Brüssel hebt balkanisches Tabu auf
Südosteuropa. EU-Erweiterungskommissar Hahn lehnte einen Gebietstausch zwischen Serbien und Kosovo nicht ab. Experten warnen vor einer fatalen Dominowirkung auf dem Balkan.
Ein Gebietstausch zwischen Serbien und Kosovo wird nicht mehr abgelehnt. Experten warnen vor einer Dominowirkung.
So ändern sich die Zeiten: Als „Die Presse“den kosovarischen Regierungschef, Hashim Thaci,¸ im Juni 2013 fragte, was er von der Idee eines Gebietstauschs zwischen seinem Land und Serbien halte, war seine Antwort eindeutig: „Es wird keine Grenzänderung geben oder einen Austausch von Gebieten.“Fünf Jahre später sieht er diese Frage, die weitreichende Folgen für mehrere Nachfolgestaaten des zerfallenen Jugoslawiens hätte, völlig anders. „Ja, ich bin für eine Änderung der Grenzziehung, denn wir brauchen hier eine friedliche Einigung“, sagte er am Wochenende beim Forum Alpbach in Tirol, Seite an Seite mit Serbiens Präsidenten, Aleksandar Vuciˇc.´
Konkret geht es darum, das großteils von Albanern bewohnte Presevo-ˇTal in Südwestserbien gegen den serbisch dominierten Norden des Kosovo rund um die Stadt Mitrovica zu tauschen. Die serbischen Klöster im Süden des Kosovo wiederum sollten unter eine von der serbischen orthodoxen Kirche geführte Verwaltung gestellt werden.
Hürde auf dem Weg in die EU
Diese Pläne sind nicht neu. Schon vor acht Jahren veröffentlichte die Belgrader Zeitung „Blic“unter Berufung auf serbische Regierungsquellen genau dieses Szenario. Im Gegenzug würde Serbien den Kosovo als souveränen Staat anerkennen und seine Aufnahme in die Vereinten Nationen nicht mehr verhindern. Diese Beilegung der beiderseitigen Spannungen hätte zudem den Nutzen, das größte Hindernis für die Annäherung der beiden Staaten an die Europäische Union zu beseitigen. „Ein umfassendes, rechtsverbindliches Abkommen über die Normalisierung ist dringend erforderlich, damit Serbien und der Kosovo auf ihrem jeweiligen Weg in die EU weiter vorankommen können“, hielt die Europäische Kommission in ihrem im Februar vorgelegten Strategiepapier für den Westbalkan fest.
Neu am Szenario eines Gebietstauschs ist jedoch, dass die Kommission ihn nicht mehr dezidiert abzulehnen scheint. Johannes Hahn, der für Nachbarschaftspolitik und Erweiterung zuständige Kommissar, erklärte in Alpbach und zur Bekräftigung auch auf Twitter, dass ein eventuelles serbisch-kosovarisches Abkommen „spezifisch, maßgeschneidert und kein Präzedenzfall“wäre. Als seine Sprecherin am Montag in Brüssel ausdrücklich gefragt wurde, ob eine Änderung der Grenzen auf dem Westbalkan für die Kommission nun kein Tabu mehr sei, antwortete sie bloß: „Wir werden nicht über etwaige Ergebnisse spekulieren.“
Auswirkungen auf Bosnien
Diese neue Haltung Brüssels alarmiert zahlreiche Experten. „Damit riskiert man, jener gefährlichen Idee neuen Treibstoff zu geben, die ein Jahrzehnt des Krieges in den Neunzigerjahren befeuert hat: dass Menschen nur inmitten ihrer eigenen Volksgruppe sicher sein können“, schrieb Adnan C´erimagic´ vom Thinktank European Stability Initiative in einem Beitrag für „Politico“(er hatte in Alpbach versucht, Vuciˇc´ und Thaci¸ von dieser Idee abzubringen). Der während des Bosnienkriegs geflohene Politologe Jasmin Mujanovic´ warnt: „Wenn der Kosovo geteilt werden kann, kann das Dayton-Abkommen, das 1995 den Krieg beendet hat, auch geöffnet werden.“
Ein prominenter Befürworter des Gebietstauschs ist der frühere Hohe Vertreter für Bosnien und Herzegowina, Wolfgang Petritsch. Er arbeitet heute für die Wiener Anwaltsfirma Lansky & Partner und berät die serbische Regierung. „Heute gibt es erstmals die Situation, dass beide Seiten dasselbe Ziel verfolgen“, sagte er zur „Presse“. Befürchtet er nicht, dass vor allem die serbischen Nationalisten in Bosnien dies zum Anlass nehmen, Grenzziehungen zu ihren Gunsten zu erzwingen? „Dodik hat keinen Partner, um das zu machen“, sagte Petritsch mit Verweis auf den Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik.