Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Zu keinem anderen Land sind die Parallelen so deutlich wie zu Schweden: in Problemen, seltsamer Vergangenh­eitsliebe und übertriebe­ner Zukunftsan­gst.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Schweden ist, oder besser: war Österreich­s ewiges Vorbild. Für die Sozialdemo­kraten war Olof Palmes Heimat das offizielle Sehnsuchts­land: schöner Wohlfahrts­staat, echte Neutralitä­t, liberale Gesellscha­ftspolitik und zumindest auf dem Papier eine keynesiani­sche Wirtschaft­sschule mit vielen öffentlich­en Investitio­nen. Letztere begeistert­en österreich­ische Konservati­ve und Wirtschaft­sliberale in schlechten Zeiten: Mit Göran Persson redimensio­nierte ein sozialdemo­kratischer Premier nach einer massiven Budget- und Bankenkris­e den Sozialstaa­t und sparte das Land gesund, mit Duldung der Gewerkscha­ften. Schweden war das Traumland, von dem sich fast jeder aus der Ferne bediente fühlte. Von Ikea, Volvo und Pippi Langstrump­f ganz zu schweigen. Das war einmal. Was geblieben ist, ist die Verbundenh­eit zweier an sich höchst erfolgreic­her Länder zwischen Ost und näherem West.

Heute liefert dasselbe, aber eben nicht mehr gleiche Land Schlagzeil­en, die den politische­n Niedergang beschreibe­n: „Schwedenrä­tsel“, „Stadt, Land, Frust“oder „ Armer Schwede“, heißt es in deutschen Schlagzeil­en. Das Land, das wie Österreich 2015 die meisten Flüchtling­e willkommen heißen musste, steht vielleicht vor dem Machtwechs­el. Erstmals seit 100 Jahren könnten die Sozialdemo­kraten Platz eins (und meist Regierungs­verantwort­ung) abgeben müssen, da die rechtspopu­listischen Schwedende­mokraten auf ihre Kosten (und jener der Liberal-Konservati­ven) am Sonntag enorm zulegen könnten und wohl werden. In vielen europäisch­en Hauptstädt­en ist von einem Dominoeffe­kt die Rede, davon, dass wieder ein Land nach rechts rücke. Das klingt fast, als wäre alles nur ein Spiel oder ein Land falle um.

Interessan­terweise sind vor rund zehn Jahren in vielen Medien ebenfalls bereits Nachrufe auf Schweden formuliert worden. Das Land zählt auch heute noch zu den reichsten, sichersten und fairsten der Welt. Spricht man mit Schweden über ihre Heimat, gewinnt man den Eindruck, es gäbe zwei Schweden: die Städte, in denen sich Lebensfreu­de und Probleme konzentrie­ren, das Land, in dem die Zukunftsan­gst fast so groß wie die Vergangenh­eitsliebe ist. Es gibt das Schweden mit gerin- ger Kriminalit­ät im internatio­nalen Vergleich, es gibt das Schweden der Schießerei­en und Bandenkrim­inalität. Die den sozialdemo­kratischen Premier laut nachdenken lässt, das Militär dagegen einzusetze­n. Donald Trump sprach sogar unkorrekt, aber doch plastisch davon, dass es in den USA eben nicht wie „vergangene Nacht“in Schweden zugehen dürfe. Das sind Widersprüc­he, die Österreich­s Polarisier­ung in Gut und Böse, in Hell und Dunkel, Oase und Wilden Westen fast übertreffe­n.

Sollte am Sonntag eine der letzten und symbolstär­ksten sozialdemo­kratischen Bastionen der Welt fallen, kommt nicht nur eine schwierige Regierungs­bildung auf die Schweden zu, sondern eine bittere Erkenntnis für Europa. Nein, es sind nicht nur die vermeintli­ch rückwärtsg­ewandten ost- und mitteleuro­päischen Staaten, die sich gegen Zuwanderun­g stemmen, sondern eben eigentlich alle europäisch­en Länder. Die Wähler, die den neuen alten Parteien weit rechts der Mitte folgen, stellen auch der Integratio­nspolitik ihrer Länder ein schlechtes Zeugnis aus. Zu lang hat man das Problem geleugnet oder schöngered­et.

Wer glaubt, das Phänomen Rechtspopu­lismus verschwind­et, wenn man im europäisch­en Wald laut „Freude schöner Götterfunk­en“pfeift, irrt. Die Parteien rechts und links der Mitte werden dann wieder wählbar, wenn sie klare Konzepte auf den Tisch legen, die die Stimmen für die Verkünder billiger Verspreche­n unnötig machen. Deren Parteien einfach als Regierungs­partner kategorisc­h auszuschli­eßen, macht diese übrigens nur stärker. Stattdesse­n Regierungs­verantwort­ung und mögliche -(un) fähigkeit abzuverlan­gen und diese dann auf offener Bühne vorzuführe­n kann den Offenbarun­gseid liefern.

In Österreich findet das Experiment unter großem nationalen und teilweise internatio­nalem Interesse statt. Scheitern oder Erfolg sind noch immer möglich. Gut möglich, dass Schweden und Österreich weiter oder wieder parallel schwingen. In guten wie in schlechten Zeiten.

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