Wiens nicht nur in Brüssel umstrittene Krone
Reichskrone. Wo das kritisierte Motiv unserer EU-Präsidentschaft, das im Brüsseler Ratsgebäude als Hauptsujet präsentiert wird, im Original zu finden ist. Ein Augenschein in der Wiener Weltlichen Schatzkammer.
Versteckt hinter dem Schweizertor der Hofburg, verborgen unter einer Treppe, liegt der Eingang. Dann muss man eine tresorähnliche Tür und einen niedrigen, scheußlichen Gang passieren. Das ist also der Weg zur Kaiserlichen Schatzkammer, in der die dynastischen und religiösen Schätze der Habsburger ausgestellt sind? Hier kann man die Reichskrone finden, die gerade für einigen medialen Wirbel gesorgt hat?
In den nächsten sechs Monaten steht im Foyer des Brüsseler JustusLipsius-Ratsgebäude ein leuchtender Kubus, mit dem Österreich sich während der EU-Ratspräsidentschaft als Kulturnation vorstellt. Titel der Installation: „Museum in a Nutshell“. Innen bestückt mit Fotos von Hauptwerken aus verschiedenen Wiener Museen, prangt außen übergroß das Foto der Reichskrone. Kritisiert wurde der in der Krone manifestierte christlich-imperiale Führungsanspruch. Die Idee, die zur Auswahl dieses Bild führte, war allerdings eine andere: Fritz Fischer, Direktor der Kaiserlichen Schatzkammer und der Kunstkammer, sieht darin ein „Symbol für die europäische Einheit und für kulturelle Vielfalt“: Ein Zusammenhang, auf den in der Schatzkammer in Wien jetzt ein eigens ausgeschilderter Parcours durch die Ausstellung hinweist.
Schatzkammer im Dornröschenschlaf
Sowohl Schatzkammer als auch Kunstkammer gehören zum Kunsthistorischen Museum (KHM). Wurde die Aufstellung der Kunstkammer gerade erst rundum erneuert und didaktisch perfekt erschlossen, dämmert die Kaiserliche Schatzkammer noch im tiefsten Dornröschenschlaf. Zwar kommen jährlich rund 250.000 Besucher. Aber ihr Potenzial liegt brach. Der neue Europa-Parcours durch die Ausstellung ist wie ein klei- ner Teaser, der zeigt, wie spannend man mit diesen Schätzen die weitverzweigte abendländische Geschichte erzählen könnte.
Der Weg führt zum Krönungsmantel von 1133/34, den arabische Handwerker für den sizilianischen König Roger II. in Palermo fertigten. Zu einem Reliquiar von 1597, dessen Inschriften von europäischer Heiratspolitik und diplomatischem Geschenkaustausch erzählen. Zu heraldischen Wandbehängen voller Wappen aus dem 16. Jahrhundert. Zur Krone Stefan Bocskais, des vom os- manischen Sultan eingesetzten Königs von Ungarn (um 1605). Zur in Prag gefertigten Rudolfinischen Kaiserkrone plus Szepter und Reichsapfel und zu Albrecht Dürers Porträt Karls des Großen, „des Vaters Europas“, wie es heißt. Es ist nur eine Kopie, aber wie die anderen Objekte spiegelt es die kulturelle Vielfalt und die mannigfaltigen Einflüsse in Europa wider. Und mitten in Raum elf steht der größte Schatz, die Reichskrone.
Entstanden im zehnten Jahrhundert, wurde die Krone erst später zum Symbol des Heiligen Römischen Reichs. Konzipiert ist sie wie ein Buch, jedes Detail hat eine Bedeutung, die damals erkannt wurde. Ob der Bügel, die Platten, die achteckige Form, selbst die Farben der Edelsteine – alles zielt darauf, den Träger der Krone in die Tradition der römischen Imperatoren und alttestamentarischen Könige zu stellen. In manchen Details wird sogar Bezug auf das oströmisch-byzantinische Kaisertum genommen.
Reise wurde als Fischtransport getarnt
Visitenkarten gab es noch nicht, also mussten diese Reichsinsignien auf die vielen Reisen in die Pfalzen, Reichsburgen und Klöster mitgenommen werden – denn nur wer die Krone besaß, war auch Herrscher. Dafür ließ man Behältnisse anfertigen und eigene Schutzräume bauen. Schließlich beschloss König Sigismund, alles an einem Ort zu bewahren. Man entschied sich für Nürnberg, als Fischtransport getarnt traf der Schatz 1424 dort ein. Immer wieder gab es Versuche, der Stadt die Reichskleinodien zu entziehen. Als sie 1796 vor den Truppen Napoleons gerettet werden mussten, kamen sie zunächst nach Regensburg, dann nach Wien. Als Reaktion auf die Krönung Napoleons erklärte Franz II. das Ende des Heiligen Römischen Reichs, womit die Krone und andere Insignien ihre Symbolkraft verloren. Seit 1827 werden sie öffentlich ausgestellt. Damals kostete der Eintritt in die Schatzkammer übrigens 25 Gulden, für die Gemäldegalerie mussten nur zwölf Gulden bezahlt werden. Aber damit ist die Geschichte der Reichskrone nicht beendet. 1938 bestimmte Hitler die Rückgabe nach Nürnberg, nach Kriegsende brachten die US-Truppen den Schatz wieder nach Wien. Von all dem erfährt man nur auf einem Faltblatt. Die Vermittlung ist einer der Punkte der dringend notwendigen Neuaufstellung, die KHM-Direktorin Sabine Haag plant. Um verständlich zu machen, dass u. a. die Kultur des Islam bereits im Mittelalter die Identität Europas sichtbar mitgeformt hat, so Haag, brauche es eine „zeitgemäße Aufbereitung“. Diese will Schatzkammer-Direktor Fischer dann mit der Reichskrone beginnen lassen: „Die Krone steht für den Wunsch der ottonischen Kaiser, in der Mitte Europas ein Reich zu errichten und dort Frieden zu schaffen“, erklärt er. „Gibt es ein besseres, eben übernationales Symbol für Europa, für das Motto der EU, ,In Vielfalt geeint‘?“