Shakespeare für Junge
Volkstheater. Anna Badora inszenierte „Der Kaufmann von Venedig“mit drei Shylocks. Das Publikum wählte bei der Premiere Anja Herden. Zu sehen ist viel Show und wenig Drama.
Premiere für Badoras Inszenierung des „Kaufmann von Venedig“.
Würde man bei Shakespeares „Kaufmann von Venedig“das heikle und durch die Zeiten immer wieder heiß umstrittene Thema Judentum ausblenden, bliebe ein Geschäftskampf. Das Fleisch, das der Geldverleiher Shylock dem venezianischen Kaufmann Antonio aus der Nähe des Herzens herausschneiden will, könnte auch für das Vermögen stehen, das Profitmacher und Spekulanten fasziniert, ihr Lebensnerv sozusagen. An der Börse geht es auch brutal zu, große Summen werden gewonnen oder verloren, wer verliert, fühlt sich todesmatt wie Antonio vor Shylocks Messer, wer gerettet wird, triumphiert lachend wie Antonio über Shylock.
Und was einst die Schifffahrt war, könnte heute die raffinierte Finanzwirtschaft sein. Darum steht auch „Banca Shylock“auf der Bühne des Volkstheaters – und am Schalter sitzt Shylock höchstselbst. Das Business fordert den ganzen Mann. Auch das gilt unabhängig von Rasse, Hautfarbe und Herkunft.
Anbiedern an TV-Castingshows
Der ganze Mann war bei der Premiere des „Kaufmann“im Volkstheater Samstagabend eine Frau. Das Publikum darf nämlich mittels Applausometer vor jeder Vorstellung unter drei Darstellern wählen: Rainer Galke spielt Shylock als Börsenmakler, Sebastian Pass zeigt ihn als orthodoxen Juden mit Schläfenlocken – und Anja Herden ist Frau Shylock. Mit solchem Unsinn, der eine Missachtung von Schauspielern ist, biedert sich das Theater dem Fernsehen und seinen Castingshows und Co. an. Aber die Abstimmung wirkte weniger peinlich als erwartet.
Anja Herden spielte, nach einer weiteren Befragung vor der Pause, die ganze Vorstellung Shylock. Das Stück ist übrigens nach Antonio benannt und nicht nach Shylock, der für Shakespeare wohl so etwas wie eine Knallcharge war. „War Shakespeare Antisemit? Natürlich. Er war ja auch Rassist (Othello) und Behindertenfeind (Richard III.)“, schreibt Dramaturgin Anita Augustin im Programmheft. Die zwei Herren, die Herden überflügelt hatte, sahen bei der Premiere nicht glücklich aus. Zu Recht. Galke verkörperte statt Shylock Antonio, für diesen Melancholiker ist er die falsche Besetzung.
Sebastian Pass spielt Lanzelot Gobbo, eine der tollsten Dienerrollen, die Shakespeare geschrieben hat. Pass zeigt Witz und Eloquenz, aber es ist trotzdem nicht sein bester Abend, noch dazu wurde die herrlichste Szene gestrichen, wenn Lanzelot seinem blinden Vater begegnet. Diese gleicher- maßen herzzerreißende wie komische Passage hätte nicht ins schicke Kasino-Kapitalismus-Konzept von VT-Direktorin Anna Badora gepasst, die diesen „Kaufmann“mit deutlichem Blick auf junge Leute inszeniert hat: Und da ist ihr auch einiges gelungen.
Wir sehen fröhliche, zynische Erben, reiche und solche, die aus anderen Gründen sorglos sind. Sie tanzen, haben Spaß, nie hat es ihnen an etwas gefehlt, daher haben sie auch kein Gefühl für die Mühen der Arbeit und des Aufbaus von Vermögen. Und man sieht die Alten oder Älteren, gezeichnet vom Kampf um den Aufstieg, allen voran eben Herden, mit grauem Rock und altmodischer Tasche, die sie bösen Knaben, die sie attackieren wollen, um die Ohren schlägt.
Selbstbewusste Junge, müde Alte
Diese lustlose Figur stimmt nicht wirklich, man nimmt ihr die Härte nicht ganz ab, aber Herden hat großartige Momente, vor allem in der Gerichtsszene am Schluss – und wenn man bedenkt, was die Rollenwechsel dem Ensemble abverlangen, muss man sagen, so gesehen ist die Aufführung fast großartig.
Wiewohl wieder einmal an der Sprache nicht genug gearbeitet wurde, was fortwährendes Gebrülle nicht vergessen machen kann. Eine der wenigen wohltuenden Ausnahmen ist Sebastian Klein, der Shakespeares Poesie halbwegs perfekt einstudiert hat. Die Mädels haben hier die Hosen an, auch wenn sie im Glitzerkleidchen flirten. Evi Kerstephan als Shylocks Tochter Jessica wirft ihre blonde Mähne, falls sie vom Judentum zum Christentum übertreten sollte, wird das nichts daran ändern, dass sie ihren Lorenzo (Jan Thümer sollte lieber nicht italienisch sprechen) fest im Griff hat. Hinreißend ist Isabella Knöll als Portia, blass bleibt ihr Bassanio (Peter Fasching), die wahre Freundin Portias ist ihre Dienerin (Marius Huth), Geschlechterzugehörigkeit ist hier ein Wort von gestern, das passt.
Diese Jugend lässt sich von den Älteren gar nichts mehr sagen. Und die Alten schauen teilweise schon recht fertig aus – wie der Doge (Günter Franzmeier), der über Video besorgt der Gerichtsverhandlung beiwohnt oder die lächerlichen Potentaten mit Greisenmasken – die Portia den Hof machen.
Gespielt wird die Übersetzung von Elisabeth Plessen wie 1988 im Burgtheater, als Peter Zadek den „Kaufmann“inszenierte, mit Gert Voss als Shylock, lächelnd, dabei aasig und unerbittlich, wenn es um die eigene Selbstbehauptung ging: „Ich wollte nie im Leben als jüdisches Opfer dastehen“, schrieb Zadek 2010 in der „Presse“. Sein „Kaufmann“hatte eine klare, einleuchtende Message, die rüberkam – dergleichen fehlt im VT bzw. wird teilweise von der Show überdeckt. Schauspiel ist Arbeit, jede Nuance muss sitzen. Das merkt man, wenn am Rollenstudium unbedarft herumgeschraubt wird wie hier. Werden wegen des „originellen“Einfalls mehr Zuseher kommen? Hoffentlich. Die Aufführung ist mit knapp zwei Stunden kurz, flott und ohne Längen.