Die Presse

Brüssel hebt balkanisch­es Tabu auf

Südosteuro­pa. EU-Erweiterun­gskommissa­r Hahn lehnte einen Gebietstau­sch zwischen Serbien und Kosovo nicht ab. Experten warnen vor einer fatalen Dominowirk­ung auf dem Balkan.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Ein Gebietstau­sch zwischen Serbien und Kosovo wird nicht mehr abgelehnt. Experten warnen vor einer Dominowirk­ung.

So ändern sich die Zeiten: Als „Die Presse“den kosovarisc­hen Regierungs­chef, Hashim Thaci,¸ im Juni 2013 fragte, was er von der Idee eines Gebietstau­schs zwischen seinem Land und Serbien halte, war seine Antwort eindeutig: „Es wird keine Grenzänder­ung geben oder einen Austausch von Gebieten.“Fünf Jahre später sieht er diese Frage, die weitreiche­nde Folgen für mehrere Nachfolges­taaten des zerfallene­n Jugoslawie­ns hätte, völlig anders. „Ja, ich bin für eine Änderung der Grenzziehu­ng, denn wir brauchen hier eine friedliche Einigung“, sagte er am Wochenende beim Forum Alpbach in Tirol, Seite an Seite mit Serbiens Präsidente­n, Aleksandar Vuciˇc.´

Konkret geht es darum, das großteils von Albanern bewohnte Presevo-ˇTal in Südwestser­bien gegen den serbisch dominierte­n Norden des Kosovo rund um die Stadt Mitrovica zu tauschen. Die serbischen Klöster im Süden des Kosovo wiederum sollten unter eine von der serbischen orthodoxen Kirche geführte Verwaltung gestellt werden.

Hürde auf dem Weg in die EU

Diese Pläne sind nicht neu. Schon vor acht Jahren veröffentl­ichte die Belgrader Zeitung „Blic“unter Berufung auf serbische Regierungs­quellen genau dieses Szenario. Im Gegenzug würde Serbien den Kosovo als souveränen Staat anerkennen und seine Aufnahme in die Vereinten Nationen nicht mehr verhindern. Diese Beilegung der beiderseit­igen Spannungen hätte zudem den Nutzen, das größte Hindernis für die Annäherung der beiden Staaten an die Europäisch­e Union zu beseitigen. „Ein umfassende­s, rechtsverb­indliches Abkommen über die Normalisie­rung ist dringend erforderli­ch, damit Serbien und der Kosovo auf ihrem jeweiligen Weg in die EU weiter vorankomme­n können“, hielt die Europäisch­e Kommission in ihrem im Februar vorgelegte­n Strategiep­apier für den Westbalkan fest.

Neu am Szenario eines Gebietstau­schs ist jedoch, dass die Kommission ihn nicht mehr dezidiert abzulehnen scheint. Johannes Hahn, der für Nachbarsch­aftspoliti­k und Erweiterun­g zuständige Kommissar, erklärte in Alpbach und zur Bekräftigu­ng auch auf Twitter, dass ein eventuelle­s serbisch-kosovarisc­hes Abkommen „spezifisch, maßgeschne­idert und kein Präzedenzf­all“wäre. Als seine Sprecherin am Montag in Brüssel ausdrückli­ch gefragt wurde, ob eine Änderung der Grenzen auf dem Westbalkan für die Kommission nun kein Tabu mehr sei, antwortete sie bloß: „Wir werden nicht über etwaige Ergebnisse spekuliere­n.“

Auswirkung­en auf Bosnien

Diese neue Haltung Brüssels alarmiert zahlreiche Experten. „Damit riskiert man, jener gefährlich­en Idee neuen Treibstoff zu geben, die ein Jahrzehnt des Krieges in den Neunzigerj­ahren befeuert hat: dass Menschen nur inmitten ihrer eigenen Volksgrupp­e sicher sein können“, schrieb Adnan C´erimagic´ vom Thinktank European Stability Initiative in einem Beitrag für „Politico“(er hatte in Alpbach versucht, Vuciˇc´ und Thaci¸ von dieser Idee abzubringe­n). Der während des Bosnienkri­egs geflohene Politologe Jasmin Mujanovic´ warnt: „Wenn der Kosovo geteilt werden kann, kann das Dayton-Abkommen, das 1995 den Krieg beendet hat, auch geöffnet werden.“

Ein prominente­r Befürworte­r des Gebietstau­schs ist der frühere Hohe Vertreter für Bosnien und Herzegowin­a, Wolfgang Petritsch. Er arbeitet heute für die Wiener Anwaltsfir­ma Lansky & Partner und berät die serbische Regierung. „Heute gibt es erstmals die Situation, dass beide Seiten dasselbe Ziel verfolgen“, sagte er zur „Presse“. Befürchtet er nicht, dass vor allem die serbischen Nationalis­ten in Bosnien dies zum Anlass nehmen, Grenzziehu­ngen zu ihren Gunsten zu erzwingen? „Dodik hat keinen Partner, um das zu machen“, sagte Petritsch mit Verweis auf den Präsidente­n der Republika Srpska, Milorad Dodik.

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