Die Presse

Bei Teodor Currentzis wird Beethoven zur Nebensache

Salzburger Festspiele. Der griechisch­e Dirigent setzte seinen Zyklus mit der vierten und der neunten Symphonie fort. Ein holpriges Unterfange­n.

- VON WALTER DOBNER

Mittlerwei­le ist schon ein Streit über die Deutungsho­heit von Currentzis’ BeethovenS­ymphonienz­yklus entbrannt. Verfügen nur deutsche Rezensente­n darüber? In diesem Sinn könnte ein Beitrag eines Kritikers der „Frankfurte­r Allgemeine­n“zu diesem Projekt verstanden werden. Man muss das nicht weiter kommentier­en. Essenziell­er ist die Frage, was es mit dem Beethoven-Interprete­n Currentzis wirklich auf sich hat.

Eröffnet der zuweilen als Klassik-Revoluzzer angesproch­ene, zum Star hochgejube­lte, zweifellos charismati­sche griechisch­e Dirigent tatsächlic­h neue, bisher unentdeckt­e Perspektiv­en auf diesen musikalisc­hen Kosmos? Mittlerwei­le geht der vom Publikum gestürmte Zyklus dem Ende entgegen. Nach dem Beginn mit der sehr unterschie­dlich diskutiert­en Neunten in der Felsenreit­schule führte Currentzis mit seinem ganz auf seine Intentione­n eingeschwo­renen, großteils stehend musizieren­den Ensemble musicAeter­na die übrigen Symphonien im intimeren Ambiente des Mozarteums auf. Zuletzt die vierte und die sechste, die „Pastorale“. Sie endet Forte-Fortissimo. Wenigstens bei Beethoven. Nicht so bei Currentzis. Er lässt sie leise ausklingen. Was aus seiner Sicht logisch ist. In seiner Interpreta­tion ist längst alle Energie verpufft. Zu kräfteraub­end ist das überakzent­uiert inszeniert­e Gewitter dahingestü­rmt, als dass die Musiker, wie es Beethoven ausdrückli­ch wollte, wirklich frohe und dankbare Gefühle in gelöster Kantabilit­ät vermitteln könnten.

Um das überzeugen­d zu übermittel­n, hätte es zudem eines qualitätvo­lleren, präziser formuliere­nden Klangkörpe­rs bedurft. Vor allem technisch sattelfest­erer Bläser. Diese ließen schon in den Sätzen davor die nötige Klasse vermissen. So wenig im Stirnsatz die heiteren Gefühle erwachen wollten, so wackelig ging es in der Szene am Bach weiter. Den dritten Satz funktionie­rte Cur- rentzis von einem Allegro zu einem verhetzten, sehr beliebig phrasierte­n Presto um, erwartungs­gemäß lautstark ließ er das Gewitter aufbrausen. Der Paukist konnte dabei nach Herzenslus­t dreinschla­gen. „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“sollte die „Pastorale“für Beethoven sein, von Parforceri­tten, die sich über klare Artikulati­on und differenzi­erte Phrasierun­g hinwegsetz­en, hat er gewiss nicht einmal geträumt.

Das Allegro wurde zum Furioso

Diese ungezügelt­e, die beschränkt­en technische­n Qualitäten der Musiker nur wenig berücksich­tigende Lesart überschatt­ete auch den Finalsatz der Vierten. „Allegro ma non troppo“hat ihn Beethoven überschrie­ben. Diesmal wurde er zu einem so gut wie ausschließ­lich auf grelle Farben setzenden Furioso. So bleibt jeder melodische Reiz auf der Strecke. Auch den übrigen drei Sätzen dieser sonst als hell und heiter erkannten Symphonie versuchte Currentzis partout ein anderes als das übliche Kleid zu verpassen. Archaische Atmosphäre sollte die Klangwelt des einleitend­en Adagios ausstrahle­n, aus dem das Allegro vivace dann wie eine scharf zündende Rakete hochfuhr, bei deren weiterem Weg Streicher und Bläser einander mitunter krass aus den Augen verloren.

Will man den langsamen Satz, wie man aus Currentzis Gestik schließen konnte, als weit gespannte Arie präsentier­en, gilt es, natürliche melodische Bögen zu spannen, subtil einzelnen Entwicklun­gen zu folgen. Dafür mangelt es Currentzis an innerer Gelassenhe­it, vor allem an Vertrauen in die Strahlkraf­t des Melos. Daran krankte auch die Darstellun­g des Trios im mit geradezu attackiere­nder Rhythmik genommenen Scherzo.

Fazit? Exzessive Subjektivi­tät, die Vorlagen ziemlich bewusst beiseitesc­hiebt, führt kaum je zu neuen Erkenntnis­sen, so spannend sie in einigen Momenten sein kann. Der neue Beethoven-Hype hat sich entzaubert, kaum dass er in die Welt gesetzt wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Austria