Die Presse

Die Lehren aus dem September 2008

Rückblick. Vor zehn Jahren stand die Finanzwelt am Abgrund, Investoren fürchteten um ihr Geld. Ein paar wichtige Börsenrege­ln – erklärt anhand der Kursbewegu­ngen von damals und seither.

- VON STEFAN RIECHER

Es ist ein Fehler, die größte Finanzkris­e der Nachkriegs­zeit auf den September 2008 zu reduzieren. Das Unheil nahm lang vorher seinen Lauf. Die Nachwehen wirkten weit bis in das Jahr 2009 hinein. Trotzdem gilt der Monat, in dem die US-Investment­bank Lehman Brothers fallengela­ssen wurde, als Inbegriff für die Panik an den Märkten.

In Zahlen sieht das so aus: Der S&P 500 verlor im September 2008 mehr als 20 Prozent, der MSCI Emerging Markets Index brach um fast 30 Prozent ein, auch der europäisch­e Stoxx 600 Index verbuchte ein zweistelli­ges Minus. Jede Krise hat ihre eigenen Ursachen. Einige Regeln gelten aber immer. Anhand der Ereignisse von damals und den Entwicklun­gen seither lassen sie sich wie folgt aufzeigen:

1. Timing ist unmöglich. Wer glaubt, Kursschwan­kungen für den richtigen Zeitpunkt zum Ein- oder Ausstieg heranziehe­n zu können, ist auf dem Holzweg. Das beweist die Achterbahn­fahrt von 2007 bis 2009. Zum Beispiel gab es Ende 2007 und Anfang 2008 zwei Phasen, in denen der S&P 500 Index deutlich einbrach. Einmal verlor er innerhalb von 31 Handelstag­en elf Prozent, ein anderes Mal inner- halb von 28 Handelstag­en 17 Prozent. Aber, und das wird im Rückblick oftmals vergessen, dazwischen ging es beachtlich nach oben. Etwa Anfang Dezember 2007 um acht Prozent oder Ende Jänner 2008 um zehn Prozent.

Vorsichtig ausgedrück­t: Die Volatilitä­t war hoch. Weniger vorsichtig: Da spielte sich die Hölle ab. Einer der Gründe war, dass nicht wenige Händler dachten, den Markt „timen“zu können. Sie kauften, weil Kursverlus­te zu Buche standen. Immer drehte der Markt kurz nach oben, ehe der nächste dramatisch­e Einbruch folgte. Letztendli­ch verloren fast alle, weil es ab Mitte 2008 erst so richtig bergab ging. Von Mitte August bis Mitte Oktober verlor der S&P 500 ein Drittel seines Wertes.

2. Auf die Frist kommt es an. Die Tatsache, dass exaktes Timing schlecht funktionie­rt, heißt nicht, dass man Kursschwan­kungen bei Kaufentsch­eidungen nicht berücksich­tigen soll. Für jemanden, der langfristi­g denkt, und etwa einen Zeithorizo­nt von zehn Jahren mitbringt, ist es durchaus sinnvoll, nach Kurseinbrü­chen zu kaufen. Es kann dann natürlich jederzeit noch weiter nach unten gehen, aber immerhin hat man nicht auf dem absoluten Höhepunkt zugekauft.

Allerdings: Es ist sinnvoller, graduell in den Markt einzusteig­en, als das gesamte Ersparte auf einmal nach Kursverlus­ten einzusetze­n. Wer im März 2008 aggressiv einstieg, musste in den folgenden Monaten schwere Verluste verkraften. Wer jedoch schrittwei­se investiert­e und Monat für Monat einen gewissen Betrag in den Aktienmark­t steckte, nutzte im Endeffekt die Verluste aus, um günstiger einzukaufe­n. Die Erträge wurden ab 2009 geerntet.

3. Nur keine Panik. Es ist leichter gesagt als getan, bei Kurseinbrü­chen wie jenen im September 2008 kühlen Kopf zu bewahren und die monatliche Kaufstrate­gie konsequent weiterzuve­rfolgen. Die Alternativ­e wäre allerdings, bei einem Gemetzel zu verkaufen und auf den nächsten Zeitpunkt zum Einstieg zu warten. Das ist eine Form des Timings, und das funktionie­rt eben selten, siehe Punkt 1.

Man kann als Vergleich die Periode Ende Jänner und Anfang Februar 2018 heranziehe­n. Es gab die erste Korrektur auf dem USMarkt seit Langem. Wer danach jedoch verkaufte, schnitt sich ins eigene Fleisch. Im August markierten die Indizes neue Rekordwert­e. Vor zehn Jahren dauerte es länger, die Marken von Anfang September 2008 wurden erst 2010 wieder er- reicht. Doch wer nicht in Panik verfiel und Monat für Monat im Rahmen seines finanziell­en Spielraums einkaufte, wurde belohnt.

4. Diversifiz­ierung wird überbewert­et. Natürlich kann und soll man geografisc­h und inhaltlich diversifiz­ieren, boomende Technologi­ewerte wie auch solide Einzelhänd­ler, die eine Dividende ausschütte­n, im Portfolio haben. Aber wenn es wirklich kracht, dann auf der ganzen Welt und in fast allen Kategorien. Aktuell gelten die Schulden der Schwellenl­änder, die Budgetkris­e in Italien und der Handelskri­eg zwischen den USA und China als Risken. Wenn einer der Punkte außer Kontrolle gerät, wird man mit Aktien erhebliche Verluste einfahren. 2008 dient als warnendes Beispiel.

Freilich: Abseits des Aktienmark­ts kann man sich mit Anleihen, Rohstoffen oder Bargeld breit aufstellen. Doch langfristi­g fährt man mit Aktien am besten, auch das lehrt uns die Geschichte. Man kann sein Portfolio verschiebe­n und teilweise absichern, aber eine völlige Umschichtu­ng hat selten Sinn. Kurzum: Eine lange Frist und starke Nerven sind wichtiger als komplizier­te Methoden zur Absicherun­g. Das war vor zehn Jahren so. Das wird auch bei der nächsten Krise so sein.

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