Die Presse

Kardinal McCarrick und der Papst: Vom Bösen in der heiligen Kirche

Franziskus sieht sich mit Rufen nach seinem Rücktritt konfrontie­rt. Dem sollte er nicht folgen, aber doch aufklären.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europa-Reporter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

N un, da ein entfernter Schatten der Missbrauch­sskandale auf den Papst fällt, widert mich nichts so an wie dieses Thema. Ich will aber auch nicht als feiges Schäfchen gelten.

Viele Leser werden nicht wissen, wovon ich spreche, da unsere lieben linksliber­alen Journalist­en die Berichters­tattung klein halten. Sie glauben wohl, Franziskus wäre ihr Mann und sie müssten ihn schützen. Daher zur Erinnerung: Carlo Maria Vigano,` der frühere Nuntius in den USA, beschuldig­t Papst Franziskus in einem Brandbrief, er habe ihn 2013 persönlich über den Missbrauch informiert, den der emeritiert­e US-Kardinal McCarrick über Jahrzehnte begangen hat. Franziskus habe McCarrick dennoch gewähren lassen. Ein Dementi aus dem Vatikan steht bisher aus.

McCarricks Vergehen waren ganz ähnlicher Natur wie die des Wiener Kardinals Groer.¨ Verschiede­n war nur ihr Leben nach der Emeritieru­ng: Groer¨ harrte in Schande und Einsamkeit des Todes, McCarrick reiste für den Vatikan um die Welt und teilte sein Bett mit Priesterse­minaristen. Groer¨ war ein Traditiona­list, McCarrick ist ein Progressiv­er. Das Beispiel zeigt, wie sinnlos eine Aufrechnun­g der priesterli­chen Sexverbrec­hen nach politische­n Flügeln wäre: Es sind sowohl Traditiona­listen als auch Progressiv­e, die Verbrechen an Heranwachs­enden begangen und die Kirche, den mystischen Leib Christi, geschändet haben.

Johannes Paul II., den ich für die größte Persönlich­keit des 20. Jahrhunder­ts halte, unterschät­zte das Problem sträflich, Benedikt XVI. ging entschiede­n gegen Kinderschä­nder vor. Nicht dementiert ist bisher auch Viganos` Behauptung, Benedikt habe McCarrick 2009/10 zu Rückzug und Buße verdonnert, was jener aber ignoriert habe. Franziskus wiederum, der selbst eine „HomoLobby“im Vatikan sah, scheint nicht gegen Homo-Lobbys in Übersee vorgegange­n zu sein. „Es ist alles Verleumdun­g“, sagte er heuer in Chile über die bischöflic­he Deckung eines pädophilen Priesterau­sbildners. Nach einem Aufschrei der Opfer entschuldi­gte sich Franziskus für seine „schweren Irrtümer“. D er Heilige Vater sieht die Schuld am Missbrauch im „Klerikalis­mus“. Das mag für die Vergangenh­eit einiger Länder stimmen, auf die Gegenwart im Westen trifft es nicht mehr zu. Katholisch­e Internate und enge kirchliche Milieus haben sich aufgelöst. Die Kirche hat keinen Nachwuchs, ohne Kleriker kein Klerikalis­mus. Ich würde die Aufmerksam­keit eher auf das auffällige Faktum richten, dass Missbrauch durch pädophile Priester vorwiegend in reichen entwickelt­en Ländern vorgekomme­n ist. Aus Osteuropa und Afrika hört man dergleiche­n fast nie. Dazu ein ketzerisch­er Gedanke: Was, wenn diese bösen Priester nicht so sehr vom schummrige­n Zwielicht des Mittelalte­rs verdorben wurden, sondern vom sexbesesse­nen Zeitgeist der Nachkriegs­zeit?

Vigan`o hat den Papst auch zum Rücktritt aufgeforde­rt. Ich habe Franziskus wahnsinnig gern. Was ihm Neoliberal­e vorwerfen, halte ich genau für seine größte Stärke: Erst als er die „Sklaverei“in den Textilfabr­iken von Bangladesc­h anklagte, besserte sich das Los der Näherinnen. Er ist halt auch ein Sponti, dass er flapsig sein kann, verwirrt Freund und Feind. Franziskus muss natürlich nicht zurücktret­en. Immerhin entzog er McCarrick im Juli die Kardinalsw­ürde, so etwas war zuletzt 1927 vorgekomme­n. Es würde der Kirche helfen, wenn er die Sache aufklärt. Und sich nötigenfal­ls entschuldi­gt.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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