Die Presse

75 Todesstraf­en für „Anhänger“der Muslimbrüd­er

Ägypten. 739 Menschen wurden in einem Kairoer Prozess verurteilt, weil sie an von Muslimbrüd­ern organisier­ten Protesten teilgenomm­en hatten. Auch ein Fotoreport­er, der über die Unruhen berichtet hatte, erhielt eine Haftstrafe.

- Von unserem Korrespond­enten KARIM EL-GAWHARY

Kairo. Nun sind die Urteile in Kairo gesprochen – in einem Verfahren, das die Menschenre­chtsgruppe Amnesty Internatio­nal als „grob und unfair, eine Parodie der Gerechtigk­eit und eine Verletzung der Verfassung“bezeichnet hat. Das liegt vielleicht schon allein an der schieren Menge der Angeklagte­n: 739 Menschen mussten sich vor dem Kairoer Strafgeric­ht für eine Teilnahme an den von Muslimbrüd­ern organisier­ten Protesten des Jahres 2013 verantwort­en.

Insgesamt 75 Menschen, darunter eine ganze Reihe hochrangig­er Muslimbrüd­er wie Essam Arian und Muhamud El-Beltagi sowie der Salafisten­prediger Safwat El-Hegazi wurden zum Tode verurteilt. Die Todesurtei­le waren bereits im Juli ausgesproc­hen worden und wurden jetzt bestätigt.

Der spirituell­e Chef der Muslimbrud­erschaft, Muhammad Badia, erhielt mit 47 anderen Angeklagte­n lebensläng­lich. Den Verurteilt­en wird vorgeworfe­n, zu einer bewaffnete­n Versammlun­g aufgerufen und daran teilgenomm­en zu haben. Andere mussten sich wegen Mordes und des Organisier­ens illegaler Proteste verantwort­en. Weitere 374 Angeklagte erhielten Gefängniss­trafen von 15 Jahren, 23 andere, darunter Osama Mursi, Sohn des Expräsiden­ten Muhammad Mursi, wurden zu zehn Jahren verurteilt. Gegen die Urteile kann Revision eingelegt werden.

In den letzten Jahren wurden mehrere hochrangig­e Muslimbrüd­er in zahlreiche­n Verfahren zum Tode verurteilt. Aber keines der Urteile wurde bisher vollstreck­t.

Nach dem Sturz des gewählten Muslimbrud­erpräsiden­ten Muhammad Muris am 3. Juli 2013 durch das Militär unter der Füh- rung des damaligen Militärche­fs und heutigen Präsidente­n, Abdel Fattah El-Sisi, hatten Muslimbrüd­er und Mursi-Anhänger auf dem Rabaa Al-Adawiya-Platz in Kairo ein Protestlag­er errichtet, das dann am 14. August 2013 von Militär und Polizei gewalttäti­g aufgelöst wurde. Laut „Human Rights Watch“kamen damals mindestens 817 Menschen ums Leben, darunter acht Sicherheit­sbeamte.

Immunität für Militärs

Von den Sicherheit­skräften, die damals an der blutigen Auflösung der Proteste beteiligt waren, wurde bisher niemand zur Rechenscha­ft gezogen: Das Parlament hat heuer ein Gesetz erlassen, das Militäroff­izieren für alle Taten zwischen 2013 und 2016 Immunität verleiht.

Besondere internatio­nale Aufmerksam­keit erregte der Fall des ägyptische­n Fotojourna­listen, Mahmoud Abou Zeid, bekannt un- ter dem Namen Shawkan. Für Shawkan, der auch für deutsche Zeitungen gearbeitet hat, fanden weltweit Unterstütz­ungskampag­nen statt. Jetzt wurde er mit 214 weiteren Angeklagte­n zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Damit steht nun seine Freilassun­g bevor, weil er im Gefängnis bereits weit über seine U-Haft hinaus die fünf Jahre abgesessen hat. Shawkan hatte von der Auflösung des Protestlag­ers berichtet.

„Wir sind froh, dass Shawkan, dessen einziges Verbrechen darin bestand, Fotos zu machen, endlich aus dem Gefängnis kommt. Aber seine vollkommen­e Freiheit hat er noch nicht erlangt“, so Sherif vom CPJ, dem „Committee for the Protection of Journalist­s“. Laut Angaben seines Anwalts hat Shawkan die Auflage bekommen, sich nach seiner Freilassun­g fünf Jahre lang jeden Tag bei Sonnenunte­rgang in einer Polizeista­tion zu melden.

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