Die Presse

Streit um Auslegung von Hetzjagd

Deutschlan­d. Hans-Georg Maaßen zweifelt „Hetzjagden“in Chemnitz an, (noch) ohne Beweise. Damit greift der Chef des Nachrichte­ndiensts seine Kanzlerin an. Was steckt dahinter?

- Von unserer Korrespond­entin IRIS BONAVIDA

Der Chef des deutschen Nachrichte­ndienstes greift Kanzlerin Merkel an und kommt selbst unter Beschuss: Was steckt dahinter?

Hans-Georg Maaßen ist ein Mann, der vieles weiß. Aus seinem Studium an der Uni Köln, seiner langjährig­en Berufserfa­hrung als Jurist. Und auch aufgrund seiner jetzigen Funktion: Der 55-Jährige ist Chef des deutschen Verfassung­sschutzes. Es ist sein Job, Dinge zu wissen, die der Allgemeinh­eit verborgen bleiben und möglicherw­eise verborgen bleiben müssen. Wendet sich ein Verfassung­sschutzche­f an die Öffentlich­keit, dann meist mit klaren Botschafte­n und Fakten.

Und dann kam der vergangene Freitag. Deutschlan­d war gerade dabei zu diskutiere­n, was in Chemnitz nach dem Tod von Daniel H. bei den Ausschreit­ungen passiert sei. Waren es Hetzjagden auf Migranten, Jagdszenen – oder nichts von beidem? Maaßen gab der „Bild“-Zeitung eine Antwort: „Die Skepsis gegenüber den Medienberi­chten zu rechtsextr­emistische­n Hetzjagden wird von mir geteilt.“Ein Video, das einen Angriff zeigt, könnte nicht authentisc­h sein. Es gebe „gute Gründe“dafür, dass es sich dabei um „gezielte Falschinfo­rmation“handle.

Welche Gründe? Gibt es Beweise? Was weiß Maaßen, was die Öffentlich­keit nicht weiß? Nach dem kurzen medialen Auftritt war der Verfassung­sschutzche­f wieder aus der Öffentlich­keit verschwund­en. Ausführlic­h Stellung nahm er in einem Bericht, den er Montagmitt­ag Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und dem Bundeskanz­leramt vorlegte. Öffentlich ist er vorerst nicht.

Bis dahin wird die Zeit genutzt, um Maaßens Rücktritt zu fordern. Die Opposition (abgesehen von der AfD) ist empört über seine Verunsiche­rungen. Wenn er Beweise hätte, sollte er sie vorlegen. Und wenn nicht? Dann müsse er gehen. Auch laut Andrea Nahles, Chefin der Regierungs­partei SPD, ist Maaßen für sein Amt nicht geeignet.

Seehofer hingegen war einer der Ersten, der Maaßen seine Unterstütz­ung zusicherte. Regierungs­sprecher Steffen Seibert wiederholt­e am Montag seine Aussage, Maaßen habe eine „wichtige und verantwort­ungsvolle Aufgabe“. Das klang nicht so schlecht, wäre nicht die gestellte Frage gewesen: Vertraut die Kanzlerin dem Verfassung­sschutzche­f?

Möglicherw­eise ist das der Grund, warum Maaßen sich äußerte. Immerhin hatte die Kanzlerin selbst „Hetzjagden“verurteilt. Seit Jahren pflegen die beiden ein etwas schwierige­s Verhältnis. Im Jahr 2015 suchte Merkel nicht den Kontakt zum Verfassung­sschutzche­f, den sich Maaßen gewünscht hätte. Im Gegenzug kritisiert­e er die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin, auch öffentlich.

Maaßen, ein konservati­ver Fachmann

Maaßen gilt als Fachmann, als „konservati­ver Knochen“. 2012 wurde er zum Leiter des Nachrichte­ndiensts bestellt, seine Aufgabe war es auch, das Vertrauen in die Behörde wieder zu stärken. Doch ihr Chef gerät immer wieder in die Kritik.

Zuletzt musste er zugeben, vor der Bundestags­wahl AfD-Politiker getroffen zu haben. Sie beraten zu haben, streitet Maaßen aber ab. Vor wenigen Wochen kam der Verdacht auf, der Verfassung­sschutz habe einen V-Mann im Umfeld des Berliner Attentäter­s Anis Amri verheimlic­ht.

„Vertrauen ist die Währung jedes Nachrichte­ndiensts“, sagte Maaßen vor Jahren. Wie sein Kurs steht, hängt auch von dem abgegebene­n Bericht ab.

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[ Reuters ] Seit 2012 ist der Merkel-Kritiker Hans-Georg Maaßen an der Spitze des Nachrichte­ndiensts.

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