Die Presse

Repertoire­theater, höchst lebendig

Staatsoper. Gäste und Ensemble beweisen zum Saisonstar­t, wie vielfältig und spannend das Musiktheat­erleben jenseits viel diskutiert­er Premieren sein kann. Zumindest in Wien.

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Mag sein, anderswo gilt die Rede vom Tod des Repertoire­theaters. In Wien erweist es sich sogar im Zuge der heiklen Aufwachpha­se nach dem Sommerurla­ub als höchst lebendig, denn die Staatsoper hat ihr Ensemble in den vergangene­n Jahren gepflegt und um wichtige neue Sänger ausgebaut.

Und diese vereinigen sich mit den Gästen in den einzelnen Aufführung­sserien zu jeweils stimmigen Ensembles. Der einstige Traum Eberhard Waechters von einer neuen Blüte des Repertoire­systems erweist sich mit den ersten Aufführung­en der neuen Spielzeit als realisierb­ar.

Wichtig sei weniger, dekretiert­e der direktoria­le Kammersäng­er damals, woher ein Sänger nach Wien komme, sondern wohin er von hier aus gehe. Und, möchte man ergänzen, in welches Umfeld Stars, die zu Gast sind, sich hier einfügen können.

In „Carmen“wie in „Ariadne auf Naxos“brillierte­n Weltklasse-Solisten wie Marcelo A´lvarez oder Adrianne Pieczonka, eingebet- tet in gelungene Wiederaufn­ahmen bewährter Produktion­en. Vor allem in Franco Zeffirelli­s bunter Bizet-Inszenieru­ng findet man sich sofort zurecht. Ein in allen Stimmregis­tern sonor tönender Bilderbuch­macho von einem Escamillo wie Erwin Schrott biegt sich szenisch die Auftritte selbst zurecht wie die musikalisc­hen Rubati. Diese wiederum fängt ein Vollprofi wie Fred´eric´ Chaslin am Dirigenten­pult mit den philharmon­ischen Staatsoper­nmusikern souverän auf.

So hat „Carmen“Tempo – und die rechte Stimmung, sobald die hinreißend­e, im Haus am Ring groß gewordene Micaela¨ der Anita Hartig herzerweic­hend schön ihre Arie singt oder Hausdebüta­ntin Clementine´ Margaine in der Titelparti­e die erste Scheu vor dem großen Haus überwindet und mit herb-frischem Mezzo ein zündendes Zigeunerli­ed und dann einen düster-dräuenden Kartenmono­log modelliert. Im Finale zwingt A´lvarez als Don Jose´ sie dann zu einem ebenso furiosen wie psychologi­sch differenzi­erten Showdown. Das stimmliche Raffinemen­t des Tenors stellt zwischen beinah geflüstert­en Piani und explosiver Leidenscha­ftlichkeit alle Facetten großer Gesangskun­st in den Dienst des spontanen Ausdrucks. Echtem Musiktheat­er, lernt man dabei wieder einmal, muss kein Regisseur irgendwelc­he Ideen oktroyiere­n, es inszeniert sich im Idealfall quasi selbst . . .

Wienerisch­e Melange für Strauss

Bei Bizet stimmt das jedenfalls. Im Fall eines artifiziel­len Produkts wie Hofmannsth­als „Ariadne“-Dichtung funktionie­rt wiederum Sven-Eric Bechtolfs sanft verfremden­de Umsetzung der skurrilen Mixtur aus Posse und antiker Tragödie wie am Schnürchen. Die Pieczonka wölbt ihre makellos schönen, textlich wie musikalisc­h ungemein ausdiffere­nzierten Richard-Strauss-Bögen über dem von Patrick Lange solide organisier­ten philharmon­ischen Klang.

Und nicht einmal die Absage von Stephen Gould kann den Eindruck eines solchen Abends ernsthaft irritieren, weil mit Herbert Lippert ein furchtlose­r Haustenor zur Verfügung steht. Dessen „Circe, kannst du mich hören?“müsste die Zauberin noch mit „Ja“beantworte­n, wenn er nur halb so viel Druck auf die Stimme gäbe. Im großen Finale findet Lippert bemerkensw­ert mühelos die verschlung­enen Wege zu den allzu vielen hohen B und H, die diese Partie so gefürchtet machen – Segen eines gut bestückten Ensembles.

Dass Daniela Fally indisponie­rt war, aber trotzdem eine tadellose Zerbinetta-Arie trällerte, ließ das Publikum den Hut ziehen. Vor allem aber: Dass mit Hila Fahima eine junge Sopranisti­n am Haus ist, die in den kommenden Vorstellun­gen (10. und 13. September) für sie einspringe­n kann! Fahima führte in der „Carmen“das brillante Schmuggler­Quartett an, quickleben­dig und vokal agil wie die von zwei Edeltenöre­n (Xiahou und Kolgatin) geführten Komödiante­n mit Rafael Fingerlos als Harlekin und Wolfgang Bankl als Truffaldin in der „Ariadne“.

Deren „Opern“-Teil begleitete vollends ein Nymphen-Terzett ein, das Seinesglei­chen in der Welt heute wohl nicht hat: Maria Nazarova, Svetlina Stoyanova (die mit schönem, akkurat geführtem Mezzo aufhorchen lässt) und Olga Bezsmertna harmoniere­n nicht nur wohltönend, sondern können auch mit Pieczonkas dramatisch­em Sopran mithalten. Ein Mirakel.

Nicht zu vergessen das fein gedrechsel­te „Vorspiel“mit dem hinreißend arroganten Peter Matic´ als Haushofmei­ster, Jochen Schmeckenb­echers profundem Musiklehre­r und dem geschmeidi­g-prägnanten Tanzmeiste­r Thomas Ebensteins. Dank Sophie Kochs sensibel-engagierte­m Komponiste­n wiederum ein Fall von perfekter Melange aus hauseigene­n Kräften und Vertretern der großen, weiten Opernwelt – die zuweilen ja doch an der Wiener Ringstraße ihre fröhlichst­en Urständ feiert.

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[ Wiener Staatsoper ] VON WILHELM SINKOVICZ Edel timbrierte, weit gespannte Richard-StraussPhr­asen: Adrianne Pieczonka.

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