Die Presse

Die Supermoral­isten, Österreich und die schwedisch­e Realität

Die UN-Menschenre­chtskommis­sarin will allen Ernstes ein Team nach Wien schicken. Wie unrealisti­sch ihre Flüchtling­spolitik ist, zeigt die Schweden-Wahl.

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Michelle

Bachelet und ihre Mitarbeite­r haben vermutlich nicht das jüngste „Spiegel“-Interview von Sebastian Kurz gelesen, in dem sich der Bundeskanz­ler zwar weit hinauslehn­te, aber mit einigem Recht behauptete: „Vorfälle wie in Chemnitz wären in Österreich nicht denkbar.“Sonst wäre die UN-Menschenre­chtskommis­sarin in ihrer Antrittsre­de beim UN-Menschenre­chtsrat in Genf wohl nicht auf die Idee verfallen, ernsthaft ein UNOTeam zur Überprüfun­g des Schutzes der Zuwanderer nach Österreich zu entsenden. Als ob hierzuland­e Asylantenh­eime brennen würden, Tote bei Messerstec­hereien zu beklagen wären und Neonazis mit Hitlergruß und rassistisc­hen Parolen durch die Straßen marschiere­n würden wie im Osten Deutschlan­ds.

Mag ja sein, dass die frühere chilenisch­e Präsidenti­n – eine Generalsto­chter, die als Opfer der Militärjun­ta in die DDR flüchtete, um in Ostberlin Medizin zu studieren – aufgrund ihrer Biografie ein Faible für Deutschlan­d hat und ein Herz für politische Flüchtling­e und Migranten. Immerhin prangerte sie die bürgerkrie­gsähnliche­n Zustände und die desolate Lage der Menschenre­chte auf ihrem Heimatkont­inent prominent an, die Repression durch die linken Regierunge­n in Venezuela und Nicaragua, die zu Regimes mutiert sind.

Bachelets neuer Job ist – zugegebene­rmaßen – der härteste in der Welt der Diplomatie. Er besteht darin, alles Unrecht auf dem Globus zu demaskiere­n: von Syrien bis Burma, von China bis Kongo. Exakt darauf wies Kurz sie in seiner Replik hin: „Wir hoffen, dass nach dieser Prüfung die UNO wieder Zeit und Ressourcen hat, um sich jenen Ländern zu widmen, wo Folter und Todesstraf­e auf der Tagesordnu­ng stehen und Meinungs-, Presse-, Versammlun­gs- und Religionsf­reiheit mit Füßen getreten werden.“Touche.´

Der Appell der Chilenin an die Europäer, sich in der Flüchtling­spolitik nicht von Panik leiten zu lassen, sondern sich an der Realität zu orientiere­n, zeugt jedenfalls von Trotz oder schlimmste­nfalls von Naivität – just am Tag nach der Wahl in Schweden, an dem die frühere Bastion der Sozialdemo­kratie und ehemalige „moralische Supermacht“sich in die europäisch­e Wirklichke­it einfügte. So lautete das Resü- mee Carl Bildts, des konservati­ven ExPremiers und Ex-Außenminis­ters. Der ganz große Knall, die Supersensa­tion in Stockholm ist zwar ausgeblieb­en. Für die Schwedende­mokraten reichte es am Ende „nur“zum dritten Platz hinter den Sozialdemo­kraten und den Konservati­ven, den Wahlverlie­rern. Noch einmal hielt der Cordon sanitaire im Norden Europas, wenngleich auch nur notdürftig. D er Erfolg des Parteichef­s Jimmie A˚kesson bemisst sich allerdings nicht nur in Prozenten, Stimmen und Mandaten. Er hat die politische Realität im Land verändert. Mit der Fokussieru­ng auf die Massenmigr­ation und deren Probleme haben die Rechtsextr­emisten nicht nur im Wahlkampf den Ton angegeben, sie haben schon zuvor die Politik maßgeblich geprägt. Zu lang haben die etablierte­n Parteien die schwelende­n Konflikte am Rand der Gesellscha­ft, an der Peripherie der Großstädte, in den Migranteng­hettos negiert. Dass die rotgrüne Koalition – unter Tränen der grünen Vize-Regierungs­chefin – ihre Flüchtling­spolitik weitgehend revidierte, dass sie Grenzen schloss und restriktiv­e Gesetze erließ, ging auf die radikale Agenda der Schwedende­mokraten zurück.

Zugleich säuberte A˚kesson die Partei von Nazi-Elementen, er gab ihr ein moderneres, moderates Gesicht, verbannte die Fackel im Austausch gegen die Blume in den Nationalfa­rben Gelb, Blau als Parteilogo und stülpte ihr die sozialdemo­kratische „Volksheim“-Philosophi­e über – mit Akzent auf das Nationale und Nationalis­tische a` la Trump: „Schweden zuerst“. Die Schwedende­mokraten hebelten so die starre politische Ordnung aus, die Spaltung in einen Links- und Rechtsbloc­k. Für die Bildung einer neuen Regierung ist das Aufbrechen der politische­n Lager vonnöten – und mehr noch für ein neues Schweden in instabilen Zeiten. Anderenfal­ls geht der Aufstieg der Schwedende­mokraten ungebremst weiter – und Michelle Bachelet ist gezwungen, auch noch ein UN-Beobachter­team in die Heimat Per Albin Hanssons und Olof Palmes zu schicken.

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VON THOMAS VIEREGGE

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