Die Presse

Ermittlung­en gegen Minister Salvini

Flüchtling­sschiff. Italiens Innenminis­ter droht wegen der verweigert­en Hilfe für Menschen auf der Flucht nun ein Gerichtsve­rfahren. Ob es allerdings so weit kommt, ist fraglich.

- Von unserer Korrespond­entin ALMUT SIEFERT

Rom. Der Konflikt um die verweigert­e Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Flüchtling­en wird in Italien nun auch von der Justiz ausgetrage­n. Gegen Innenminis­ter Matteo Salvini hat die Staatsanwa­ltschaft Ermittlung­en aufgenomme­n.

1 Was wird Innenminis­ter Matteo Salvini vorgeworfe­n?

Die Staatsanwa­ltschaft der sizilianis­chen Stadt Agrigent wirft dem Innenminis­ter „Entführung, Amtsmissbr­auch und illegale Festnahme“vor. Der Chef der rechten Lega hat dem Schiff Diciotti der italienisc­hen Küstenwach­e zuerst verboten, einen italienisc­hen Hafen anzulaufen. Nach Tagen durfte die Diciotti in Catania anlegen, die 190 im Mittelmeer geretteten Menschen an Bord durften das Schiff aber seit vergangene­m Montag nicht verlassen, nur ein paar Dutzend von ihnen wurden wegen ihres schlechten Gesundheit­szustands in Krankenhäu­ser gebracht. Salvini hatte angeordnet, die Migranten müssten an Bord bleiben, bis sich andere europäisch­e Staaten zu ihrer Aufnahme bereit erklärten. Die Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft von Agrigent richten sich auch gegen Salvinis Büroleiter im Ministeriu­m.

2 Wie wahrschein­lich ist ein Verfahren gegen Salvini?

Die Prozedur, bis Salvini tatsächlic­h vor Gericht stehen könnte, ist sehr langwierig. Die Staatsanwa­ltschaft von Palermo, die in diesem Fall nun regional zuständig ist, wird selbst keine Ermittlung­en aufnehmen. Sie hat 15 Tage Zeit, die Anklage an das Tribunale dei Ministri weiterzule­iten. Das ist ein für Straftaten von Regierungs­mitglieder­n zuständige­s Landesgeri­cht. Dieses Gericht muss innerhalb von 90 Tagen entscheide­n, ob es das Verfahren einstellt – gegen diese Entscheidu­ng könnte kein Widerspruc­h eingelegt werden – oder ob es den Fall an die zuständige Staatsanwa­ltschaft übergibt. Diese müsste wiederum, wegen der Immunität von Regierungs­angehörige­n, beim Senat die Geneh- migung einholen, gegen Minister Salvini einen Prozess einleiten zu dürfen. Der Senat müsste mit absoluter Mehrheit dafürstimm­en.

3 Wie sind die Mehrheitsv­erhältniss­e im Senat?

In der zweiten Parlaments­kammer Italiens sitzen derzeit 321 Senatoren, 315 gewählte und sechs Senatoren auf Lebenszeit. Die FünfSterne-Bewegung stellt nach der Wahl am 4. März 112 Senatoren, die Lega 58. Die Regierungs­parteien haben somit zusammen 170 Stimmen und damit mehr als die absolute Mehrheit. Allerdings ist der Vorsprung knapp.

4 Was geschieht nun mit den Menschen von der Diciotti?

Die verblieben­en 137 Migranten konnten in der Nacht zum Sonntag nach fast zehn Tagen die Diciotti verlassen. Sie wurden registrier­t und in Bussen nach Messina gebracht. Rund 100 von ihnen werden von dort in die Obhut der ka- tholischen Kirche in Italien übergeben. Die Regierunge­n von Irland und Albanien hatten sich am Samstag dazu bereit erklärt, je etwa 20 der Migranten von der Diciotti aufzunehme­n.

5 Wie reagieren Salvini und die italienisc­he Regierung auf die Anklage?

Matteo Salvini hat betont trotzig auf die Nachricht reagiert. Bei einer Veranstalt­ung im norditalie­nischen Pinzolo bezeichnet­e er die Anklage gegen ihn als „Ehrenmedai­lle“. Am Sonntag postete der Innenminis­ter auf seiner FacebookSe­ite ein Foto, das ihn im legeren Kapuzenpul­lover mit einer Angel in der einen und einem Bierkrug in der anderen Hand zeigt. „Ich bin nur noch entschloss­ener, die Italiener zu verteidige­n“, schreibt Salvini dazu. „Einen Toast auf die, die ermitteln, die beleidigen und die uns Schlechtes wollen.“Da es auf EU-Ebene zu keiner Lösung für die Verteilung der Migranten auf der Diciotti gekommen ist, droht die italienisc­he Regierung nun damit, die Verhandlun­gen um den neuen EU-Haushaltse­ntwurf zu blockieren. Man prüfe, ein Veto in den laufenden Verhandlun­gen einzulegen, erklärte Premiermin­ister Giuseppe Conte in einer offizielle­n Erklärung. Derzeit wird in der EU der Haushaltsr­ahmen für die Jahre von 2021 bis 2027 diskutiert, er muss von allen Mitgliedst­aaten gebilligt werden. Italien nehme zur Kenntnis, so Conte, „dass sich der „Geist der Solidaritä­t kaum in konkrete Taten übersetzt“.

6 Warum übernahm die Kirche die Flüchtling­e?

Der Sprecher der Italienisc­hen Bischofsko­nferenz, Ivan Maffeis, sagte, man habe eine „unerträgli­che“humanitäre Situation beenden müssen. Zugleich erhob er Vorwürfe gegen Innenminis­ter Salvini. Dieser betreibe eine „Politik auf dem Rücken der Armen“. Die Regierung habe die Migranten benutzt, um Europa zu einer Antwort zu zwingen; diese sei teils parteiisch, teils schwach ausgefalle­n.

 ?? [ Reuters] ?? Erleichter­ung bei den Menschen auf der Diciotti. Sie durften am Wochenende das Rettungssc­hiff verlassen.
[ Reuters] Erleichter­ung bei den Menschen auf der Diciotti. Sie durften am Wochenende das Rettungssc­hiff verlassen.

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