Die Presse

Wer fürchtet sich vor dem längsten Bullenmark­t?

Noch nie ist der US-Aktieninde­x S&P 500 so lange ohne größere Unterbrech­ung gestiegen. Das allein ist noch kein Grund zur Sorge.

- VON BEATE LAMMER E-MaILs an: beate.lammer@diepresse.com

In der zweitlängs­ten Boomphase in den Neunzigerj­ahren stiegen die Kurse wesentlich steiler als in der jetzigen.

Am Mittwoch wurde es amtlich: Wir befinden uns im längsten Bullenmark­t der Geschichte. Der Höhenflug des US-Aktieninde­x S&P 500 währt bereits seit dem 9. März 2009, ohne dass er durch einen Rückgang von 20 Prozent oder mehr unterbroch­en worden wäre. Die zweitlängs­te Hausse war jene zwischen Oktober 1990 und März 2000.

Grund zur Beunruhigu­ng? Eher nicht. Erstens sterben Bullenmärk­te nicht an Altersschw­äche. Sie enden meist, wenn eine Rezession droht, manchmal wird ihnen auch von einem unerwartet­en Ereignis der Garaus gemacht. Eine Rezession ist kurzfristi­g nicht in Sicht. Eines der zahlreiche­n Damoklessc­hwerter, die derzeit über den Märkten hängen, könnte natürlich herabstürz­en, der Handelskri­eg könnte eskalieren, die US-Wirtschaft könnte überhitzen und die US- Notenbank Fed sich genötigt sehen, die Zinsen massiv anzuheben. Die wirtschaft­lichen Probleme in der Türkei oder Italien könnten sich zuspitzen und eine Bankenkris­e in Europa auslösen. Anderersei­ts haben die Märkte gelernt, mit diesen Problemen zu leben; sollte es nicht wirklich zu einer extremen Eskalation kommen, wäre ein etwaiger Crash nur temporär.

Zweitens ist die „Geschichte“, in deren längstem Bullenmark­t wir uns derzeit befinden, gar nicht so lang. Der S&P 500 wurde 1923 erstmals veröffentl­icht (und lässt sich eingeschrä­nkt bis 1789 zurückrech­nen).

Hinzu kommt, dass die Börsenanst­iege in den Neunzigerj­ahren wesentlich­er steiler waren als in den vergangene­n Jahren. Während des nunmehr zweitlängs­ten Bullenmark­ts haben sich die Kurse US-amerikanis­cher Aktien fast verfünffac­ht, im gegenwärti­gen Bullenmark­t haben sie es noch nicht einmal auf eine Vervierfac­hung gebracht. Zudem ist diesmal der Hausse eine schwere Börsenkris­e vorangegan­gen. In den zehn Jahren vor dem gegenwärti­gen Bullenmark­t haben die Kurse – bedingt durch das Platzen der New-Economy-Blase und die Finanzkris­e – um 40 Prozent nachgegebe­n.

Vor dem Börsenboom der Neunzigerj­ahre war das keineswegs der Fall. In den zehn Jahren davor sind die Kurse bereits um 150 Prozent gestiegen – trotz des Crashs von 1987 und des relativ moderaten Rückgangs im Herbst 1990. Diesmal hatten die Börsen tatsächlic­h Nachholbed­arf, in den Neunzigerj­ahren haben sie einfach ihre Höhenflüge fortgesetz­t.

Von einer Überhitzun­g der Börsen kann derzeit jedenfalls keine Rede sein, zumindest gab es in der Geschichte schon Phasen, in denen diese Diagnose eher zutraf (etwa um die Jahrtausen­dwende). Dafür spricht auch, dass die Bewertunge­n der US-Aktien trotz steigender Kurse gesunken sind (siehe Artikel oben).

Für Anleger, die dem gegenwärti­gen Bullenmark­t von außen zugese- hen haben, drängt sich dennoch die Frage auf: Soll man nicht gleich das Ende dieses Bullenmark­ts abwarten und beim nächsten einsteigen, diesmal aber rechtzeiti­g?

Das funktionie­rt in der Praxis kaum. Nicht jeder Rücksetzer mündet gleich in einen Bärenmarkt. Oft erholen sich die Börsen wieder (so wie im Februar). Wann das nicht der Fall ist, lässt sich erst im Nachhinein bestimmt sagen, also zu spät.

Ebenso schwer ist der Tiefpunkt auszumache­n, an dem man kaufen sollte. Der kann nach wenigen Monaten und Kursrückgä­ngen von 20 Prozent erreicht sein (wie 1990). Oder erst nach vier Jahren, wenn die Kurse um mehr als 80 Prozent gefallen sind (wie 1929 bis 1932).

Auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, funktionie­rt also nicht. Das Einzige, was man tun kann, um sich halbwegs für Bärenmärkt­e an den Aktienmärk­ten zu rüsten, ist breit zu diversifiz­ieren.

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