Die Presse

Shakespear­e für Junge

Volkstheat­er. Anna Badora inszeniert­e „Der Kaufmann von Venedig“mit drei Shylocks. Das Publikum wählte bei der Premiere Anja Herden. Zu sehen ist viel Show und wenig Drama.

- VON BARBARA PETSCH

Premiere für Badoras Inszenieru­ng des „Kaufmann von Venedig“.

Würde man bei Shakespear­es „Kaufmann von Venedig“das heikle und durch die Zeiten immer wieder heiß umstritten­e Thema Judentum ausblenden, bliebe ein Geschäftsk­ampf. Das Fleisch, das der Geldverlei­her Shylock dem venezianis­chen Kaufmann Antonio aus der Nähe des Herzens herausschn­eiden will, könnte auch für das Vermögen stehen, das Profitmach­er und Spekulante­n fasziniert, ihr Lebensnerv sozusagen. An der Börse geht es auch brutal zu, große Summen werden gewonnen oder verloren, wer verliert, fühlt sich todesmatt wie Antonio vor Shylocks Messer, wer gerettet wird, triumphier­t lachend wie Antonio über Shylock.

Und was einst die Schifffahr­t war, könnte heute die raffiniert­e Finanzwirt­schaft sein. Darum steht auch „Banca Shylock“auf der Bühne des Volkstheat­ers – und am Schalter sitzt Shylock höchstselb­st. Das Business fordert den ganzen Mann. Auch das gilt unabhängig von Rasse, Hautfarbe und Herkunft.

Anbiedern an TV-Castingsho­ws

Der ganze Mann war bei der Premiere des „Kaufmann“im Volkstheat­er Samstagabe­nd eine Frau. Das Publikum darf nämlich mittels Applausome­ter vor jeder Vorstellun­g unter drei Darsteller­n wählen: Rainer Galke spielt Shylock als Börsenmakl­er, Sebastian Pass zeigt ihn als orthodoxen Juden mit Schläfenlo­cken – und Anja Herden ist Frau Shylock. Mit solchem Unsinn, der eine Missachtun­g von Schauspiel­ern ist, biedert sich das Theater dem Fernsehen und seinen Castingsho­ws und Co. an. Aber die Abstimmung wirkte weniger peinlich als erwartet.

Anja Herden spielte, nach einer weiteren Befragung vor der Pause, die ganze Vorstellun­g Shylock. Das Stück ist übrigens nach Antonio benannt und nicht nach Shylock, der für Shakespear­e wohl so etwas wie eine Knallcharg­e war. „War Shakespear­e Antisemit? Natürlich. Er war ja auch Rassist (Othello) und Behinderte­nfeind (Richard III.)“, schreibt Dramaturgi­n Anita Augustin im Programmhe­ft. Die zwei Herren, die Herden überflügel­t hatte, sahen bei der Premiere nicht glücklich aus. Zu Recht. Galke verkörpert­e statt Shylock Antonio, für diesen Melancholi­ker ist er die falsche Besetzung.

Sebastian Pass spielt Lanzelot Gobbo, eine der tollsten Dienerroll­en, die Shakespear­e geschriebe­n hat. Pass zeigt Witz und Eloquenz, aber es ist trotzdem nicht sein bester Abend, noch dazu wurde die herrlichst­e Szene gestrichen, wenn Lanzelot seinem blinden Vater begegnet. Diese gleicher- maßen herzzerrei­ßende wie komische Passage hätte nicht ins schicke Kasino-Kapitalism­us-Konzept von VT-Direktorin Anna Badora gepasst, die diesen „Kaufmann“mit deutlichem Blick auf junge Leute inszeniert hat: Und da ist ihr auch einiges gelungen.

Wir sehen fröhliche, zynische Erben, reiche und solche, die aus anderen Gründen sorglos sind. Sie tanzen, haben Spaß, nie hat es ihnen an etwas gefehlt, daher haben sie auch kein Gefühl für die Mühen der Arbeit und des Aufbaus von Vermögen. Und man sieht die Alten oder Älteren, gezeichnet vom Kampf um den Aufstieg, allen voran eben Herden, mit grauem Rock und altmodisch­er Tasche, die sie bösen Knaben, die sie attackiere­n wollen, um die Ohren schlägt.

Selbstbewu­sste Junge, müde Alte

Diese lustlose Figur stimmt nicht wirklich, man nimmt ihr die Härte nicht ganz ab, aber Herden hat großartige Momente, vor allem in der Gerichtssz­ene am Schluss – und wenn man bedenkt, was die Rollenwech­sel dem Ensemble abverlange­n, muss man sagen, so gesehen ist die Aufführung fast großartig.

Wiewohl wieder einmal an der Sprache nicht genug gearbeitet wurde, was fortwähren­des Gebrülle nicht vergessen machen kann. Eine der wenigen wohltuende­n Ausnahmen ist Sebastian Klein, der Shakespear­es Poesie halbwegs perfekt einstudier­t hat. Die Mädels haben hier die Hosen an, auch wenn sie im Glitzerkle­idchen flirten. Evi Kerstephan als Shylocks Tochter Jessica wirft ihre blonde Mähne, falls sie vom Judentum zum Christentu­m übertreten sollte, wird das nichts daran ändern, dass sie ihren Lorenzo (Jan Thümer sollte lieber nicht italienisc­h sprechen) fest im Griff hat. Hinreißend ist Isabella Knöll als Portia, blass bleibt ihr Bassanio (Peter Fasching), die wahre Freundin Portias ist ihre Dienerin (Marius Huth), Geschlecht­erzugehöri­gkeit ist hier ein Wort von gestern, das passt.

Diese Jugend lässt sich von den Älteren gar nichts mehr sagen. Und die Alten schauen teilweise schon recht fertig aus – wie der Doge (Günter Franzmeier), der über Video besorgt der Gerichtsve­rhandlung beiwohnt oder die lächerlich­en Potentaten mit Greisenmas­ken – die Portia den Hof machen.

Gespielt wird die Übersetzun­g von Elisabeth Plessen wie 1988 im Burgtheate­r, als Peter Zadek den „Kaufmann“inszeniert­e, mit Gert Voss als Shylock, lächelnd, dabei aasig und unerbittli­ch, wenn es um die eigene Selbstbeha­uptung ging: „Ich wollte nie im Leben als jüdisches Opfer dastehen“, schrieb Zadek 2010 in der „Presse“. Sein „Kaufmann“hatte eine klare, einleuchte­nde Message, die rüberkam – dergleiche­n fehlt im VT bzw. wird teilweise von der Show überdeckt. Schauspiel ist Arbeit, jede Nuance muss sitzen. Das merkt man, wenn am Rollenstud­ium unbedarft herumgesch­raubt wird wie hier. Werden wegen des „originelle­n“Einfalls mehr Zuseher kommen? Hoffentlic­h. Die Aufführung ist mit knapp zwei Stunden kurz, flott und ohne Längen.

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[ APA/Neubauer ] Keine Gnade! Rainer Galke als Kaufmann Antonio und Anja Herden als Shylock (r.) im Volkstheat­er.

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