Trockenheit und Hunger im Tschad
Tschad. Das Land steckt in der Krise, in der Hauptstadt steigt die Zahl mangelernährter Kinder. Langzeitmachthaber D´eby wird vom Westen als militärischer Verbündeter unterstützt.
Das von Frankreich unterstützte Land steckt in einer schweren Krise: eine Reportage.
N’Djamena. Vorsichtig stützt die junge Frau mit einer Hand den kleinen Kopf ihres Kindes. Mit der anderen hält sie die Infusionsflasche hoch, die das Baby mit lebenswichtiger Nahrung und Flüssigkeit versorgt. Mutter und Kind lagern auf einer Bodenmatte, denn in den 20 Betten der Abteilung für intensivmedizinische Fälle ist kein Platz mehr.
Die Kinder hier in Block B des „Tschadisch-Chinesischen Freundschaftsspitals“in N’Djamena leiden unter schwerer Mangelernährung – einem Phänomen, das im Tschad zuletzt stark zugenommen hat. Im Jahr 2010 galten in dem afrikanischen Land 100.000 Kinder im Alter unter fünf Jahren als schwer mangelernährt, 2018 sind es bereits 260.000. Heute gibt es im Tschad mehr Gesundheitszentren als früher. Auch das trägt dazu bei, dass die Zahl der diagnostizierten Fälle steigt. Doch eines ist klar: die Lebensbedingungen haben sich verschlechtert.
Hossein Madad, der für die Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission (DGEcho) arbeitet, zeigt sich besorgt: „Das heurige Jahr ist sehr spezifisch.“Denn nicht nur Kinder in abgelegenen Gegenden haben nicht mehr genügend Nahrung. Auch in der Hauptstadt in N’Djamena ist die Zahl der betroffenen Kinder massiv angewachsen.
Anfang des Jahres hatte man im „Tschadisch-Chinesischen Freundschaftsspital“noch mit 33.000 Fällen von Mangelernährung gerechnet, jetzt geht man von 52.000 aus. 10.000 Kinder mussten als schwere Fälle behandelt werden. „Wir haben dafür 80 Betten, aber derzeit müssen wir 150 Patienten versorgen“, berichtet einer der Ärzte. Oft werden die Kinder erst ins Spital gebracht, wenn ihr Zustand schon kritisch ist. „Die ersten 24 Stunden sind entscheidend“, sagt der Arzt. „Wenn es uns gelingt, die Kinder in diesem Zeitraum zu stabilisieren, haben sie Chancen, zu überleben.“
In dieser Saison herrschte im Tschad besondere Trockenheit. Die Ernten sind schlechter ausgefallen als in den Jahren zuvor. Während die Menschen auf die nächste Ernte warten, gehen ihre Essensvorräte zur Neige. Lebensmittelpreise sind gestiegen. Das trifft auch N’Djamenas Einwohner.
Wichtiger Militärstützpunkt für Paris
Dabei hat sich das Bild, das die Hauptstadt bietet, in den vergangenen zehn Jahren verbessert. Im Februar 2008 waren in N’Djamena noch Spuren der Gefechte zu sehen, die kurz zuvor getobt hatten. Tschads Präsident Idriss Deby´ hatte gerade mit Hilfe der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich einen Rebellenangriff abgewehrt. An Straßenecken standen ausgebrannte Geländefahrzeuge. Überall lagen Bäume. Sie waren gefällt worden, um ein freies Schussfeld auf die Pickups der Rebellen zu erhalten.
Mittlerweile sind die Straßen N’Djamenas und wichtige Verbindungswege außerhalb der Hauptstadt asphaltiert worden. Neue Hotels wurden errichtet. Doch dann kam die Krise. Heute ragen mehrstöckige Gebäude als graue, unverputzte Hüllen in die Höhe. Sie wurden nie fertiggestellt.
Der niedrige Ölpreis hat dem Land ab 2015 massiv zugesetzt. Die Menschen leiden unter Korruption und Misswirtschaft. Deby´ ist seit 1990 Präsident – und er denkt nicht daran, die Macht abzugeben. Im Mai wurde eine neue Verfassung verabschiedet, durch die er bis 2033 im Amt bleiben könnte.
Frankreich hält weiterhin die schützende Hand über den Machthaber. In Europa hofft man, Deby´ als Verbündeten in der Migrationsfrage zu gewinnen. In Paris gab es Pläne, im Tschad Asylzentren einzurichten. Trotz all der eigenen Probleme beherbergt der Tschad mit seinen 14 Millionen Einwohnern derzeit 450.000 Flüchtlinge. Die meisten davon stammen aus der Krisenregion Darfur im Sudan, aus der Zentralafrikanischen Republik und aus Nigeria.
Zugleich ist der Tschad für Frankreich gleichsam eine große Kaserne. Von Stützpunkten in dem zentral gelegenen afrikanischen Land brechen die französischen Streitkräfte zu Operationen in der gesamten Region auf. Und Tschads Präsident unterstützt Frankreich auch direkt. So zogen tschadische Soldaten an der Seite Frankreichs in Mali in den Krieg. Paris hatte dort 2013 interveniert. Und der Tschad beteiligt sich mit Unterstützung der EU am Einsatz gegen die jihadistische Sekte Boko Haram, die vom Norden Nigerias aus ihr Unwesen treibt. Debys´ Soldaten sind kampferprobt und in der Region gefürchtet.
Astas Kind hat es geschafft
Im „Tschadisch-Chinesischen Freundschaftsspital“kämpfen derweil Dutzende Kinder ums Überleben. Astas acht Monate alte Tochter hat es geschafft. Die beiden sind nun in einem Raum für weniger schwere Fälle untergebracht. Die Betten sind überbelegt. Viele sitzen auf Teppichen und Matten. Als Astas Kind eingeliefert wurde, litt es an Durchfall und hatte viel zu wenig Gewicht. Mittlerweile hat es sich wieder erholt. Mutter und Tochter werden wohl bald das Spital verlassen. Dann hängt alles davon ab, ob das Kind genügend Nahrung erhält.