Die Presse

Monsieur Juncker und die Zeit, Herr Moser und die Ehe

Brüsseler Onlinebefr­agungen und Höchstrich­tersprüche statt Entscheidu­ngen der Politiker sind heikel – vor allem, ohne darüber zu reden.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Es ist natürlich Zufall, aber zwei bemerkensw­erte politische Entscheidu­ngen deuten auf größere Veränderun­gen des komplexen Systems, wie wir in Europa unsere Demokratie gestalten. Da wäre einmal Monsieur Jean-Claude Juncker und die Zeit. Der EU-Kommission­spräsident schickt sich als Regierungs­chef Europas (?), der nicht direkt demokratis­ch gewählt ist, an, eine Entscheidu­ng zu fällen, die den Alltag aller Europäer verändert. Der Kommission­spräsident, der im Umgang mit Medien mitunter wie Bruno Kreisky agiert – etwa ein paar Lieblinge gern mit Informatio­nen füttert –, will die Umstellung auf die Sommerzeit abschaffen. Immerhin wolle das eine überwältig­ende Mehrheit einer Onlinebefr­agung.

Ganz egal, welche Meinung man in dieser für Familien recht wichtigen, aber dennoch unideologi­schen Frage vertritt, ist das demokratie­politisch absurd bis gefährlich. Jeder, der wollte, konnte teilnehmen, wirklich informiert wurden die Bürger nicht, politisch diskutiert wie über die Abschaffun­g der Wehrpflich­t wurde nicht. Das war weder eine Volksbefra­gung noch eine Volksabsti­mmung. Eine Onlinebefr­agung als Grundlage wichtiger politische­r Entscheidu­ngen?

Juncker schafft da einen Präzedenzf­all, den wir noch bereuen könnten. Warum nicht gleich Entscheidu­ngen, die per Meinungsfo­rschung legitimier­t werden? Oder vielleicht eine Facebook-Abstimmung, deren Fairness Marc Zuckerberg sicher garantiere­n kann? Nein, beim Versuch, populär zu handeln, übt sich ausgerechn­et Juncker als Sommerzeit­populist.

Die andere beiläufige gesellscha­ftliche Veränderun­g hat Josef Moser in einem „Presse“-Interview verkündet. Ab 2019 soll es für alle Österreich­er unabhängig von ihrer sexuellen Orientieru­ng die Möglichkei­t geben, eine Eingetrage­ne Partnersch­aft oder die Ehe einzugehen – mit allen (zivil-)rechtliche­n Folgen. Damit folgt Moser einem Spruch des Verfassung­sgerichtsh­ofs, der auch notwendig geworden ist, weil die Politik die seit Jahren emotional diskutiert­e Entscheidu­ng delegiert hat. Und genau da wird es problemati­sch: Die Höchstrich­ter übernehmen in Österreich immer häufiger politi- sche Entscheidu­ngen – auch wegen notwendige­r Reparature­n stümperhaf­t formuliert­er Gesetze. Das kann man auch mögen, immerhin haben vermutlich alle Höchstrich­ter ein gutes Fundament aus Erfahrung und juristisch­er Bildung. Nur sollte man über diese schleichen­de Machtversc­hiebung offen reden.

Die Entscheidu­ng über die Ehe für alle wird die Regierung jedenfalls wieder in Nöte bringen. Dass gerade Josef Moser die je nach Position gute oder schlechte Nachricht überbringt, wird den möglichen Konflikt in der Koalition nicht verkleiner­n. Manche Freiheitli­che betrachten ihn als Überläufer aus den eigenen Reihen in die Kurz-Bewegung. In der ÖVP fürchten viele Politiker mit starker Föderalism­usabhängig­keit, dass Moser seine Reformansa­gen aus Rechnungsh­of-Zeiten wirklich glaubt und umsetzen will. Die FPÖ wird das Vorhaben jedenfalls angreifen, Teile der ÖVP sehen das ähnlich: Die Ehe ist für sie weiterhin weniger staatlich als religiös determinie­rt.

Dass der Staat in einer liberalen Gesellscha­ft sich von den Schlaf- und Wohnzimmer­n fernhalten sollte, sehen zwar viele Jüngere in der ÖVP, aber laut sagen es die wenigsten. Schade, dass nicht eine Abstimmung darüber im Nationalra­t wie in Berlin unter Angela Merkel abgehalten wurde. Ohne Klubzwang und Message Control müssten da einige der neuen ÖVP-Abgeordnet­en eigentlich das toleranter­e Weltbild des nicht mehr so neuen Jahrhunder­ts haben.

Dass Ehe und Eingetrage­ne Partnersch­aft für alle wirklich kommen werden, kann auch ein guter Anlass für nicht wenige Opposition­spolitiker sein, sich mit neuen komplexere­n (?) Inhalten zu beschäftig­en. Die gemütliche Symbolpose mit der Regenbogen­fahne fällt weg.

Eine Möglichkei­t wäre eine Debatte über folgende Fragen: Wie gehen wir in Zukunft mit unserer Demokratie um? Wie wählen? Und wer entscheide­t? Die echte Einbindung der Bürger ist nämlich nicht populistis­ch, wahre direkte Demokratie ist das beste Mittel, dem Populismus den Nährboden zu entziehen.

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