Bei Teodor Currentzis wird Beethoven zur Nebensache
Salzburger Festspiele. Der griechische Dirigent setzte seinen Zyklus mit der vierten und der neunten Symphonie fort. Ein holpriges Unterfangen.
Mittlerweile ist schon ein Streit über die Deutungshoheit von Currentzis’ BeethovenSymphonienzyklus entbrannt. Verfügen nur deutsche Rezensenten darüber? In diesem Sinn könnte ein Beitrag eines Kritikers der „Frankfurter Allgemeinen“zu diesem Projekt verstanden werden. Man muss das nicht weiter kommentieren. Essenzieller ist die Frage, was es mit dem Beethoven-Interpreten Currentzis wirklich auf sich hat.
Eröffnet der zuweilen als Klassik-Revoluzzer angesprochene, zum Star hochgejubelte, zweifellos charismatische griechische Dirigent tatsächlich neue, bisher unentdeckte Perspektiven auf diesen musikalischen Kosmos? Mittlerweile geht der vom Publikum gestürmte Zyklus dem Ende entgegen. Nach dem Beginn mit der sehr unterschiedlich diskutierten Neunten in der Felsenreitschule führte Currentzis mit seinem ganz auf seine Intentionen eingeschworenen, großteils stehend musizierenden Ensemble musicAeterna die übrigen Symphonien im intimeren Ambiente des Mozarteums auf. Zuletzt die vierte und die sechste, die „Pastorale“. Sie endet Forte-Fortissimo. Wenigstens bei Beethoven. Nicht so bei Currentzis. Er lässt sie leise ausklingen. Was aus seiner Sicht logisch ist. In seiner Interpretation ist längst alle Energie verpufft. Zu kräfteraubend ist das überakzentuiert inszenierte Gewitter dahingestürmt, als dass die Musiker, wie es Beethoven ausdrücklich wollte, wirklich frohe und dankbare Gefühle in gelöster Kantabilität vermitteln könnten.
Um das überzeugend zu übermitteln, hätte es zudem eines qualitätvolleren, präziser formulierenden Klangkörpers bedurft. Vor allem technisch sattelfesterer Bläser. Diese ließen schon in den Sätzen davor die nötige Klasse vermissen. So wenig im Stirnsatz die heiteren Gefühle erwachen wollten, so wackelig ging es in der Szene am Bach weiter. Den dritten Satz funktionierte Cur- rentzis von einem Allegro zu einem verhetzten, sehr beliebig phrasierten Presto um, erwartungsgemäß lautstark ließ er das Gewitter aufbrausen. Der Paukist konnte dabei nach Herzenslust dreinschlagen. „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“sollte die „Pastorale“für Beethoven sein, von Parforceritten, die sich über klare Artikulation und differenzierte Phrasierung hinwegsetzen, hat er gewiss nicht einmal geträumt.
Das Allegro wurde zum Furioso
Diese ungezügelte, die beschränkten technischen Qualitäten der Musiker nur wenig berücksichtigende Lesart überschattete auch den Finalsatz der Vierten. „Allegro ma non troppo“hat ihn Beethoven überschrieben. Diesmal wurde er zu einem so gut wie ausschließlich auf grelle Farben setzenden Furioso. So bleibt jeder melodische Reiz auf der Strecke. Auch den übrigen drei Sätzen dieser sonst als hell und heiter erkannten Symphonie versuchte Currentzis partout ein anderes als das übliche Kleid zu verpassen. Archaische Atmosphäre sollte die Klangwelt des einleitenden Adagios ausstrahlen, aus dem das Allegro vivace dann wie eine scharf zündende Rakete hochfuhr, bei deren weiterem Weg Streicher und Bläser einander mitunter krass aus den Augen verloren.
Will man den langsamen Satz, wie man aus Currentzis Gestik schließen konnte, als weit gespannte Arie präsentieren, gilt es, natürliche melodische Bögen zu spannen, subtil einzelnen Entwicklungen zu folgen. Dafür mangelt es Currentzis an innerer Gelassenheit, vor allem an Vertrauen in die Strahlkraft des Melos. Daran krankte auch die Darstellung des Trios im mit geradezu attackierender Rhythmik genommenen Scherzo.
Fazit? Exzessive Subjektivität, die Vorlagen ziemlich bewusst beiseiteschiebt, führt kaum je zu neuen Erkenntnissen, so spannend sie in einigen Momenten sein kann. Der neue Beethoven-Hype hat sich entzaubert, kaum dass er in die Welt gesetzt wurde.