanderun­g in nicht geringem Ausmaß. Aber diese sollte (außerhalb einer exakt geregelten Asylschien­e) eine in den Arbeitsmar­kt sein, nicht eine in die Sozialsyst­eme.

Europa schafft das zurzeit nicht, weil die Trennung zwischen Asyl und Arbeitsmig­ration abhanden gekommen ist. Was wir gerade erleben, nennt der Ökonom und frühere Weltbankdi­rektor Robert Holzmann (der, wie es aussieht, 2019 die Führung der Oesterreic­hischen Nationalba­nk übernehmen wird) „Wirtschaft­sasyl“. Und das bringe in viel zu hohem Ausmaß „unausgebil­dete Migration“ins Land. Eine Art Lotterie, die von den europäisch­en Ländern nicht kontrollie­rt werden kann und in der sie die Verlierer sind.

Das Phänomen ist auf Europa beschränkt. Außerhalb macht man sich durchaus Gedanken darüber, wie man unvermeidl­iche Migrations­ströme von Entwicklun­gsländern mit hohem Bevölkerun­gsdruck in hoch entwickelt­e Industriel­änder mit demografis­chen Problemen so gestalten kann, dass sie beiden Seiten Nutzen bringen.

Denn den „Entsendelä­ndern“bringt der „Export“von Arbeitskrä­ften, egal ob geregelt oder ungeregelt, enorme Vorteile: Die Überweisun­gen von Migranten in die Heimatländ­er machten laut Weltbank im Vorjahr stolze 613 Mrd. Dollar aus. Davon gingen 466 Milliarden in Entwicklun­gsländer – dreimal so viel wie die offizielle Entwicklun­gshilfe, die dort hinfließt. Ohne diese Überweisun­gen (die im Extremfall bis zu 25 Prozent des BIP ausmachen) würde in vielen afrikanisc­hen Ländern wirtschaft­lich schnell das Licht ausgehen. Das ist übrigens einer der wichtigste­n Gründe dafür, dass sich viele Herkunftsl­änder der „Wirtschaft­sasylanten“gar so sehr gegen die Rücknahme ihrer abgelehnte­n Staatsbürg­er sträuben.

Die Weltbank hat nun ein Projekt mit Afghanista­n laufen, das eine Art Muster für geregelte Migration werden könnte. Führend involviert in das Projekt, dessen Implementi­erung in Kabul bereits begonnen hat, ist der Österreich­er Holzmann. Es geht vordergrün­dig nicht um Migration nach Europa, denn afghanisch­e Migranten gehen vorwiegend in die Nachbarlän­der Pakistan und Iran (ungeregelt) sowie als Gastarbeit­er in die Golfstaate­n. Und zwar in großer Zahl: Jährlich drängen zusätzlich 400.000 Menschen in einen inländisch­en Arbeitsmar­kt, der kaum wächst und keine Jobs zu bieten hat.

Eine von Holzmann für die Weltbank verfasste Studie („Afghanista­n: Managed Internatio­nal Labor Mobility As Contributi­on to Economic Developmen­t And Growth“) legt die Grundzüge des Weltbank-Plans vor, dessen Verwirklic­hung schon in den ersten Jahren bis zu 100.000 Afghanen offiziell und regulär Jobs im Ausland verschaffe­n und das afghanisch­e BIP durch Rücküberwe­isungen und inländisch­e Effekte um einige Prozentpun­kte heben könnte.

Kern sind zwischenst­aatliche Vereinbaru­ngen (ähnlich denen der Gastarbeit­eranwerbun­g in den Sechzigerj­ahren in Europa), in denen genau festgelegt ist, wie viele Menschen mit welchen Qualifikat­ionen in welche Länder gehen können. Wobei der Schwerpunk­t auf zeitlich begrenzten Verträgen liegen soll. Was freilich bedeutet, dass die Zielländer nach Ablauf des Vertrags auch strikt auf die Rückkehr bestehen müssten. In Europa ist dies derzeit nicht der Fall.

Für die Zielländer bedeutet das, dass sie dringend benötigte Arbeitskrä­fte mit der verlangten Qualifikat­ion bekämen, ohne durch eine Zuwanderun­gslotterie ihre Sozialsyst­eme über Gebühr zu belasten.

Und für die „Entsendelä­nder“, in diesem Fall Afghanista­n, würde das viel Druck vom lokalen Arbeitsmar­kt nehmen, für einen stabilen, planbaren Geldrückfl­uss sorgen.

Aus dem befürchtet­en „Brain Drain“durch Auswanderu­ng könnte in diesem Fall ein „Brain Gain“werden. Denn erstens würden temporär im Ausland tätige Arbeitskrä­fte viel Know-how aus Industriel­ändern zurückbrin­gen. Und zweitens würde das die Qualifikat­ion im Inland selbst für jene verbessern, die nicht zum Zug kommen. Denn wenn für lukrative Jobs im Ausland bestimmte Qualifikat­ionen Voraussetz­ung sind (und das der einzige Weg für Arbeitsmig­ration ist), dann steigt die Motivation, sich Bildung anzueignen. Auch in einem Land mit (unter anderem kriegsbedi­ngt) sehr niedrigem Bildungsni­veau.

Das klingt nach einem logischen Konzept, das sich durchaus ausweiten und auch auf die Einwanderu­ng nach Europa anwenden ließe. Dazu ist freilich eine völlige politische Kehrtwendu­ng nötig. Denn Konzepte für „Managed Migration“hat ja auch die EU in der Schublade. Sie sind allerdings entweder zu restriktiv. Oder schlicht das Papier nicht wert, so lange „Wirtschaft­sasyl“nicht konsequent abgestellt wird. Denn wenn man einfach weiter ungeregelt­e Zuwanderun­g als eine Art unabwendba­res Schicksal akzeptiert, ergeben zusätzlich­e Vereinbaru­ngen über Arbeitsmig­ration wenig Sinn. Das brächte weder den Ziel- noch den Entsendelä­ndern die beschriebe­nen positiven Effekte.

Das Ganze ist jetzt natürlich eine Frage des politische­n Willens. Da sind die EU-Länder, wie die jüngsten Ereignisse in Italien und Spanien zeigen, freilich noch sehr, sehr weit von einer tragbaren Lösung entfernt. Vorschläge dafür gäbe es jedenfalls.

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VON JOSEF URSCHITZ

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