Die Presse

„Das ist ein riesengroß­er Murks“

Jürgen Czernohors­zky. Der Wiener Bildungsst­adtrat (SPÖ) über die Deutschkla­ssen, die nun starten, eine Totalrefor­m bei der Schulfinan­zierung und darüber, warum bei Englisch gekürzt wird.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Die Presse: „Wir ziehen eine Generation von Analphabet­en heran“, sagte die Direktorin einer Wiener Brennpunkt­schule kurz vor den Ferien. Das muss Ihnen ganz schön wehtun. Jürgen Czernohors­zky: Es tut mir wirklich weh. Das ist ein Alarmsigna­l. Und es zeigt, dass man im Ballungsra­um Standorte hat, wo die Anforderun­gen so viel größer sind als auf dem flachen Land oder in Stadtrandg­ebieten, dass man nicht von der gleichen Art von Schule reden kann. Es braucht daher eine Totalrefor­m bei der Ressourcen­verteilung – und zwar von Bundesseit­e. Welche Schule hat welche Herausford­erungen – und wie bekommt sie, was sie braucht?

Fangen Sie mit dieser Umverteilu­ng innerhalb Wiens an? Für Ballungsrä­ume sind als Ganzes viel zu wenig Ressourcen da. Und man kann diese wenigen Bundesress­ourcen natürlich unterschie­dlich verteilen. Der Stadtschul­rat unterstütz­t jetzt schon die Standorte, die größere Herausford­erungen haben, besonders. Auch bei der Förderung 2.0 tun wir das.

Wien könnte doch selbst noch Geld in die Hand nehmen. Ich bin kein Freund der Art und Weise, wie Bildungspo­litik in Österreich organisier­t ist. Der Bund ist nun einmal für Lehrer zuständig, die Gemeinden für den Schulbau. Solang es drei Ebenen gibt, muss jeder seine Arbeit machen. Wien setzt auch einen deutlichen Schwerpunk­t beim Schulbau.

Das hilft aber den Brennpunkt­schulen nicht. Man kommt nicht darum herum, zusätzlich­es Geld in die Hand zu nehmen. Man sollte darüber streiten, wer wie viel mehr investiere­n kann. Aber wir diskutiere­n leider gerade mit einer Bundesregi­erung, die bei der Bildung kürzt.

Der Minister hat aber von zusätzlich­en Lehrern für die Deutschkla­ssen gesprochen. Wir warten noch darauf. Nur für Sprachförd­erung waren im vergangene­n Jahr in Wien 360 Personen verfügbar – jetzt sind es rund 200 Personen. Das allein zeigt die Dramatik.

Um die Deutschkla­ssen zu besetzen, wird unter anderem beim Einsatz von Native Speakern für Englisch gekürzt. Wird jetzt dort gespart, wo es den Bildungsbü­rgern wehtut? Es geht ganz und gar nicht darum, irgendeine Art von Rechnung auf Kosten der Eltern oder der Kinder zu begleichen. Der Stadtschul­rat steht vor der Situation, dass er mit den Posten, die er vom Bund hat, seine Aufgaben erfüllen muss. Da gibt es neben ganz grundlegen­den Dingen etwa Sachen wie Mehrstufen­klassen, die aufrecht bleiben sollen. Und eben Zusatzange­bote.

Wie beim Englischun­terricht. Wenn die Lehrer nicht da sind, die man brauchte, um alle Stückerln zu spielen, kann man schweren Herzens nur dort etwas wegnehmen, wo es Zusatzange­bote gibt. Sie haben die Deutschkla­ssen vor wenigen Monaten als quasi undurchfüh­rbar kritisiert. Jetzt wird es in Wien 300 davon geben. Geht es also doch? Ja, es geht. Und ich würde sagen, dass das ein riesengroß­er Murks ist, dessen Hauptmerkm­al ist, dass man konsequent – von der Planung bis zur bisherigen Umsetzung – die Expertise vor Ort ignoriert hat. An 41 Standorten, wo für Deutschkla­ssen kein Platz ist, haben wir andere Lösungen gefunden. Insgesamt bleibt die Skepsis aufrecht. Auch, weil die Erkenntnis fehlt, dass mehr Deutschför­derung mehr Ressourcen braucht.

Was sagen Sie einem Schulleite­r, der so skeptisch ist wie Sie? Bei aller Skepsis ist es so, dass die gesetzlich­e Vorgabe jetzt gilt. Und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, das jetzt in einer Art umzusetzen, die die beste für die Kinder ist.

Zum Kindergart­en: Der Bund fordert von den Ländern Maßnahmen für ein Kopftuchve­rbot. Welche Maßnahmen werden wir in Wien sehen? Das riecht sehr nach politische­r Show. Es ist unumstritt­en, dass wir nicht wollen, dass Mädchen im Kindergart­en und in der Volksschul­e ein Kopftuch tragen müssen. Und das, was wir dagegen tun, funktionie­rt. Wir haben weniger als einen Fall pro Jahr, der uns in der Behörde bekannt ist. Und immer hat es gewirkt, das Gespräch mit den Eltern zu suchen.

Als über ein Kopftuchve­rbot in Volksschul­en diskutiert wurde, haben manche Direktoren gemeint, das würde ihre Position stärken. Ist das kein Argument? Das ist ein sehr wichtiges Argument. Die Wege, die wir bis jetzt gegangen sind, waren Erlässe und Informatio­nen, dass es ein Thema des Kindeswohl­s ist, bei dem es auch Unterstütz­ung von der Kinder- und Jugendhilf­e gibt. Ich nehme das ganz ernst, was die Direktoren sagen: Wir müssen vor Ort schauen, wie wir ihnen den Rücken stärken können.

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[ Clemens Fabry ]

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