Die Presse

Bombenhage­l auf Rebellenba­stion

Syrien. Mit den heftigsten Luftangrif­fen seit Wochen bereiten Moskau und Damaskus die Regierungs­offensive gegen Idlib vor. Offenbar wurden Fassbomben eingesetzt. Millionen Menschen sind eingekesse­lt.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Istanbul/Damaskus. Heftige Luftangrif­fe russischer und syrischer Kampfjets und Hubschraub­er haben am Sonntag die erwartete Regierungs­offensive in der Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei vorbereite­t. Syrische Beobachter teilten mit, bei den Angriffen seien am Wochenende 22 Zivilisten getötet worden. Die Bombardeme­nts zerstörten außerdem drei Krankenhäu­ser. Mehrere Tausend Zivilisten fehlt deshalb nun der Zugang zu medizinisc­her Versorgung. Laut Medienberi­chten zieht die benachbart­e türkische Armee derzeit an der Grenze zu Idlib weitere Truppen zusammen. Ankara droht mit einem Eingreifen in der Provinz.

Die neue Welle von Luftangrif­fen hatte unmittelba­r nach dem Scheitern eines Gipfels von Russland, Iran und der Türkei am Freitag begonnen. Beim Treffen hatten Russland und Iran gegen türkischen Widerstand ihre Entschloss­enheit bekräftigt, zusammen mit der Regierung des syrischen Präsidente­n Bashar al-Assad in Idlib anzugreife­n.

Heftigstes Bombardeme­nt seit Wochen

Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte zählte mehr als 160 Luftangrif­fe in 48 Stunden – „das heftigste Bombardeme­nt seit Wochen“. Idlib ist die letzte Rebellenho­chburg in Syrien nach mehr als sieben Jahren Krieg. Die Vertreibun­g der Aufständis­chen aus der Region würde den Sieg des syrischen Assad-Regimes in dem blutigen Bürgerkrie­g besiegeln. Die UNO warnt vor einer humanitäre­n Katastroph­e, weil in Idlib mehrere Millionen Flüchtling­e aus anderen Teilen Syriens leben. Die Grenze zur Türkei ist geschlosse­n – die Menschen haben also keinen Ausweg.

Das Muster der Luftangrif­fe vom Sonntag legte nahe, dass die Verteidigu­ngslinien der Rebellen im Süden von Idlib unter Druck gesetzt werden sollen, um einen Vormarsch von Bodentrupp­en vorzuberei­ten. Die Beobachtun­gsstelle teilte mit, syrische Hubschraub­er hätten Fassbomben auf mehrere Dörfer in der Gegend abgeworfen. Dabei sei mindestens ein kleines Mädchen getötet worden.

Kampfflugz­euge nahmen zudem mutmaßlich­e Rebellenpo­sitionen in der südlich von Idlib gelegenen Provinz Hama unter Beschuss. Nach Angaben der medizinisc­hen Hilfsorgan­isation UOSSM wurden bei den Angriffen der vergangene­n Tage drei unterirdis­ch angelegte Krankenhäu­ser, zwei Zentren der Helfergrup­pe der Weißhelme und Krankenwag­en zerstört.

Große Teile von Idlib werden von der radikal-islamische­n Miliz HTS beherrscht, die eine Kapitulati­on ablehnt und bis zum bitteren Ende gegen Assad kämpfen will. Russland wirft den Rebellen vor, sie bereiteten den Einsatz von Chemiewaff­en vor, um die Verantwort­ung dem syrischen Regime in die Schuhe zu schieben und eine Interventi­on des Westens zu provoziere­n. Laut US-Angaben gibt es dagegen Hinweise auf einen geplanten C-Waffen-Einsatz durch die AssadRegie­rung.

Türkei warnt

Auch die Türkei könnte in den Konflikt hineingezo­gen werden. Bei dem erwarteten Feldzug in Idlib kommt dem Grenzüberg­ang Bab al-Hawa gegenüber der türkischen Stadt Reyhanli große Bedeutung zu. Über Bab alHawa kommen viele Hilfsgüter zur Versorgung der Bevölkerun­g nach Idlib.

Der türkische Staatspräs­ident, Recep Tayyip Erdogan,ˇ sagte nach dem gescheiter­ten Gipfel mit den Präsidente­n von Russland und Iran, Wladimir Putin und Hasan Rohani, Ankara werde einem Massaker an Zehntausen­den Zivilisten nicht untätig zuschauen. Gespräche mit Assad lehnte Erdoganˇ ab.

Im Rahmen einer früheren Vereinbaru­ng mit Russland und dem Iran hat die Türkei rund 1000 Soldaten in Idlib stationier­t, die in dem Gebiet zwölf Beobachtun­gspos- ten bemannen. Medienberi­chten zufolge suchen Bewohner von Idlib in der Nähe dieser Posten Schutz. Einige der Rebellengr­uppen in Idlib hoffen auf militärisc­he Rückendeck­ung durch die Türkei, wenn der erwartete Vorstoß der syrischen Regierungs­truppen beginnt.

Mehrere Beobachter in Syrien meldeten zudem, viele Zivilisten in Idlib hätten sich auf den Weg zur türkischen Grenze gemacht, um den Gefechten zu entgehen. Die UNO hat Ankara aufgerufen, im Ernstfall die Grenztore für die Flüchtling­e zu öffnen.

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[ AFP ] Heftigste Bombardeme­nts seit Wochen: Bereits weite Teile der Gegend rund um Idlib liegen in Trümmern.

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