Was Microsoft richtig gemacht hat
Studie. Firmen müssen ihr Geschäft in guten Zeiten umkrempeln und nicht erst, wenn der Hut brennt. Das kostet weniger, bringt mehr und lässt die Aktie stärker steigen, zeigt eine BCG-Studie.
Große Unternehmen werden oft bequem und halten an ihrem Geschäftsmodell fest, solange es geht. Warum sollte man sich als Marktführer einem Wandel unterziehen, nur weil es kleine Konkurrenten gibt, die irgendwelche Nischen erschließen? So dachte man wohl bei Nokia vor zehn Jahren, und so dachte man beim Sofortbildkamera-Hersteller Polaroid, als die Digitalfotografie aufkam. „Der Grund, warum wir diese Maschine nicht stoppen konnten, war, dass Sofortbildfilme das Kerngeschäft dieses Unternehmens waren.“Mit diesen Worten wird ExPolaroid-Chef Gary DiCamillo in einer Studie der Boston Consulting Group („Creating Urgency amid Comfort“) zitiert.
Eine Firma sei keineswegs paranoid, wenn sie Stressszenarien entwirft, obwohl ihr Geschäft gut geht, heißt es darin. Man sollte kleine Konkurrenten ansehen und sich fragen, was wohl passiere, wenn deren Wette gegen das eigene Unternehmen aufgehe. Notfalls müsse man dem eigenen Geschäft Konkurrenz machen – und zwar schon, bevor der Hut brennt.
Wie wichtig der Zeitfaktor ist, haben sich Martin Reeves, Leiter des BCG-Henderson-Instituts, und seine Kollegen nun in einer anderen Studie („Preemptive Tranformation: Fix it before it breaks“) angesehen: Sie haben 400 große, börsenotierte US-Firmen unter die Lupe genommen, die zwischen 2010 und 2014 ihr Geschäft umgekrempelt haben (und dafür Geld in die Hand genommen und das nach außen kommuniziert haben).
Sie haben unterschieden zwischen präventiven Transformationen (Umbau von Unternehmen, denen es besser ging als dem Branchenschnitt) und reaktiven Umstellungen (von Firmen, die den Branchenkollegen bereits hinterherhinkten). Das Ergebnis: Bei präventiv vorangetriebener Transformation liegt die jährliche Aktien- rendite (Kursgewinne und Dividenden) in den folgenden drei Jahren um durchschnittlich drei Prozentpunkte höher. Investitionen, die im Zuge einer präventiven Transformation getätigt werden, rechnen sich mehr als solche, die im Zuge einer Änderung aufgrund einer schwachen Unternehmensleistung anfallen.
Präventive Transformationen sind zudem billiger, kosten nur 1,5 Prozent des Umsatzes (bei reaktiven Umstrukturierungen sind es 1,8 Prozent), und lassen sich schneller durchführen (in zwölf statt 14 Monaten).
Nun könnte man einwenden, dass es nicht weiter erstaunlich ist, dass die Aktienkurse von Unternehmen, denen es gut geht, stärker steigen als bei Konkurrenten, denen es schlecht geht – ob sie nun Transformationen durchführen oder nicht. Die Studienautoren räumen zwar ein, dass es einen solchen „Momentum“-Effekt gibt: Aktien mit guter Kursentwicklung tendieren dazu, weiter zu steigen. Doch halte dieser Effekt meist nur wenige Monate an, die positiven Folgen einer Umstrukturierung währen aber länger.
Beispiele für gelungene präventive Transformationen sind Microsoft und Alibaba. Die Microsoft-Aktie habe sich in den Jahren 2012 bis 2014 überdurchschnittlich gut entwickelt, ein unmittelbarer Handlungsbedarf schien nicht gegeben. Trotzdem tauschte das Unternehmen seinen Chef aus und orientierte sich mehr in Richtung Cloud (Zur-Verfügung-Stellen von Speicherplatz im Internet). Heuer geht es Microsoft schon wieder überdurchschnittlich gut. Dennoch hat das Unternehmen den nächsten Konzernumbau in Angriff genommen und sich in zwei Bereiche – für Cloud-Dienste und Künstliche Intelligenz sowie für Geräte und Nutzererlebnisse – aufgeteilt; das Geschäft mit Betriebssystemen wie Windows ist nur noch Teil der letzteren Sparte.
Der chinesische Onlinehändler Alibaba wiederum hat 2011, als bereits der Großteil des privaten Onlinekonsums in China über Alibabas Plattform Taobao lief, entschieden, sich in drei Geschäftstei- le aufzuspalten: einer für Geschäfte zwischen Verbrauchern, einer für Geschäfte zwischen Unternehmen und Konsumenten und einer für Produktsuche. Alibaba war in allen drei Sparten erfolgreich. Der Konzern ist inzwischen einer der größten weltweit und ist schon wieder dabei, seine mehr als 20 Geschäftsfelder umzukrempeln.
Davor, ihr eigenes Geschäft zu kannibalisieren, schreckten viele Unternehmen zurück, sagt Studienautor Reeves. Netflix habe aber genau das getan. Das Unternehmen hatte einen funktionierenden Videoverleih und setzte auf Streaming. Adobe stellte vom Softwareverkauf auf Mietsoftware um. Die australische Fluggesellschaft Qantas hat eine Billigflugtochter gegründet, bevor die Konkurrenz diesen Markt erschließen konnte.
Irgendwann würden die meisten Unternehmen verstehen, dass ihr altes Geschäftsmodell nicht mehr konkurrenzfähig sei, sagt Reeves. Viele reagierten aber zu wenig und zu spät.