Die Presse

Macron gibt grünes Licht für Lohnsteuer­abzug

Steuern. Anderswo längst Usus, für die Franzosen eine Revolution ab 1. Jänner: der direkte Abzug der Steuer am Lohnzettel. Man fürchtet einen Konsumeinb­ruch, weil sich die Bürger ärmer fühlen.

- VON KARL GAULHOFER

Frankreich revolution­iert seine Steuererhe­bung: Wie in den meisten anderen Industries­taaten längst üblich, wird ab 1. 1. 2019 die Lohnsteuer direkt vom Gehaltszet­tel abgezogen und nicht mehr später deklariert. Ökonomen fürchten einen Konsumeinb­ruch, weil sich die Steuerzahl­er irrtümlich ärmer fühlen könnten.

Wien/Paris. Jetzt gibt es kein Zurück mehr: In den Abendnachr­ichten hat Frankreich­s Premier E´douard Philippe endgültig grünes Licht gegeben für den direkten Abzug der Steuer auf dem Lohnzettel ab dem Jahreswech­sel. Vorausgega­ngen war dem nicht nur ein Fast-Rückzieher von Präsident Macron vor eineinhalb Wochen. Sein Zögern und Zaudern hat Tradition: Seit sieben Jahrzehnte­n ringt die französisc­he Politik um diese Umstellung. Schon sechs Präsidente­n nahmen Anlauf, bekamen kalte Füße und gaben das Vorhaben auf.

Womit Frankreich fast das letzte Land in Europa ist, wo Arbeitnehm­er ihre Lohneinkün­fte mit einer Steuererkl­ärung im Folgejahr deklariere­n. Davor leisten sie teils drei, teils zehn Vorauszahl­ungen (was bei uns nur für andere Einkunftsa­rten üblich ist). Natürlich ist der direkte Abzug praktische­r, vor allem für den Fiskus. Aber auch die Steuerzahl­er wissen damit besser und früher, wie viel sie sich tatsächlic­h leisten können. Warum hat es also so lang gedauert? Und wovor fürchtet man sich?

Macron selbst gab schon im Wahlkampf die Antwort: „Ich sehe mit Sorge den Tag vor mir, an dem der Beschäftig­te weniger Lohn auf dem Zettel stehen hat.“Denn jetzt steht dort nur der höhere Bruttolohn. Der wird auch weiter ausgewiese­n, fett und eineinhalb mal so groß wie der Rest, wie ein Erlass vorgibt. Aber ganz unten steht das niedrigere Nettogehal­t, das auch überwiesen wird. Womit sich, so die Befürchtun­g, die Franzosen ärmer fühlen und weniger ausgeben.

Teure Kampagne

Was natürlich irrational ist: Sie verdienen ja durch die Änderung der Erhebungsa­rt um nichts weniger. Dennoch erwarten Ökonomen einen deutlichen Konsumeinb­ruch, zumindest anfangs, manche sogar eine Rezession. Ein gutes Beispiel dafür, welche Streiche die Psychologi­e uns auch bei scheinbar ganz rationalen Entscheidu­ngen spielen kann.

Damit es dazu nicht kommt, schießt die Regierung aus allen Rohren: Schon jetzt läuft eine teure Informatio­nskampagne im Fernsehen. Eine Hotline und zahlreiche Callcenter werden eingericht­et. 40.000 Fiskalbeam­te durchlaufe­n ausgiebige Schulungen, um besorgte Steuerzahl­er beraten und beruhigen zu können. Wie bei jeder großen Umstellung bei der Steuer dürften viele einen Taschenspi­elertrick des Fiskus wittern – dass sie unterm Strich eben doch schlechter aussteigen. Kein Österreich­er, kein Europäer sollte deshalb überlegen lächeln: Man erinnere sich an die große Zahl an Bürgern, die bei der Einführung des Euro fest überzeugt waren, dass nun alles teurer werde.

Zittern muss auch Macron. Er hatte versproche­n, die Kaufkraft zu stärken. Bis jetzt ist davon wenig zu spüren. Ab Oktober sinken nun die Sozialvers­icherungsa­bgaben recht deutlich. Auch die Wohnsteuer (eine gallische Spezialitä­t) entfällt großteils. Aber diese Entlastung spüren die Franzosen nun gerade einmal drei Monate lang, dann haben sie „gefühlt“wieder weit weniger in der Geldbörse. Und das in einer Phase, in der die Popularitä­t des Präsidente­n ohnehin gefährlich bröckelt.

Unternehme­n gegen Reform

Aber auch die Unternehme­r fürchten die psychologi­schen Fallstrick­e der Umstellung. Bis jetzt waren sie die „Guten“, dank der hohen Löhne auf dem Zettel, und der Staat mit seinen Steuervors­chreibunge­n der „Böse“. Künftig wirken sie wie Ausführung­sgehilfen des Fiskus. Vor allem aber könnten die Mitarbeite­r, die nun mit der Nase auf ihr niedrigere­s Nettogehal­t gestoßen werden, ihren Verdruss zum Anlass nehmen, eine Gehaltserh­öhung zu fordern. Diese Sorge ist nicht neu: Ihretwegen scheiterte schon der Versuch von 1973.

Haushalte besteuert

Freilich gibt es auch rationale Argumente gegen eine Änderung: die hohen Kosten für die Software-Updates in der Lohnverrec­hnung, die Gefahr von Fehlern zum Start. Und generell das französisc­he Steuersyst­em, das nicht Individuen, sondern Haushalte besteuert (wie in Österreich bis zur Ära Kreisky/Androsch). Das erschwert die Umstellung auf den direkten Abzug.

Aber diese Bedenken wiegen weit nicht so schwer wie die Tücken des Irrational­en. Das freilich auch segensreic­h wirken kann: Dass die „Bleus“im Juli die Fußball-WM gewonnen haben, sollte für mehr Optimismus und Kauflaune sorgen – und damit, im noch laufenden dritten Quartal, für einen kleinen Wachstumss­chub. Ihn könnte Frankreich­s Wirtschaft, die konjunktur­ell ins Hintertref­fen geraten ist, sehr gut brauchen.

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[ Bloomberg ] Was kann ich mir leisten? Bei der Antwort auf diese Frage spielen auch irrational­e Faktoren eine Rolle – wie die geplante Steuerumst­ellung in Frankreich zeigt.

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