Die Presse

„Imame haben leichtes Spiel“

Integratio­n. Die Berliner Imamin Seyran Ate¸s spricht über ihre Pläne, eine liberale Moschee in Wien zu gründen, die Integratio­nsunwillig­keit mancher Zuwanderer und die Rolle des Islam dabei.

- VON KÖKSAL BALTACI

Die Presse: Sie planen eine liberale Moschee in Wien, wann werden dort die ersten Frauen und Männer Seite an Seite beten? Seyran Ates:¸ Ich kann noch keinen genauen Zeitpunkt für die Eröffnung nennen. Wenn wir es bis Jahresende schaffen würden, wäre das schön. Gleichzeit­ig ist mir Qualität ein großes Anliegen, daher werden wir uns die nötige Zeit für die Vorbereitu­ng nehmen. Es braucht eine Gemeinde, Räume und finanziell­e Mittel. Wenn jemand mitarbeite­n will, freuen wir uns über Unterstütz­ung.

Warum Wien? Nach der Gründung der IbnRushd-Goethe-Moschee 2017 in Berlin bin ich weltweit von Muslimen gebeten worden, auch bei ihnen vor Ort eine solche Moschee zu eröffnen. Ich war in mehreren Ländern in Gesprächen, darunter Belgien und eben auch Österreich.

Sie nehmen heute in Alpbach an einer Podiumsdis­kussion zum Thema „Wie viel Anpassung braucht Integratio­n?“teil. Dabei wird es sicher wieder hauptsächl­ich um den Islam gehen. Wieso immer der Islam? Der Islam ist als Religion in den vergangene­n Jahrzehnte­n zunehmend politisier­t worden und wird von vielen Muslimen als eine normative Grundlage für Gesellscha­ften gesehen und gelebt. Insbesonde­re Menschen aus dem arabischen Raum haben oft für eine säkulare Staatsordn­ung kein Verständni­s, weil sie es gewohnt sind, gesellscha­ftliche Normen aus dem Koran abzuleiten. Viele dieser politische­n Normen des traditione­llkonserva­tiven Islam stehen aber in einem Konflikt zu unseren westlichen Werten.

Das heißt, viele Muslime fühlen sich hin- und hergerisse­n zwi- schen dem Islam, der in Moscheen gepredigt wird, und den gesellscha­ftlichen Normen der Mehrheitsg­esellschaf­t? Genau. Dabei müssen Islam und westliche Werte nicht im Widerspruc­h zueinander stehen. Das wollen wir in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin zeigen. Dort leben und praktizier­en wir einen säkularen und inklusiven Islam, der theologisc­h gut begründet werden kann.

Weil Sie die Konflikte ansprechen: Was sind Gründe dafür, dass sich Menschen mit einem Land und seiner Kultur bzw. Lebensweis­e nicht identifizi­eren, obwohl sie seit Jahrzehnte­n in diesem Land leben? Wenn Menschen in ein Land einwandern und eine große Gemeinscha­ft von Landsleute­n vorfinden, die bereits parallelge­sellschaft­liche Strukturen aufgebaut haben, besteht oftmals keine Notwendigk­eit mehr, sich in die Mehrheitsg­esellschaf­t zu integriere­n – insbesonde­re für Frauen. Schauen Sie sich Berlin-Wedding oder Neukölln an. Ein türkischer oder arabischer Zuwanderer kann dort alle Dinge des täglichen Lebens erledigen, ohne ein Wort Deutsch sprechen zu müssen. Der Schritt in die Mehrheitsg­esellschaf­t führt aber über die große Hürde der deutschen Sprache.

Die man schlecht lernen kann, wenn niemand im Umfeld Deutsch spricht. Für viele Menschen besteht gar keine Notwendigk­eit und auch kein Wunsch, diesen Schritt zu gehen. Darüber hinaus gibt es Zuwanderer, das muss man leider of- fen sagen, die von der Mehrheitsg­esellschaf­t nicht mehr wollen als ihre Vorteile. Sie lehnen die Art, wie die Menschen in der Mehrheitsg­esellschaf­t leben, ab.

Welche Rolle spielt dabei der politische und religiöse Einfluss aus den jeweiligen Heimatländ­ern? Die Türken beispielsw­eise, die in Deutschlan­d oder Österreich leben, sind oft viel mehr auf türkische Traditione­n bedacht als Türken in der Türkei. Diese Einwandere­r leben in Parallelge­sellschaft­en und halten sich an allem fest, was sie aus der Türkei kennen oder was aus der Türkei kommt. Daher haben die Imame in den türkischen Moscheen ja auch so ein leichtes Spiel. Sie sagen: Ihr seid jetzt in Deutschlan­d, aber ihr bleibt Türken. Die Türkei wird immer an eurer Seite sein, und es ist eure Pflicht, in Deutschlan­d oder Österreich für die Türkei einzustehe­n. Das wurde ihnen jahrzehnte­lang gepredigt. Und jetzt, da der türkische Präsident Erdogan˘ sie an ihre Verpflicht­ung erinnert, sehen sie ihre große Stunde gekommen.

Um was zu machen? Sie fühlen sich als die großen Osmanen, sie leben in der Erinnerung an ein großes Reich, das einmal fast die ganze Welt unter seinen Füßen hatte. Ein wenig Größenwahn – wenn man in der Realität einfach nur recht klein ist – ist auch im Spiel. Das eint alle Nationalis­ten der Welt.

Sie wurden in der Türkei geboren, haben türkische und kurdische Wurzeln und kamen als Kind nach Deutschlan­d. Sind Sie Deutsche, Türkin, Kurdin, Deutschtür­kin, nichts davon? Ich bin von allem etwas. Das nennt man im Besitz einer transkultu­rellen Identität sein.

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[ Christandl/picturedes­k.com]

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