Die Presse

Populisten sind nicht mit den eigenen Waffen zu schlagen

Dem aufkommend­en Nationalis­mus in der EU müssen proeuropäi­sche Argumente entgegenge­halten werden.

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Z ehn Stunden kann die Rückreise aus dem kroatische­n Istrien nach Wien in der sommerlich­en Hauptreise­zeit 2018 dauern – knapp drei Stunden länger als üblich also. Das liegt zum einen daran, dass Kroatien noch nicht Schengen-Mitglied ist und an der kroatisch-slowenisch­en Grenze folglich Staus programmie­rt sind. Zum anderen verflucht so mancher Urlauber die Kontrollen an der österreich­ischen Grenze mit Slowenien, die im Flüchtling­sjahr 2015 wiedereing­eführt wurden und deren Verlängeru­ng alle sechs Monate von der EU-Kommission genehmigt werden muss. Allerdings reisen seit geraumer Zeit kaum noch Migranten über die Balkanrout­e ins Land.

Symbolpoli­tik nennen das die einen, eine sicherheit­spolitisch­e Notwendigk­eit die anderen. In jedem Fall passt es zur Stimmung auf diesem Kontinent, wo nach der großen Flüchtling­swelle vor exakt drei Jahren die Angst vor dem aufkommend­en Nationalis­mus von Tag zu größer wird – zumal im kommenden Frühling Europawahl­en stattfinde­n. Glaubt man Prognosen, könnten EU-kritische bis -feindliche Parteien künftig mehr als 100 Abgeordnet­e im Straßburge­r Europaparl­ament stellen. Sie warnen vor zunehmende­r Überfremdu­ng, einem Verlust der europäisch­en Kultur und nicht zuletzt einer Vertiefung der Staatengem­einschaft, weil die endgültige Machtübern­ahme nationaler Kompetenze­n durch Brüssel dann nicht mehr aufzuhalte­n sei.

Der Versuch, Populisten mit den eigenen Waffen zu schlagen und deren Vorschläge in abgemilder­ter Form zu imitieren, läuft jedoch ins Leere. Vielmehr sollte EU-Gegnern eine betont proeuropäi­sche Politik entgegenge­halten werden, die die Vorteile eines gemeinsame­n Europa aufzeigt; anstatt ständig zu versuchen, deren – zweifelsoh­ne vorhandene – Schwächen in den Mittelpunk­t zu stellen. So zählen die vier Freiheiten des europäisch­en Binnenmark­ts nicht umsonst zu den größten Errungensc­haften des europäisch­en Projekts: Sie machen den Sinn der Staatengem­einschaft für jedermann spürbar, denken wir nur an das Staubeispi­el zu Beginn zurück. Auch in der Migrations­krise kann nur gemeinsame­s Handeln zu einer Lösung führen. Leider sind die Mitgliedst­aaten wegen anscheinen­d unlösbarer Differenze­n von einem gemeinsame­n europäisch­en Asylsystem noch weit entfernt. Der Tenor lautet: Flüchtling­sabwehr. Einigkeit herrscht besonders bei der Notwendigk­eit eines effiziente­n Außengrenz­schutzes: Das Argument, dass freier Personenve­rkehr im Inneren nur mit konsequent­er Kontrolle nach außen funktionie­ren kann, leuchtet ein.

Die Fokussieru­ng der österreich­ischen Ratspräsid­entschaft auf das Thema Sicherheit trifft also ohne Zweifel den Nerv der Zeit. Ob eine Beteiligun­g des Militärs dabei das Mittel der Wahl ist, wie Verteidigu­ngsministe­r Mario Kunasek beim Ministerra­t in Wien Mitte dieser Woche vorschlage­n will, steht auf einem anderen Blatt. A lexander Van der Bellen betonte in Alpbach, dass er die Migrations­frage nicht für die größte Herausford­erung der EU in den kommenden Jahren hält – und erhielt dafür tosenden Applaus. Stattdesse­n sei das „Wiederauff­lammen nationalis­tischer Kleinstaat­stendenzen“eine große Gefahr für Europa, der mit aller Kraft Einhalt zu gebieten sei. Kein Wunder, werden nun manche entgegnen, dass dieser Befund im Tiroler Bergdorf auf Zustimmung stößt: Das Alpbacher Publikum ist keineswegs gleichzuse­tzen mit der Bevölkerun­g Europas, sondern bildet nur einen winzigen elitären Ausschnitt. Tatsächlic­h ist es Realität, dass das Thema Migration seit Monaten Wahlausgän­ge in West- und Osteuropa, im Norden wie im Süden bestimmt. Ein Grund dafür ist aber auch, dass den herbeigere­deten Untergangs­szenarien der Populisten vonseiten der etablierte­n Parteien immer noch zu wenig entgegenge­setzt wird.

Die Furcht vor einem weiteren Erstarken jener Kräfte, die die Einheit des Kontinents zunichtema­chen wollen, ist so groß, dass mancher Politiker in Versuchung gerät, deren Stil – und sogar deren Positionen – nachzueife­rn. Doch Angst war noch nie ein besonders guter Ratgeber.

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VON ANNA GABRIEL

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