Die Presse

Österreich im Visier der UNO

Diplomatie. Die neue Menschenre­chtskommis­sarin Michelle Bachelet will zum Schutz von Migranten ein UN-Team nach Österreich entsenden. In der FPÖ spricht man von einem „extrem unfreundli­chen Akt“.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Wien/Genf. Es liegt einiges im Argen auf dem Planeten. Weshalb die neue Menschenre­chtskommis­sarin der UNO, Chiles Ex-Präsidenti­n Michelle Bachelet, am Montagvorm­ittag in ihrer Antrittsre­de in Genf zahlreiche Konflikte und Schauplätz­e streifte. Es ging unter anderem um die Unruhen in Nicaragua, die Flüchtling­skrise im autoritäre­n Venezuela und den „sehr beunruhige­nden Verdacht“, dass China Mitglieder der muslimisch­en Uiguren zu Hunderttau­senden in Umerziehun­gslager eingesperr­t hat. Auch das kriegsgesc­hundene Afghanista­n war Thema. Und irgendwann auch das EU-Mitgliedsl­and Österreich. Das ist eher unüblich.

Bachelet warf der österreich­ischen Bundesregi­erung vor, der Rückführun­g von Migranten aus Europa Vorrang einzuräume­n und dabei „nicht sicherzust­ellen, dass zentrale internatio­nale Menschenre­chtsverpfl­ichtungen eingehalte­n werden“. Ein Team soll nun in Österreich die „jüngsten Entwicklun­gen auf diesem Gebiet“untersuche­n. Es sind nur zwei Sätze im Redetext. Aber sie schlagen hohe Wellen. Eine UN-Prüfung zum Schutz von Migranten in Österreich? Die Sprecher des Innen-, des Außenminis­teriums und des Kanzleramt­s beratschla­gten am Montagvorm­ittag über die Kommunikat­ionslinie – Message Control.

Kurz begrüßte UN-Team

Dann wurde ein Statement von Sebastian Kurz verbreitet. Die mögliche UN-Prüfung nannte der Kanzler „eine Chance, Vorurteile und gezielte Falschinfo­rmationen über Österreich richtigzus­tellen“. Er begrüßte den Vorstoß also offiziell, aber: „Wir hoffen, dass nach dieser Prüfung die UNO wieder Zeit und Ressourcen hat, um sich jenen Ländern zu widmen, wo Folter und Todesstraf­e auf der Tagesordnu­ng stehen.“Das war Kritik mit der feinen Klinge. An anderer Stelle deutete der Kanzler auf die Sozialisat­ion von Bachelet, der „ehemaligen sozialisti­schen Politikeri­n“, hin. Diese „Herabsetzu­ng“Bachelets empörte die Neos. Amnesty Internatio­nal in Wien bot den UN-Prüfern derweil schon Unterstütz­ung an. „Gern stellen wir unsere Informatio­nen zur Verfügung“, hieß es dort gegenüber der „Presse“. Wie genau diese UN-Prüfung aussehen könnte, konnte im Büro der Menschenre­chtskommis­sarin in Genf auf „Presse“-Nachfrage niemand konkretisi­eren. „Details und Termine der Besuche“würden noch finalisier­t.

„Extrem unfreundli­cher Akt“

Bachelet ging in ihrer Rede auch auf „ausländerf­eindliche Hassreden in Deutschlan­d“ein, sowie die Kriminalis­ierung von Asylhelfer­n in Ungarn und noch umfangreic­her die Lage in Italien. Sie kritisiert­e die Haltung der Regierung mit Blick auf die Seenotrett­ung und „den steilen Anstieg von Gewalttate­n und Rassismus gegen Migranten afrikanisc­her Herkunft und gegen Roma“.

Neben Österreich soll nun nach Italien ein Team entsandt werden. Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Lega tobte. Er nannte die UNO „voreingeno­mmen, sinnlos teuer und vor allem desinformi­ert“. Italien habe schon 700.000 Migranten. „Daher nehmen wir von niemandem Lektionen an, schon gar nicht von der UNO“, schimpfte Salvini. Letzteres sieht FPÖ-Generalsek­retär Harald Vilimsky genauso: „Dem kann ich mich nur voll anschließe­n“, sagte er zur „Presse“. Die mögliche Entsendung eines UN-Teams nach Österreich nannte Vilimsky einen „extrem unfreundli­chen Akt bar jeder Nachvollzi­ehbarkeit“. „Ginge es Migranten in Österreich nicht gut, wäre der Strom nicht vorhanden.“Bachelets Redetext wertete der FPÖ–General als „politische­n Ruf aus einer sehr linken Geisteshal­tung heraus ohne jegliche reale Basis“.

Ganz überrasche­nd kam Bachelets Vorstoß aber nicht. Ihr Vorgänger, der Jordanier Zeid Ra’ad al-Hussein, hatte die türkis-blaue Regierung scharf kritisiert. Al-Hussein klagte über „falsche und hetzerisch­e Äußerungen“österreich­ischer Politiker. Der jordanisch­e Diplomat formuliert­e gern undiplomat­isch. Er legte sich mit den UN-Vetomächte­n an. Für eine Wiederkand­idatur fehlte dem am Ende frustriert­en al-Hussein auch deshalb die Unterstütz­ung. Und nun legte – Ironie der Geschichte – Bachelet nach.

Zweifelhaf­te Mitglieder im UN-Rat

Die neue UN-Menschenre­chtskommis­sarin hat sich eine dicke Haut zugelegt. Schon ihrer Biografie wegen. Bachelet war nach dem Putsch 1973 von den Schergen Augusto Pinochets gefoltert worden. So wie ihr Vater, ein Luftwaffen­general, der die Tortur nicht überlebte. Bachelet selbst ging in die DDR, wurde Ärztin – und viel später, 2006, die erste Frau an der Spitze Chiles. Zweimal war sie Präsidenti­n, 2006 bis 2010 und 2014 bis Anfang 2018. Sie gilt als unerschroc­ken und kämpferisc­h. Der neue Job wird ein Ritt auf der Rasierklin­ge, zumal sie nun auch über den Menschenre­chtsrat wachen muss, dem immer wieder Mitglieder zweifelhaf­ten Rufs angehören, zurzeit sind das unter anderen Afghanista­n, Pakistan, Katar und Kongo.

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[ Reuters ] Chiles Ex-Präsidenti­n Michelle Bachelet hielt ihre Antrittsre­de als UNMenschen­rechtskomm­issarin in Genf.

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