Schichtarbeit
Hauchdünne Beschichtungen schützen Industriewerkzeuge und Bauteile vor extrem hohen Belastungen. Sie wurden sieben Jahre lang in einem Christian-Doppler-Forschungslabor an der TU Wien weiterentwickelt.
Harte Schale, weicher Kern. Das wird nicht nur manchem historisch bedeutsamen Krieger nachgesagt, sondern auch dessen Schwert. „Die Schneide musste möglichst hart und stabil sein, der Kern weich, um die mechanischen Belastungen der Schläge abzufangen“, erklärt Werkstoffwissenschaftler Paul Mayrhofer. Nur wer über spezielles Wissen verfügte, konnte das Material bearbeiten. Die Forscher der TU Wien wollen heute mehr: „Wir möchten verstehen, was in dessen Inneren passiert. So lassen sich völlig neue Werkstoffe für die Industrie herstellen.“
Das war Mayrhofers Mission in den vergangenen sieben Jahren als Leiter des Christian-Doppler-(CD)Labors für Anwendungsorientierte Schichtentwicklung, das gestern, Freitag, beendet wurde. „Unser Ziel war, die grundlegenden Mechanismen zu begreifen, wie Werkstoffe an der Oberfläche degradieren: durch Temperatur, mechanische Belastung oder Umwelteinflüsse“, sagt der Forscher. Beschichtungen sollen diese „wie ein Mantel gegen die Außenwelt schützen“.
Besonders beansprucht
Als wichtigste Anwendungen hatte man Werkzeuge für das Zerspanen, also Drehen, Bohren und Fräsen oder Umformen in der Industrie, im Auge, die besonders stark beansprucht werden. „Stellt man etwa eine B-Säule (Verbindung zwischen Fahrzeugboden und -dach in der Mitte des Autos, Anm.) her, muss das Blech zuerst auf 900 Grad Celsius erhitzt, in Form gebracht und dann abgekühlt werden“, schildert Materialwissenschaftler Helmut Riedl, von Beginn an Teil des Teams. Wobei ein Werkzeug freilich je nach Anforderung anders beschaffen sein müsse: Eine Alu-Motorhaube werde ganz anders verarbeitet als ein Ventil für einen Motor.
Letztlich gehe es immer darum, die Maschinen besser auszunutzen, erläutert Mayrhofer: „Zeit ist Geld.“Wenn ein Werkzeug schneller arbeiten solle, nütze es sich jedoch rascher ab, außerdem gehe es in der Produktion buchstäblich heißer her. Das sollen die Materialien künftig mit neuen, in Wien entwickelten Schutzschichten besser aushalten.
Bisher genutzte Hartstoffschichten bewahrten diese vor allem vor Abrieb und weniger vor Hitze. Beschichtungen setzten sich in der Vergangenheit aus zwei oder drei Elementen zusammen, die Wiener Forscher mengten in ihren Rezepturen weitere Zutaten bei, um die Eigenschaften zu verbessern. Wobei gilt: Je mehr Komponenten beigemengt werden, desto komplexer und unberechenbarer sind die Materialien.
Besonders stolz ist Mayrhofer daher auf im CD-Labor neu kreierte Schichten, die sich als wahre Al- leskönner entpuppen. Das aus vier Elementen zusammengesetzte Titanaluminiumtantalnitrid soll etwa sehr stabil sein und vor hohen Temperaturen schützen – ein Spagat, der bei bisherigen Beschichtungen noch nicht gelungen ist. Will man Materialien wiederum vor Einflüssen aus der Atmosphäre, also Oxidation, schützen, mischt man aus Aluminium, Chrom und Sauerstoff eine Aluminiumchromoxid-Schicht.
Der Weg zu den neuen Schichten begann stets mit eigens entwickelten Berechnungsprogrammen an Supercomputern. Man habe quasi am digitalen Reißbrett mit Zutaten experimentiert, um immer bessere Materialeigenschaften herauszuholen, so Mayrhofer. Die neuen Mischungen wurden dann in einer vom Industriepartner Oerlikon Surface Solutions zur Verfügung gestellten Anlage am Institut ausprobiert, das Ausgangsmaterial kam vom zweiten Kooperationspartner, der Plansee Group. „Bei der physikalischen Gasphasenabscheidung leiten wir eine hohe Energie in das Ausgangsmaterial ein, dadurch werden Teilchen herausgeschleudert und fliegen auf das zu beschichtende Objekt“, erklärt Riedl. So entsteht Stück für Stück die Beschichtung.
Tests im Teilchenbeschleuniger
Anschließend testeten die Wissenschaftler die Materialien in Experimenten. Die genaue Prüfung der gerade einmal drei bis fünf Mikrometer – das sind Millionstelmeter – dünnen Schichten sei ein Test für die Forscher selbst gewesen, berichtet Mayrhofer. „Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von 100 Mikrometern. Festigkeitsund Zähigkeitsmessungen an so winzigen Schichten sind eine Herausforderung.“Die Wiener Forscher entwickelten dafür neue Methoden. Für die weiteren Analysen nutzten sie an der TU Wien vorhandene Geräte wie ein Transmissions- oder ein Rasterelektronenmikroskop. Um sich ein noch genaueres Bild von den Strukturen im Inneren zu machen, fuhren sie mit ihren Materialproben aber auch zu Teilchenbeschleunigern ins französische Grenoble oder ins deutsche Hamburg.
Häufig entdeckte Defekte sind aus Sicht der Forscher nichts Negatives. „Wenn man sie versteht, kann man sie auch verringern oder nutzbringend einsetzen“, so Mayrhofer. Schließlich habe ein Rubin seine rote, ein Saphir seine blaue Farbe erst durch Defekte erhalten. So ist man weiter offen für Neues. Bisher ungekannte Perspektiven eröffnen etwa auf dem Element Bor basierende Schichten, sogenannte Boride. „Sie sind fast so hart wie Diamant und sehr beständig“, sagt Mayrhofer. Das Potenzial sei da, mögliche Anwendungen noch offen. Nach diesen wollen die Industriepartner jedenfalls auch nach Abschluss des CD-Labors weiter suchen.