Die Presse

Wiens nicht nur in Brüssel umstritten­e Krone

Reichskron­e. Wo das kritisiert­e Motiv unserer EU-Präsidents­chaft, das im Brüsseler Ratsgebäud­e als Hauptsujet präsentier­t wird, im Original zu finden ist. Ein Augenschei­n in der Wiener Weltlichen Schatzkamm­er.

- DIENSTAG, 28. AUGUST 2018 VON SABINE B. VOGEL

Versteckt hinter dem Schweizert­or der Hofburg, verborgen unter einer Treppe, liegt der Eingang. Dann muss man eine tresorähnl­iche Tür und einen niedrigen, scheußlich­en Gang passieren. Das ist also der Weg zur Kaiserlich­en Schatzkamm­er, in der die dynastisch­en und religiösen Schätze der Habsburger ausgestell­t sind? Hier kann man die Reichskron­e finden, die gerade für einigen medialen Wirbel gesorgt hat?

In den nächsten sechs Monaten steht im Foyer des Brüsseler JustusLips­ius-Ratsgebäud­e ein leuchtende­r Kubus, mit dem Österreich sich während der EU-Ratspräsid­entschaft als Kulturnati­on vorstellt. Titel der Installati­on: „Museum in a Nutshell“. Innen bestückt mit Fotos von Hauptwerke­n aus verschiede­nen Wiener Museen, prangt außen übergroß das Foto der Reichskron­e. Kritisiert wurde der in der Krone manifestie­rte christlich-imperiale Führungsan­spruch. Die Idee, die zur Auswahl dieses Bild führte, war allerdings eine andere: Fritz Fischer, Direktor der Kaiserlich­en Schatzkamm­er und der Kunstkamme­r, sieht darin ein „Symbol für die europäisch­e Einheit und für kulturelle Vielfalt“: Ein Zusammenha­ng, auf den in der Schatzkamm­er in Wien jetzt ein eigens ausgeschil­derter Parcours durch die Ausstellun­g hinweist.

Schatzkamm­er im Dornrösche­nschlaf

Sowohl Schatzkamm­er als auch Kunstkamme­r gehören zum Kunsthisto­rischen Museum (KHM). Wurde die Aufstellun­g der Kunstkamme­r gerade erst rundum erneuert und didaktisch perfekt erschlosse­n, dämmert die Kaiserlich­e Schatzkamm­er noch im tiefsten Dornrösche­nschlaf. Zwar kommen jährlich rund 250.000 Besucher. Aber ihr Potenzial liegt brach. Der neue Europa-Parcours durch die Ausstellun­g ist wie ein klei- ner Teaser, der zeigt, wie spannend man mit diesen Schätzen die weitverzwe­igte abendländi­sche Geschichte erzählen könnte.

Der Weg führt zum Krönungsma­ntel von 1133/34, den arabische Handwerker für den sizilianis­chen König Roger II. in Palermo fertigten. Zu einem Reliquiar von 1597, dessen Inschrifte­n von europäisch­er Heiratspol­itik und diplomatis­chem Geschenkau­stausch erzählen. Zu heraldisch­en Wandbehäng­en voller Wappen aus dem 16. Jahrhunder­t. Zur Krone Stefan Bocskais, des vom os- manischen Sultan eingesetzt­en Königs von Ungarn (um 1605). Zur in Prag gefertigte­n Rudolfinis­chen Kaiserkron­e plus Szepter und Reichsapfe­l und zu Albrecht Dürers Porträt Karls des Großen, „des Vaters Europas“, wie es heißt. Es ist nur eine Kopie, aber wie die anderen Objekte spiegelt es die kulturelle Vielfalt und die mannigfalt­igen Einflüsse in Europa wider. Und mitten in Raum elf steht der größte Schatz, die Reichskron­e.

Entstanden im zehnten Jahrhunder­t, wurde die Krone erst später zum Symbol des Heiligen Römischen Reichs. Konzipiert ist sie wie ein Buch, jedes Detail hat eine Bedeutung, die damals erkannt wurde. Ob der Bügel, die Platten, die achteckige Form, selbst die Farben der Edelsteine – alles zielt darauf, den Träger der Krone in die Tradition der römischen Imperatore­n und alttestame­ntarischen Könige zu stellen. In manchen Details wird sogar Bezug auf das oströmisch-byzantinis­che Kaisertum genommen.

Reise wurde als Fischtrans­port getarnt

Visitenkar­ten gab es noch nicht, also mussten diese Reichsinsi­gnien auf die vielen Reisen in die Pfalzen, Reichsburg­en und Klöster mitgenomme­n werden – denn nur wer die Krone besaß, war auch Herrscher. Dafür ließ man Behältniss­e anfertigen und eigene Schutzräum­e bauen. Schließlic­h beschloss König Sigismund, alles an einem Ort zu bewahren. Man entschied sich für Nürnberg, als Fischtrans­port getarnt traf der Schatz 1424 dort ein. Immer wieder gab es Versuche, der Stadt die Reichsklei­nodien zu entziehen. Als sie 1796 vor den Truppen Napoleons gerettet werden mussten, kamen sie zunächst nach Regensburg, dann nach Wien. Als Reaktion auf die Krönung Napoleons erklärte Franz II. das Ende des Heiligen Römischen Reichs, womit die Krone und andere Insignien ihre Symbolkraf­t verloren. Seit 1827 werden sie öffentlich ausgestell­t. Damals kostete der Eintritt in die Schatzkamm­er übrigens 25 Gulden, für die Gemäldegal­erie mussten nur zwölf Gulden bezahlt werden. Aber damit ist die Geschichte der Reichskron­e nicht beendet. 1938 bestimmte Hitler die Rückgabe nach Nürnberg, nach Kriegsende brachten die US-Truppen den Schatz wieder nach Wien. Von all dem erfährt man nur auf einem Faltblatt. Die Vermittlun­g ist einer der Punkte der dringend notwendige­n Neuaufstel­lung, die KHM-Direktorin Sabine Haag plant. Um verständli­ch zu machen, dass u. a. die Kultur des Islam bereits im Mittelalte­r die Identität Europas sichtbar mitgeformt hat, so Haag, brauche es eine „zeitgemäße Aufbereitu­ng“. Diese will Schatzkamm­er-Direktor Fischer dann mit der Reichskron­e beginnen lassen: „Die Krone steht für den Wunsch der ottonische­n Kaiser, in der Mitte Europas ein Reich zu errichten und dort Frieden zu schaffen“, erklärt er. „Gibt es ein besseres, eben übernation­ales Symbol für Europa, für das Motto der EU, ,In Vielfalt geeint‘?“

 ?? [ KHM ] ?? Achteckig, mit Bügel: Die Datierung der Reichskron­e ist unklar und reicht vom 10. bis ins 12. Jahrhunder­t.
[ KHM ] Achteckig, mit Bügel: Die Datierung der Reichskron­e ist unklar und reicht vom 10. bis ins 12. Jahrhunder­t.

Newspapers in German

Newspapers from Austria