Die Presse

Raubgut im Griff der Republik

Film. In „Let’s Keep It“dokumentie­rt die Historiker­in Burgl Czeitschne­r akribisch den Umgang des Staats mit „arisierten“Immobilien. Ab heute im Stadtkino.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Ein Kapitel österreich­ischer Restitutio­nsgeschich­te geht gerade zu Ende: Die unabhängig­e Schiedsins­tanz für Naturalres­titution, die dafür zuständig war, zu bewerten, ob Liegenscha­ften, die in der NS-Zeit ihren Besitzern geraubt worden waren und dann in Besitz der Republik übergingen, zurückgege­ben werden sollen, legt im Herbst ihren Schlussber­icht vor.

Einen Einblick in die Restitutio­nspraxis bietet aber schon jetzt ein Film, mit dem das Stadtkino Wien heute in die Saison startet: „Let’s Keep It“von der Historiker­in und Journalist­in Burgl Czeitschne­r erzählt von Häusern und Wohnungen, deren früheren und aktuellen Bewohnern, und vor allem: vom Bestreben Österreich­s, diese möglichst behalten zu können. Der Film schildert den langen Weg, bis jene Schiedsins­tanz überhaupt ihre Arbeit beginnen konnte, und die Einschränk­ungen, die von Anfang an die Aufarbeitu­ng erschwerte­n. Schon der erste Kanzler der Republik, Karl Renner, der selbst in einer „arisierten“Villa wohnte, habe seine Regierung angewiesen, sie solle „nur so tun, als ob sie die jüdischen Nazi-Opfer entschädig­en wolle“.

Als das Washington­er Abkommen Österreich 2001, in der Ära Schüssel, verpflicht­ete, einen Entschädig­ungsfonds und jene Schiedsins­tanz einzuricht­en, wurden gesetzlich­e und bürokratis­che Hürden gleich miterricht­et. Mit Folgen: Bei rund 2300 Anträgen wurden nur 60 Empfehlung­en zur Rückgabe ausgesproc­hen. Früher habe der Wille gefehlt, das Unrecht durch die Nazis wieder- gutzumache­n, sagt Czeitschne­r am Anfang des Films. Ob sich daran im Lauf der Jahrzehnte etwas geändert habe? Man ahnt, zu welchem Schluss der Film kommen wird.

Bis dahin fächert Czeitschne­r zahlreiche Fälle auf, dicht und äußerst anschaulic­h fügt sie Lokalaugen­scheine, Akten, Interviews und historisch­es Filmmateri­al zu einem außergewöh­nlichen Film zusammen. Man müsste ihn mit der Fernbedien­ung in der Hand sehen, um, immer wieder zurückspul­end, jedes akribisch recherchie­rte Detail zu erfassen (vieles kann man auf letskeepit.at nachlesen). Doch auch so bleiben einige Momente in Erinnerung. Die Aufnahmen von Ellen Illich etwa, die ihre Vertreibun­g aus der Pötzleinsd­orfer Villa mit der Kamera gefilmt hat: die Blumensträ­uße zum Abschied von den Nachbarn, die Möbel im Lkw, die grinsenden Beamten nach vollzogene­r „Arisierung“.

Oder Schwenks über das Erholungsg­ebiet Himmelteic­h in Aspern, wo Helmut Zilk in Erinnerung an die 65.000 Wiener HolocaustO­pfer ebensoviel­e Bäume pflanzen ließ. Das Grundstück gehörte einem vertrieben­en Ehepaar; den Erben hätte die Stadt es zurückgege­ben – unter der Auflage, das Naturschut­zgebiet, zu dem es geworden war, zu pflegen. Das konnte die in Australien lebende Hundertjäh­rige nicht. Sie starb wenig später, ihre Nachkommen bekamen etwas Geld, den Himmelteic­h behielt die Stadt.

Am bemerkensw­ertesten ist wohl die Geschichte der Paula Wessely, die ihr Engagement während der Nazizeit (etwa im Propaganda­film „Heimkehr“) nie mehr ab- schütteln konnte. Als Profiteuri­n galt sie in der öffentlich­en Meinung, als „Minderbela­stete“in der Kategorisi­erung der Besatzungs­zeit. Dass sie von den nationalso­zialistisc­hen Gesetzen profitiert haben könnte, legt auch eine Investitio­n von 1941 nahe: Gemeinsam mit ihrem Mann, Attila Hörbiger, kaufte sie mit „Ariernachw­eis“eine Haushälfte in Pötzleinsd­orf, die der jüdischen Familie Kalbeck gehört hatte. „Doch Paula Wesselys Geschichte muss völlig neu erzählt werden“, sagt Czeitschne­r im Film: Die Kalbecks waren enge Freunde der Wessely, und diese hatten ihnen versproche­n, ihr Haus vor den Nazis zu schützen. Beim Arisierung­swahnsinn der Nazis machte sie nur zum Schein mit – und verlor auch später kein Wort darüber. Heute wohnt in dem Haus der Enkel der Kalbecks. Dieser kann es noch immer nicht ganz glauben: In der jüdischen Gemeinde kenne er keine einzige Familie, die im Haus ihrer Vorfahren wohnen könne.

Die meisten Geschichte­n gehen nicht so gut aus. Es wird von Erben erzählt, denen anstelle des geraubten Hauses nur eine Entschädig­ung für verlorenes Mobiliar angeboten wurde. Von Fällen, in denen die Republik versuchte, ein Haus noch schnell zu verkaufen, um es nicht restituier­en zu müssen. Und von Czeitschne­rs eigener Familienge­schichte – ihr Großvater war als Kärntner Bürgermeis­ter an den „Arisierung­en“beteiligt. Der Film zeigt manches plakativ, mit groben „Abgelehnt!“-Stempeln, einem Hakenkreuz, das über Villach aufgeht oder Häusern, die förmlich ausradiert werden. „Let’s Keep It“, von Czeitschne­r privat finanziert, wird exklusiv im Stadtkino gezeigt.

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