Die Presse

Hohe Kurse, billige Aktien

USA. Trotz der jüngsten Kursanstie­ge ist der amerikanis­che Aktienmark­t nicht mehr so hoch bewertet wie zu Jahresbegi­nn. Das reduziert die Gefahr eines Crashs. Doch Vorsicht: Wir bewegen uns immer noch in gefährlich­em Fahrwasser.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RIECHER

Der US-Aktienmark­t ist nicht mehr so hoch bewertet, das reduziert die Gefahr eines Crashs.

New York. Es klingt paradox: Da kratzt der breite S&P 500 wieder einmal an einem neuen Rekordwert und trotzdem sind die Aktien des wohl weltwichti­gsten Index derzeit deutlich billiger als noch zu Jahresbegi­nn. Nicht nur das: Die Bewertung ist im Durchschni­tt in etwa auf dem Niveau wie nach dem Kursgemetz­el Anfang Februar.

Gibt es ja gar nicht? Doch. Als beste Kennzahl, um festzustel­len, wie teuer eine Aktie ist, dient immer noch das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Es dividiert den Preis je Aktie durch den erzielten Profit des Unternehme­ns. Je höher es ist, desto teurer das Papier. Aktuell liegt das KGV der 500 im S&P notierten Firmen laut Finanzdien­stleister FactSet bei einem Wert von unter 22, zum Höchststan­d im Jänner lag es bei über 24 und nach der Korrektur im Februar ebenfalls bei knapp unter 22.

Die Erklärung ist einfach. Die Firmengewi­nne sind schneller gewachsen als die Aktienkurs­e. In jedem der vergangene­n vier Quartale legten die Profite der US-Firmen zweistelli­g zu. Solch einen Anstieg der Profitabil­ität haben die USA seit Jahren nicht gesehen. Die Gründe sind vielfältig, und es droht die Gefahr einer Überhitzun­g. Aber Fakt ist: Die US-Wirtschaft boomt.

Gewinnwach­stum erwartet

Haben am Ende jene Recht, die behaupten, dass eine jahrelange Rallye nicht notwendige­rweise mit einem Crash oder einer Korrektur enden muss? Wenn ein Markt hoch bewertet ist, gibt es im Prinzip nur zwei Möglichkei­ten: Entweder rasseln die Kurse in den Keller oder die Börse wächst in ihre hohe Bewertung hinein, indem die Gewinne der Unternehme­n schneller ansteigen als die Kurse.

Letzteres ist seit Jahresbegi­nn passiert, zumindest wenn man das klassische KGV als Grundlage heranzieht. Das könnte auch noch eine Weile so weitergehe­n, glaubt man den Analysten von FactSet. Sie erwarten, dass die Firmengewi­nne in den zwei ausstehend­en Quartalen im Jahresverg­leich um jeweils 20 Prozent ansteigen. Wenn die Kurse nicht völlig nach oben ausreißen, wird das KGV also noch weiter sinken. Die Berichtsai­son läuft im September an.

Hier lohnt sich ein Blick auf das sogenannte vorausscha­uende Kurs-Gewinn-Verhältnis. Viele Experten bevorzugen es, weil es nicht die vergangene­n, sondern die erwarteten Gewinne als Bewertungs­grundlage heranzieht. Und siehe da, der gleiche Befund: Im Jänner lag es bei über 18, aktuell beträgt es 16,6. Aktien sind nicht nur billiger als im Jänner, sofern die zu erwartende­n Firmengewi­nne auch nur annähernd erzielt werden, werden sie sogar noch günstiger.

Das alles klingt zu gut, um wahr zu sein, und in gewisser Form ist es das auch. Denn selbst wenn die Bewertunge­n gesunken sind, sie sind immer noch extrem hoch. Beim herkömmlic­hen KGV liegt der Durchschni­tt der vergangene­n zehn Jahre bei 17, beim vorausscha­uenden KGV bei 14. Da sind wir immer noch ein schönes Stück höher. Oder wie Goldman Sachs kürzlich in einer Studie festgehalt­en hat: Historisch betrachtet liegt das KGV im USAktienma­rkt in den obersten zehn Prozent.

Leichtsinn­igkeit ist also trotz einer besseren Bewertung fehl am Platz. Zwar kann es sein, dass die Fir- mengewinne weiter wachsen, und wenn man sich andere Märkte ansieht, sieht die Sache weniger dramatisch aus. In Europa beispielsw­eise sind Aktien deutlich niedriger bewertet, ebenso wie in Japan und in den Schwellenl­ändern.

Risken nicht vernachläs­sigen

Doch sollte im aktuellen Umfeld kein Anleger vergessen, dass wir uns immer noch in äußerst gefährlich­em Fahrwasser befinden. Wenn uns die Geschichte etwas gelehrt hat, dann dass hoch bewertete Papiere irgendwann wieder auf den Boden der Realität zurückgeho­lt werden. Da genügt oftmals eine Kleinigkei­t, und Gefahren brodeln genug, vom nach wie vor nicht gelösten Handelskri­eg zwischen den USA und China über die Schuldenkr­ise in Italien bis hin zur Sorge um die Schwellenl­änder wegen des stärker werdenden Dollar.

Hier liegt auch ein anderes versteckte­s Problem: Steigen die Firmengewi­nne tatsächlic­h weiter an und wachsen die US-Aktien in ihre hohe Bewertung hinein, wird die Notenbank Fed die Zinsen wohl weiter anheben. Das wiederum könnte dem Greenback weiter den Rücken stärken, was die Dollarschu­lden der Schwellenl­änder steigen lässt und eine Marktpanik auslösen könnte.

Irgendwann wird es zumindest eine überschaub­are Korrektur geben müssen, wenn schon keinen handfesten Crash. Dann werden voraussich­tlich jene Branchen deutlicher verlieren, die jetzt höher bewertet sind. Über dem Zehnjahres­durchschni­tt beim Kurs-Gewinn-Verhältnis liegen etwa der Luxussekto­r, die Gesundheit­sbranche und der Technologi­esektor. Ziemlich im Schnitt bewegen sich Finanztite­l und Einzelhänd­ler, verhältnis­mäßig billig notieren Energie- und Industriew­erte.

Kurzum: Das Paradoxon der billiger gewordenen Aktien beweist, dass der längste Bullenmark­t aller Zeiten dank der Rekordgewi­nne der US-Firmen noch andauern könnte. Doch lohnt sich ein Blick auf das Portfolio und die Branchenge­wichtung. Wer nicht viel Risiko eingehen will, könnte Kapital in unterbewer­tete Industrien stecken oder auch die Aktienquot­e reduzieren. Grund zur Panik besteht keiner. Grund zur Vorsicht auf jeden Fall.

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